Auf der Folterbank der Physik, der Chemie und der Mathematik verstumme die Natur, sagt Goethe. Gegen das Unheil der neueren Physik polterte er: Man müsse ihr die Beute abjagen, es gelte die Phänomene ein für alle Mal aus der düsteren, rein auf eine künstliche Versuchsanordnung zugeschnitten, mechanisch dogmatischen Marterkammer zu befreien. (vgl. dazu Rüdiger Safranski „Schopenhauer und die wilden Jahre der Philosophie.“) All die Attribute, mit denen sich der Begriff Naturwissenschaft umgibt, sie bediene den analytischen Verstand, der Anschein von Objektivität den sie erweckt, die Behauptung, ihre Herangehensweise an die Natur sei rational, erweisen sich im Angesicht einer Natur, die einem als selbständig handelnde Wesenheit entgegentritt, als eine durch nichts zu entschuldigende Rosstäuscherei. Was da in ihrem Wesen verkannt wird, ist diese Natur selbst, nicht weniger die Werkzeuge mit denen man ihr zu Leibe zu rücken versucht, die Mathematik, die Chemie und die Physik in dem was diese Fächer darstellen, was sie zu leisten vermögen, und vor allem in dem was nicht. Als die Natur, die sie wirklich ist, eine Wesenheit, die Form um Form, wo sie vorher nicht war und keiner weiß wie, sich vollenden lässt, tritt sie innerhalb einer Wissenschaft, die sich selbst in den Stand einer Naturwissenschaft erhob, gar nicht in Erscheinung. Es entpuppt sich dies als ein gigantischer Betrug, von dem es einzig und allein rätselhaft bleibt, warum die Menschen so sehr an ihn glauben.
Eine Chemie, die es nicht gibt
- Was ist das überhaupt, eine chemische Reaktion? –
Wer meint, der Mond als der Himmel der Verliebten hätte als ein Stück Gestein, das er zweifellos ist, kein Recht, denkt falsch. Und wie steht es mit einem Gehirn, das sich diese Gedanken macht? Ist es nicht Teil derselben Natur? Besitzt er auch das? Gehört ihm nicht alles, das Gehirn und der Mond, so gehört ihm in Wahrheit nichts. Ernst nehmen kann man den nicht, der sagt, er wisse wirklich um dieses Gehirn Bescheid. Wer einem lieben Menschen zwar eine Rose schenkt, sich aber des Gedankens nicht erwehren kann, letztendlich verdanke sich diese einer chemischen Reaktion, denkt falsch. Wissen die meisten doch gar nicht, was eine chemische Reaktion ist. Diese bedarf eines Chemikers, komplizierter Anordnungen und Gerätschaften, meist giftiger, herauspräparierter Stoffe, eines Potentialgefälles, wo es, nachdem es ausgeglichen ist, dann heißt, Papp aus und Schluss. Das meiste, was die Natur macht, nehmen wir als Beispiel das Wachs der Bienen, vermag das Labor gar nicht herzustellen und wenn es ihm ähnlich ist, macht die Natur das anders. Mit dem, was einer Zelle zur Verfügung steht, den Nährlösungen, die überall kursieren, bei einer Pflanze, mit Licht, Luft, Erde und Wasser fängt kein Chemiker etwas an. Wie die Natur sich baut, lautlos, ohne Lärm, Gestank und Apparaturen irgendwelcher Art, bleibt das Geheimnis, das es immer war. Da hat die Wissenschaft schlechte Karten. Wie, und nicht weniger warum, Atome und Moleküle in einer Zelle interagieren, ist uns bis heute ungeachtet des Getöses, das man darum macht, ein Buch mit sieben Siegeln. Und wenn wir uns auf den Kopf stellen, es widerspricht allen chemisch-physikalischen Gesetzen, die wir kennen. Was sich hier an Stoff auf der einen Seite und Strukturen einer Zelle auf der anderen begegnet, ist ein Zusammentreffen der dritten Art, nichts zeigt da auch nur die geringste Lust auf eine chemische Art miteinander zu reagieren, das System ist chemisch gesehen inert, reaktionslos. Fleisch reagiert nicht mit Soße. Kein auch nur einigermaßen ernstzunehmender Mensch hätte je etwas anderes behauptet, und dennoch tritt dort in einer Zelle das Fleisch mit der Soße in Interaktion, keiner weiß wie.
Aus Verlegenheit nannte man das Biochemie. Doch mit Chemie hat das nichts zu tun und die Silbe Bio davorgehängt, macht diesen Umstand nicht besser. Wie der Fachmann weiß, ist Biochemie etwas ganz anderes. Es ist die Entdeckung, dass kleinste Mengen eines Stoffes ganze Kaskaden physiologischer Prozesse auslösen, was in eine ganz andere Richtung weist, als die einer chemischen Reaktion. Und noch eine Schippe darauf gepackt, nicht nur winzigste Mengen von Stoff, selbst Worte, böse oder gute, führen, wie man heute längst weiß, zu einer physiologischen Reaktion. Sind wir in Wut, produzieren Zellen der Nebenniere auf rätselhafte Weise Adrenalin und Cortisol in billionenfacher Anzahl, allein über den Geist in uns, der sich erregt. Nehmen wir die Beleidigung nicht ernst, tut sich nichts. Das Immaterielle, um das man sonst ein Theater macht als sei es das Ungewöhnlichste von der Welt und als hätte man nie etwas davon gehört, es wirkt.
Warum sollte es innerhalb einer Organisation wie der Zelle, in der sich Teilchen auf eine rätselhafte Weise bewegen und nichts aber auch gar nichts an eine chemische Reaktion denken lässt, wie sie mit Stoffen oder der Nahrung, die wir zu uns nehmen umgeht, anders sein? Auch sie sind eingewoben in ein Netz von Information. Die Nährlösungen die überall kursieren, treffen dort in der Zelle auf festgefügte Strukturen. Da stehen sie nun wie der Ochse vor dem Berg, chemisch wird daraus nichts. Zwar sind auch diese Strukturen, wie die des Endoplasmatische Retikulums, dynamisch und einer steten Reorganisation unterworfen, was jedoch an der Struktur selbst nichts ändert. Wie soll nun das Fleisch mit der Soße reagieren? Ähnliches gilt für die Zellmembran, die Ribosomen, den Zellkern, die Chromosomen, für Kernkörperchen, für die Mitochondrien, den Golgi Apparat oder die Zentriolen. Sie alle fangen mit der aufbereiteten Nahrung , mit der sie sich konfrontiert sehen auf eine chemische Weise nichts an. Ein Kessel schwappender Suppen und Soßen, die chemisch miteinander reagieren, ist die Zelle nun wahrhaftig nicht. Das biochemische Gerede scheint das alles nicht zu interessieren. Auch da liegen wir mit unserer Vorstellung, wenn ein Stoff in den Körper hineingelange, reagiere er da wie eine Chemikalie im Labor mit anderen Stoffen, falsch.
Giftige Stoffe, chemische Stoffe ganz allgemein, lässt die Zelle, wenn´s gut geht, gar nicht in sich hinein. Mit dieser Chemie ist es nicht weit her. Auch diese Stoffe wirken von außen, informell. Sie heften sich an die Zellwand an. Für die Zelle in ihrem Inneren bedeutet das Stress und Irritation. Gelangen sie in die Zelle hinein und lagern sich dort ab, ist das nicht gut. Die Einbrecher sind im Haus. Jetzt werden die Informationsabläufe innerhalb der Zelle massiv auf eine noch weit grundlegendere Art gestört, als nur beim Andocken.
Dass die Zelle die Stoffe der Nahrung in ihren Stoffwechsel mit einbezieht und den Körper daraus baut, ist eines der merkwürdigsten Phänomene die diese Welt zu bieten hat, aus Nahrung wird Zelle, es ist dies ein Thema, das die Biochemie gänzlich ignoriert. Man muss sich, was hier innerhalb einer Zelle geschieht, wenn die eine Welt der anderen begegnet, vorstellen wie bei Arbeitern in einer Fabrik. Von allen Seiten, von links, rechts, oben oder unten, fließt ihnen Material zu. Sie greifen es auf und gehen damit um, zielsicher und rasend schnell. Und jetzt, man kann es kaum glauben - wir verlassen hier den Boden einer Realität, in der ein Vergleich irgendwelcher Art noch Sinn machen würde - die so Handelnden, die fleischlichen Strukturen einer Zelle, handhaben das vorhandene Material in erster Linie nun eben nicht wie die Arbeiter in einer Fabrik in der Weise, dass sie etwas daraus machen (das auch), nein, sie bauen sich daraus selbst. Altes Material schilfern sie ab, neues bauen sie in sich ein. Dieses Aufeinandertreffen zerlegter Nahrungsbestandteile mit der biologischen Struktur, dem Fleisch, ein Vorgang den man, makroskopisch betrachtet, gemeinhin als Stoffwechsel bezeichnet und sich nichts dabei denkt, führt mikroskopisch unter die Lupe genommen vor eine Pforte, wo einem dieser Einbau von Material in die lebende Struktur in Anbetracht der direkten Konfrontation der daran Beteiligten unheimlich wird, und die faszinierende Ungeheuerlichkeit dieses Vorgangs offen zutage tritt. Das Ergebnis seiner Arbeit ist hier der Arbeiter selbst. Der Verschiebebahnhof des Lebendigen, etwas das man als solches nicht wahrhaben will, für das man unzählige Ausflüchte und Modelle erfunden hat, findet hier unmittelbar sein Ende.
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