„Noch ein bisschen Wasser für meine Hyazinthen!“ flüsterte das Blumenpferd, denn es hatte gerade von schönen Blumen geträumt, die es dabei war, mit einer Giesskanne zu begiessen.
Nun rieben sie sich den Schlaf aus den Augen und sahen matt auf den wild mit den Pfoten gestikulierenden Chinchillabären.
„Wo hast du die Tasche her?“ fragte das Blumenpferd und deutete mit einer seiner Pfoten auf die Brusttasche, die der Chinchillabär um den Hals hängen hatte. Es wünschte sich nämlich selbst eine Handtasche und dieser Brustbeutel sah ein bisschen aus wie eine Handtasche.
„Genau das will ich euch erklären!“ japste der Chinchillabär. Er erklärte, wie ihm der Makler Zettelmann ein Haus geschenkt hatte, komplett mit Vertrag und Schlüsseln und einem Brustbeutel, damit der Chinchillabär nicht gleich alles verlieren würde.
Nun redeten alle drei wild durcheinander. Das Tigereichhorn träumte von einer Garage, wo es Mondraketen, Amphibienfahrzeuge und Fahrräder bauen und aufbewahren könnte. Das Blumenpferd träumte von einem Gewächshaus mit exotischen Orchideen. Im Licht des winzigen Dachfensterchens studierten sie die Beschreibungen zum Haus und den Vertrag, den der Chinchillabär mitbekommen hatte.
Das Tigereichhorn hatte eine kleine Sammlung Landkarten und nun rollten sie eine dieser Karten auf dem kleinen Schreibtisch aus.
Sie entdeckten die Insel Schnurholm, auf der das Haus lag und stellten fest, dass diese recht klein war. Schnurholm war umgeben von einem See, dem Kleinen Bärensee – genau wie Zettelmann erklärt hatte. Dieser Kleine Bärensee wiederrum lag ziemlich in der Mitte des nur fünf Jahre alten Inselstaates Brummholm. Dorthin gab es eine Fährverbindung von einer Stadt, die Güldenhafen hiess und dort gab es auch einen internationalen Flughafen.
Sie sahen auch, dass Güldenhafen ziemlich weit weg war, genauer gesagt, noch weiter weg als Brummholm, aber das tat ihrer Begeisterung keinen Abbruch.
„Hurra, wir können schwimmen und Boot fahren!“ jubelte das Blumenpferd. „Ja, und Pilze sammeln und angeln!“ brummte der Chinchillabär zufrieden. „Und wir können ein Amphibienfahrzeug bauen, das Auto und Boot zugleich ist, dann brauchen wir nicht mit der Fähre reisen, sondern können selbst auf dem Wasser und auf dem Land fahren, wann immer es uns passt!“ fügte das Tigereichhorn hinzu.
„Schau, da liegt die grösste Stadt von Brummholm“, sagte das Blumenpferd und deutete auf einen orangeroten Fleck an der Küste. „Tatzenhausen heisst sie!“
„Welch ein gemütlicher Name für eine Stadt. Dort sind Bären sicherlich gern gesehen!“, meinte der Chinchillabär.
„In Tatzenhausen werden wir Arbeit suchen müssen, denn wenn es irgendwo auf Brummholm welche gibt, wissen die das bestimmt dort zuerst“, meinte das Tigereichhorn.
„Wer weiss, vielleicht können wir ja sogar Arbeit finden. Wir müssen sicherlich Geld verdienen, um alles Mögliche zu kaufen. Am Haus gibt es bestimmt viele Reparaturen zu erledigen, und dafür werden wir Werkzeug, Farbe und so weiter kaufen müssen“, meinte der Chinchillabär.
Sie redeten noch mehrere Stunden, bis es sehr spät geworden war. Da beschlossen sie, lieber ein Gute-Nacht-Gebet zu sprechen, anstatt noch länger weiterzureden, denn ansonsten würden sie wohl überhaupt nicht mehr zum Schlafen kommen. Sie hatten nämlich irgendwo gelesen, dass man alle seine Sorgen auf Gott werfen dürfe, dann bräuchte man sich nicht selbst damit herumzuplagen. Und ganz richtig – kaum hatten sie zu Ende gebetet, schliefen sie prompt ein. Nun träumten sie alle drei von Blumen, Booten, Pilzen und anderen schönen Dingen.
Gleich am nächsten Tag standen sie früh am Morgen vor der Tür des Brummholmer Konsulats um Pässe und Arbeitserlaubnisse zu bekommen. Endlich ging die Tür auf und ein Wachmann in Uniform führte sie zu einer kleinen Glastür im Inneren des Gebäudes.
Dort stand bereits ein anderer Wachmann. Durch ein Mikrophon fragte er die drei, ob sie Waffen oder elektronische Geräte dabeihätten. Der Lautsprecher schnarrte ziemlich, weshalb er ein wenig schwer zu verstehen war.
„Waffeln – nein, danke, wir haben schon gefrühstückt!“ antwortete der Chinchillabar artig.
„Waf-fen!“ wiederholte der Wachmann hinter der Glaswand. „Pistolen, Messer, Gewehre...!“
„Braucht man das etwa auf Brummholm?“ fragte das Blumenpferd entsetzt. Es hatte nämlich grosse Angst vor allem, was Lärm machen könnte oder wodurch man sich womöglich verletzen könnte.
„Er meint doch, ob wir etwas haben, was wir abgeben sollen!“ erklärte das Tigereichhorn, das in seinem Leben viel gereist war und solche Fragen von Wachtposten und Zöllnern gewöhnt war.
„Wir haben leider nichts mitgebracht, von dem wir etwas abgeben könnten, vielleicht ein anderes Mal!“ bemerkte der Chinchillabär kleinlaut und sah treuherzig auf den Wachmann.
Nachdem man sie von allen Seiten – auch von hinten, oben, unten und rundherum – gefilmt, geröntgt und fotographiert hatte, wurden sie in das Büro vom Herrn Konsul Knausermann geführt.
Zuerst mussten sie ein paar Minuten still herumsitzen und die Bilder von Brummholm, die an den Wänden hingen, betrachten. Es gab auch eine Flagge und eine Kopie der Eingangsseite des Brummholmer Grundgesetzes zur freien Besichtigung.
Dann endlich nahm der Herr Konsul Knausermann höchstpersönlich auf einem Ledersessel hinter einer weiteren Glaswand Platz und sprach durch ein Mikrophon: „Sie wünschen also auszuwandern nach Brummholm. Ihre Pässe bitte!“
Sie hatten aber keine Pässe.
„Dann müssen Sie erst welche besorgen und dann wiederkommen!“ schnarrte Knausermann und wippte auf seinem Lederstuhl. Er liebte es, wenn es quietschende Geräusche machte, wenn er mit dem Stuhl wippte. Es wurde still im Wartesaal. Eine Fliege brummte um eine alte, vergilbte Deckenlampe. Es rauschte leicht im Lautsprecher der Sprechanlage.
„Aber wir haben ein Haus auf Brummholm!“ protestierte der Chinchillabär und reichte den Vertrag, den er in seinem Brustbeutel dabeihatte, mit zitternden Pfoten durch die winzige Öffnung in der Glaswand.
Der Herr Konsul Knausermann klopfte ein paar Male mit den Fingerspitzen auf dem Vertrag herum, machte eine Kopie und wandte sich dann an den Chinchillabären, der mit grossen Pupillen, bebenden Schnurrhaaren und zitternden Ohrenspitzen hinter der anderen Seite der Glasscheibe wartete.
„Nun ja, wenn Sie staatenlos sind, können Sie Anträge auf Einbürgerung stellen und vorläufige Pässe für Staatenlose bekommen. Allerdings müssen Sie mir dann bitte hier jeder dieses Formular ausfüllen!“
Sie atmeten erleichtert auf. Gleich machten sie sich an die Arbeit. Nach einer Stunde reichten sie die ausgefüllten Anträge durch das Loch in der Scheibe.
Knausermann schmunzelte, als er die drei Anträge studierte. Es gab da natürlich noch ein paar Unklarheiten.
Zuerst kam der Chinchillabär dran. „In Kaukasien also sind Sie geboren. Wo genau?“
„Ach, das weiss ich nicht, ich hatte so eine unglückliche Kindheit, die meiste Zeit war ich in verschiedenen Kinderheimen, wo die genau waren, hat man mir nie erklärt!“ beteuerte der Chinchillabär.
„Na, ja, irgendetwas muss ich hier eintragen. Kaukasien gibt es nicht!“ Er las dem Chinchillabären die Namen von verschiedenen Ländern vor, die alle in der Kaukasus-Region lagen oder mit ihr angrenzten. Zuletzt entschied sich der Chinchillabär für Armenien. Er erinnerte sich nämlich, dass er früher mal sehr arm gewesen war, so wäre Armenien vielleicht passend. „Also gut!“ sagte Knausermann und stempelte alles ab.
Das Tigereichhorn erklärte, dass es zur See zur Welt gekommen sei, wohl aber familiäre Wurzeln irgendwo in Indien und auf Sri Lanka hätte. Dort gäbe es auch Tiger und sehr grosse Eichhörnchen.
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