Knausermann sagte: „Na dann schreibe ich eben Indischer Ozean!“ Das Tigereichhorn nickte zufrieden. Aber ein Land, das „Indischer Ozean“ heisst, gibt es natürlich auch nicht. So schrieb er einfach „Madagaskar“. Er wollte nämlich vermeiden, dass das Tigereichhorn anfangen würde, von seinen vielen Seereisen zu erzählen. Dann würde er nie fertig werden.
Schon einmal hatte er so ein Tigereichhorn im Konsulat gehabt, hatte fast eine Stunde lang die schrulligsten Seefahrer-Geschichten anhören müssen, die es zum Besten geben konnte. Dazu hatte er aber jetzt keine Lust. Madagaskar wurde es und Madagaskar blieb es – dort wo der Pfeffer wächst, nämlich. Stempel drauf – Peng! – Pass fertig.
Das Blumenpferd war ebenfalls staatenlos, da es in einem Zirkus zur Welt kam, als dieser gerade auf Reisen war. Es wusste nicht einmal, auf welchem Kontinent es geboren worden war.
Knausermann rollte mit dem Cursor von der Tastatur ganz nach unten auf der Liste der zulässigen Länder und wählte dann unter den letzten Buchstaben „XYZ – Internationale Forschungsstation White Horse Island“. Das war eine winzige Insel im südlichsten Pazifik, wo ein zerstreuter Meteorologe und Pinguinenforscher, ein paar gestrandete U-Boot-Matrosen eines totalitären Landes sowie mehrere hundert Pinguine wohnten. So hatte das Blumenpferd nun auch ein offizielles Geburtsland verpasst bekommen. Stempel drauf – Peng! – Pass fertig.
Glücklich trotteten die drei davon und setzten sich erst einmal auf eine Parkbank. Dann blätterten sie stolz und neugierig in ihren Pässen, besahen den Stempel mit der Arbeitserlaubnis und all den anderen Einträgen.
„Komisch, der Knausermann hat uns nicht einmal nach unseren Lieblingsfarben gefragt, aber trotzdem immer das Richtige eingetragen!“, wunderte sich das Tigereichhorn. Und ganz richtig: Beim Tigereichhorn stand nämlich unter Lieblingsfarbe „orange“, beim Blumenpferd „weiss“ und beim Chinchillabären „schokoladenbraun“! Ja, so ein erfahrener Konsul wie der Knausermann braucht eben nicht alles von allen zu erfragen.
Ein Konsulat ist eine Zweigstelle einer Botschaft. Eine Botschaft ist die Vertretung eines Landes in einem anderen Land.
Terroristen wollen manchmal Anschläge auf Botschaften und Konsulate verüben, deshalb wird man als Besucher wie auf einem Flughafen einer strengen Kontrolle unterzogen. Oft sind auch Kameras und Sicherheitsposten vor einer Botschaft oder einem Konsulat angebracht – zur Überwachung und Sicherheit der Leute, die dort arbeiten und der Leute, die dort Zuflucht suchen.
Ist man einmal in der Botschaft oder dem Konsulat drinnen, befindet man sich gesetzlich gesehen in dem Land, das vertreten wird.
Normalerweise dauert ein Passantrag mehrere Wochen. Leute ohne Staatsbürgerschaft nennt man Staatenlose. Man kann staatenlos werden, wenn ein Land, aus dem man ursprünglich kam, aufgehört hat zu existieren und das Land, dem nun das betreffende Gebiet gehört, sich weigert, Pässe auszustellen.
In Dänemark wurde einmal eine in Dänemark geborene Frau staatenlos, weil ihre ebenfalls in Dänemark geborene Mutter Spanierin geworden war und ihr Jugendpass abgelaufen war.
Waisenkinder wie unsere drei Freunde werden normalerweise eingebürgert, dort wo sie wohnen. Es gibt FN-Konventionen, die vermeiden sollen, dass es zu viele Staatenlose gibt. Aber viele Länder halten sich nicht an die Regeln und schieben die Staatenlosen lieber ab oder lassen sie in der Ungewissheit hängen.
Wahrscheinlich waren unsere drei Freunde in ihrem bisherigen Land falsch beraten und behandelt worden und der Konsul Knausermann hat dann auf Grundlage der Tatsache, dass sie Eigentum auf Brummholm haben, beschlossen, sie als Flüchtlinge zu behandeln und ihnen Pässe für Staatenlose anzubieten.
Nur wenige Konsulate und Botschaften sind so grosszügig, bei den meisten muss man mit viel Ärger, teuren Gebühren und ziemlich unverschämter Hochnäsigkeit und Gleichgültigkeit rechnen.
Wenige Tage später war es soweit: Sie hatten Flugtickets gekauft und nun sassen sie auf dem Flughafen und warteten auf ihren Flug nach Güldenhafen.
Der Chinchillabär hatte die Brusttasche, die Zettelmann ihm geschenkt hatte, nicht mehr abgenommen, seitdem er sie bekommen hatte. Ja, sogar nachts hatte er damit geschlafen. Er wollte um nichts in der Welt den Vertrag und die Hausschlüssel verlieren.
Nun hatte er auch die Pässe und die Flugtickets mit dabei. Alle zehn Minuten kontrollierte er, ob alles noch da war. Jedesmal, wenn eine Sache kontrolliert war, sagte er „tscheck“ – das hatte er einmal in so einem amerikanischen Film gesehen.
Wieder waren zehn Minuten vergangen. Der Chinchillabär kontrollierte:
„Mein Pass – tscheck.
Der Pass vom Tigereichhorn – tscheck.
Der Pass vom Blumenpferd – tscheck.
Der Vertrag – tscheck.
Die drei Flugtickets – tscheck.
Die Schlüssel – tscheck. Alles da!“

Das Tigereichhorn und das Blumenpferd seufzten, aber sie sagten nichts, denn es war ja gut, das der Chinchillabär so gut aufpasste.
„Wenn wir nach Güldenhafen fliegen, fliegen wir zuerst über Brummholm. Wenn das Wetter gut ist, können wir sogar den Kleinen Bärensee und Schnurholm vom Flugzeug aus sehen!“ erklärte der Chinchillabär.
„Du kannst ja den Fensterplatz nehmen“, sagte das Blumenpferd, das ein wenig Angst vor dem Fliegen hatte.
Der Chinchillabär war froh, den Fensterplatz bekommen zu können – er hatte nämlich extra ein altes Fernglas mitgenommen und freute sich schon darauf, alles sehen zu können.
Nun war es Zeit, zur Kontrolle zu gehen. Sie mussten alle Dinge, die sie dabeihatten, auf ein Fließband legen. Der Chinchillabär musste widerwillig seinen Brustbeutel auf das Band legen. Besorgt sah er zu, wie der Beutel in einer Röntgenmaschine verschwand. Er atmete erleichtert auf, als er den Beutel wieder am anderen Ende der Maschine auftauchen sah.
Zur Sicherheit kontrollierte er nochmals, ob alles da war. Es könnte ja sein, dass jemand anderes einen ähnlichen Beutel hatte und dass sein Brustbeutel nun mit einem anderen verwechselt worden war. Das wäre ja schrecklich. Nachdem er sechsmal „tscheck“ gesagt hatte, konnte sich die Schlange der Wartenden weiterbewegen und nun wurden das Tigereichhorn und das Blumenpferd kontrolliert.
Das Blumenpferd bekam ein wenig Ärger wegen einer kleinen Flasche mit Schampoo. Es waren zehn Milliliter zu viel Schampoo darin. Bestürzt musste es mit ansehen, wie der uniformierte Wachmann die Flasche in einen Mülleimer warf. Hätte es doch nur das Schampoo zu Hause gelassen! Ja, aber sie hatten ja nun gar kein Zuhause mehr – sie hatten nämlich das kleine Dachzimmer gekündigt und waren nun auf der Reise zu ihrem neuen Zuhause.
„Sei nicht traurig, Blumenpferd!“ tröstete das Tigereichhorn. „Auf Schnurholm gibt es bestimmt auch einen kleinen Laden wo man Schampoo kaufen kann!“
Fast zwei Stunden später sassen sie endlich auf ihren Plätzen im Flugzeug. Der Chinchillabär hatte Tage vorher lange Zeit in der Sammlung von Landkarten vom Tigereichhorn gekramt und hatte genau studiert, über welche Orte das Flugzeug wohl fliegen würde. Er hatte ausgerechnet, dass Brummholm auf der rechten Seite zu sehen sein müsste und sie hatten deshalb die Plätze so gebucht, das einer der Plätze ein Fensterplatz auf der rechten Seite war.
Die meiste Zeit während des Fluges stand der Chinchillabär auf seinem Platz, weil er dadurch besser mit seinem langen Fernrohr hinuntersehen konnte. Er erzählte dauernd mit lauter Stimme, was er unten sah.
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