HELGA
PEHAM
Die Salonièren
und die Salons
in Wien
200 JAHRE GESCHICHTE
EINER BESONDEREN INSTITUTION
Alma Mahler-Werfel im Jahre 1909. Foto von Madame d’Ora.
Cover
Titel HELGA PEHAM Die Salonièren und die Salons in Wien 200 JAHRE GESCHICHTE EINER BESONDEREN INSTITUTION
Salons entstehen und Salonièren entwickeln sich
Charlotte von Greiner
Fanny von Arnstein
Karoline Pichler
Henriette Pereira, die Häuser Eskeles, Weckbecker, Rothschild und Metternich
Josephine von Wertheimstein
Rosa von Gerold
Berta Zuckerkandl
Alma Mahler-Werfel und Anna Mahler
Marie Lang, Lina Loos, Gina Kaus, Grete Wiesenthal
Eugenie Schwarzwald
Fußnoten
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Danksagung
Impressum
SALONS ENTSTEHEN UND
SALONIÈREN ENTWICKELN SICH
Ein Salon bildet sich um eine gebildete, geistreiche Frau, die Salonière. Die Besucher treffen einander mehr oder minder regelmäßig, die Geselligkeitsform ist das Gespräch mit dem Ziel, neues Wissen aufzunehmen, weiterzuentwickeln und weiterzugeben.
Der ursprüngliche Salon beginnt Anfang des 17. Jahrhunderts in der Pariser Aristokratie. Die Kultivierung der feinen Lebensart, der Sitten und der Sprache, und der Kontakt mit Künstlern und Wissenschaftern bleiben jedoch innerhalb dieser Elite und erzielen keine Wirkung nach außen.
In Wien setzt das Salonleben in den 70er-Jahren des 18. Jahrhunderts ein. Der erste Kreis bildet sich um das Ehepaar Charlotte und Franz Greiner. Im Salon Fanny von Arnsteins treffen Adelige, Geschäftsleute, Gelehrte, Künstler und Damen der Gesellschaft aufeinander. Karoline Pichler umgibt sich mit angesehenen Beamten und deren Familien, Kavalieren, Gelehrten und Künstlern. Um 1800 und zur Zeit des Wiener Kongresses 1814/15 erlebt der Wiener Salon eine erste Hochblüte, er dauert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts.
Der Begriff „Salon“ entstammt der repräsentativen Architektur, er wird in die bürgerliche Wohnkultur übernommen, als die bürgerliche Repräsentation die aristokratische ablöst. Ohne das Salonleben wären die prachtvollen Ringstraßenbauten nicht entstanden. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts findet man Salons als Geselligkeitsformen im Bereich zwischen privater und öffentlicher Sphäre, das ist das Emanzipatorische daran. Der Hochadel grenzt sich zu dieser Zeit noch streng vom niederen Adel und den bürgerlichen Schichten ab. Durch das starre Festhalten an Althergebrachtem und das Abgrenzen gegenüber neuen Einflüssen, bleibt die Hocharistokratie meist unberührt von gesellschaftlichen Entwicklungen. Merkmal für die Zugehörigkeit zur Hocharistokratie sei die Zahl der adeligen Vorfahren, berichtet 1796 ein Reisender, der von Riga aus nach Wien fährt. Niemand könne die Salons der Hocharistokratie betreten, „den nicht Rang und Geburt dazu berechtigen, und die Häuser sind immer noch selten genug, die hierin bey verdienstvollen Gelehrten und Künstlern eine Ausnahme machen“.1
Zusehends öffnen sich die Gesellschaften des niederen Adels, der sich ständig durch Nobilitierungen erweitert, dem aufstrebenden Bürgertum, und es bildet sich die Zweite Gesellschaft heraus. Man blickt auf den Hochadel und kopiert ihn, ist jedoch gesellschaftlich weit geöffnet. Aufgeklärte Wien-Reisende werden rasch in die Geselligkeit integriert und von Salon zu Salon herumgereicht, sobald sie eingeführt sind. Bankiers, Wissenschafter, höhere Beamte, Künstler und Offiziere kommunizieren miteinander. Im 18. Jahrhundert, das vom Geist der Aufklärung stark geprägt ist, distanziert man sich zunehmend vom Hof und bespricht politische Themen. Der politische Salontyp entsteht. Es bilden sich Interessengemeinschaften, und gebildete Bürger nehmen gleichberechtigt an den Salongesprächen teil.
Ideen und Ideale, „cognitiv“ akzentuierte Geselligkeiten bilden den Kern von Salons mit dem Ziel, gewisse Kunstrichtungen oder politische Ideen philosophischer Schulen zu diskutieren. Die Salonière bringt intellektuelle Fähigkeiten mit und verfügt, meist durch den Ehemann, über die materiellen Voraussetzungen, ein entsprechendes Ambiente, Räumlichkeiten sowie über das notwendige Personal, um eine solche Gesellschaft zu geben, in der und durch die sie anerkannt ist. Zu den hervorstechenden Eigenschaften einer Salonière gehören organisatorisches Geschick, Kontaktfreudigkeit, ein großes Interesse an Menschen und die Fähigkeit, einen intellektuellen Diskurs zu führen. Dem Ehemann ist eine untergeordnete Rolle im Salon zugeteilt, obwohl er als Geldgeber fungiert, „Salonunternehmerin“ ist die Salonière. Oft übernimmt ein Habitué den männlichen Part im Salon, oder es steht der Dame des Hauses eine herausragende Persönlichkeit zur Seite – ein großer Schriftsteller, ein tonangebender Philosoph –, die dem Gespräch eine Richtung gibt. Die regelmäßigen Zusammenkünfte ermöglichen es, dass ein Thema vertieft, der Gesprächsfaden wieder aufgenommen wird. Ist zunächst die kommunikative Begegnung der primäre Zweck, so ändert sich die Dynamik mit dem Beginn der Aufklärung und man will den Gesprächspartner überzeugen. Die Argumentation gewinnt an Raum. Die Salondame bezieht Position.
Universalität ist wichtig, die Themenpalette erstreckt sich von Literatur über Philosophie, Musik, Kunst hin zu politischen Ereignissen und kleinen Skandalen. Mit Beginn der Aufklärung entwickelt sich der Salon zu einer Plattform für Künstler und Publikum und zum Ort, der Einfluss auf das Schaffen eines Schriftstellers oder Musikers ausübt. Philosophische, wissenschaftliche und religiöse Fragen werden im Sinne der Aufklärung zu Themen. Der neue Stil ist geistreich, witzig, elegant.
Die Zweite Gesellschaft ist eine lernende Gesellschaft, ihre Salons sind die Akademien, in denen Wissen aufgenommen und weitergegeben wird. Gebildete Frauen sind bildungshungrig, ihnen ist es aber in Österreich verwehrt, an der Universität zu studieren. So holen sie sich kulturelle und wissenschaftliche Weiterbildung ins Haus und sammeln einen Kreis von Persönlichkeiten aller Schichten und Sparten um sich. Wissenschafter, führende Persönlichkeiten, Künstler verschiedenster Richtungen leisten ihren Beitrag zur Weiterbildung im Gespräch, im Vortrag, zur Ausbildung und Verfeinerung der Sinne.
Der Salon bildet „einen Freiraum von materiellen oder ideologischen Interessen. Die alleinige Motivation der Gäste ist es, einander zu respektieren, zu fördern und zu bilden.“2 Ein ästhetisches Element kann hinzukommen: Gedichte und Schriften aller Art werden vorgetragen, Theaterstücke aufgeführt, Musikabende gestaltet.
Statt rückwärts zu schauen, wie es vielfach in den hochadeligen Kreisen der Ersten Gesellschaft Usus ist, trachtet man in den Salons des aufstrebenden Bürgertums nach Erweiterung des Geistes, unabhängig vom Stand, in den man hineingeboren ist.
Die Salonière hat einen großen Anteil an diesem Bildungsangebot, denn sie stellt die Besucherliste aus Habitués und Besuchern zusammen, die zur geistigen Bereicherung aktiv beitragen. Die meist heterogene Zusammensetzung der Gäste zwingt sie, ein „auf situative Harmonie“ bedachtes Verhalten zu beherrschen. Dadurch gelingt im Salon eine Art von Gleichberechtigung, die anderswo nicht zu finden ist: Das bürgerliche Rollenmodell steht gleichberechtigt neben dem aristokratischen und das weibliche neben dem männlichen. Die erotische Komponente in der Begegnung zieht sich wie ein roter Faden durch die europäische Salonkultur.
Читать дальше