Ich könnte den Appetit der Romantiker mit mehr kitzeln, aber es ist nicht definitiv genug, um solch einen Ruf vor den ungläubigen Leuten, die zu Hause sitzen und denken, dass sie alles wissen, was es über die Welt zu wissen gibt, aufgrund der Geschichten eines Reisenden rechtfertigen zu können. (…)
Die Tapuyas sind anständig wie die Briten. Sie haben Hände und Füße, die klein und grazil sind. Man findet sie im Osten Brasiliens. Sie sind Flüchtlinge einer älteren und sehr großen Zivilisation. Ihre Gesichtszüge sind von großer Schönheit und sie haben weißes, goldenes und goldbraunes Haar. Ihre Fähigkeit der Goldverarbeitung und des Edelsteinschnitts ist von hohem Grad. Sie trugen Diamanten und Ornamente aus Jade.
Aufgrund des großen Erfolgs seiner ersten Expedition, betraute die Society Fawcett mit der Leitung fünf weiterer Expeditionen in die südamerikanischen Regenwälder. Eine Aufgabe, der Fawcett nicht nur wegen der Stadt Z allzu gerne nachging. Nein, Fawcett war auch dem Zauber des Amazonas erlegen. Er selbst gab zu Protokoll:
(…) langsamer Fluss wie flüssiges Gold im Schein des Sonnenuntergangs. Die bedrohlichen dunkelgrünen Wände des Waldes kamen heran. Unerklärlich – erstaunlich – Ich wusste, dass ich diese Hölle liebte. Ihr teuflischer Griff hatte mich gefangen.
Auf all diesen Reisen hatte Fawcett natürlich auch immer Manoa im Hinterkopf. Und tatsächlich fand er weitere Hinweise – zum Beispiel einen blauäugigen, rothaarigen Indiojungen – für die Existenz der Stadt. Aber schlussendlich führten die Expeditionsrouten ihn nie so tief ins Mato Grosso, wie er es sich gewünscht hätte. Zwar waren nicht alle seine Expeditionen von so großem Erfolg gekrönt wie seine erste, aber dennoch lieferten sie unschätzbare Erkenntnisse für die Nachwelt und auch heute, mehr als hundert Jahre nach Percy Fawcetts erster Expedition, sind weite Teile des brasilianisch-bolivianischen Grenzverlaufs in unseren Karten und Atlanten exakt so eingezeichnet, wie Fawcett sie seinerzeit vermessen hatte. Gleiches gilt für die Bestimmung der Quelle des Rio Verde.
Ein weiteres einschneidendes Ereignis für Fawcett war der 1. Weltkrieg. Bei Ausbruch des Krieges war er von einem schnellen Ende und einem klaren Sieg des Empires ausgegangen. Die Realität auf den Schlachtfeldern sah anders aus. Entsetzt stellte er fest, dass seine Vorstellungen einer fairen Auseinandersetzung Relikte einer vergangenen Epoche waren. Desillusioniert kehrte er nach Großbritannien zurück. Er war fest davon überzeugt, dass Europa ein sterbender Kontinent war.
Auch wenn Fawcett es die Indios nie spüren ließ, kann man davon ausgehen, dass auch er von der Überlegenheit der europäischen Rasse überzeugt war. Auch diese Überzeugung wurde durch den 1. Weltkrieg bei Fawcett nachhaltig zerstört. Er sah die Zukunft nur noch in Amerika und kannte für sich persönlich nur noch ein Ziel: Er wollte, koste es was es wolle, die Stadt Z finden.
1925 war es dann endlich soweit. Fawcett hatte die Royal Geographic Society von der Bedeutung der Expedition überzeugt und zusätzliche Geldgeber für sein Vorhaben begeistern können. Im Februar des Jahres 1925 brach Fawcett schließlich in Begleitung seines Sohnes Jack und dessen Freundes Raleigh Rimmel, einem aufstrebenden Zeitungsfotografen, auf ins Mato Grosso.
In einem Telegramm teilte Fawcett seiner Frau Nina mit, dass die einheimische Trägermannschaft mit jedem Meter, der sie tiefer ins Mato Grosso führte, unruhiger und ängstlicher wurde.
Kurz hinter der Stadt Cuiabá war dann der Punkt erreicht, an dem sich die Träger weigerten weiterzugehen. Zu groß war ihre Angst vor wilden Indiostämmen und Ungeheuern, die in dem Gebiet leben sollten, das nun vor ihnen lag. Schweren Herzens entschied sich Fawcett, die Expedition allein mit seinem Sohn Jack und Raleigh Rimmel sowie zwei verbliebenen Trägern fortzusetzen. Am 20. April 1925 brachen sie mit Proviant für sechs Wochen und einem Kanu auf, um über einen Nebenarm des Rio Tocantins immer weiter ins Mato Grosso vorzudringen. Am 29. Mai 1925 erreichte der Trupp Dead Horse Camp, eine fest installierte Telegrafenstation, die von Expeditionen genutzt werden konnte. Dead Horse Camp kann man getrost als allerletzten Außenposten der Zivilisation betrachten. Fawcett nutzte diese Möglichkeit und telegrafierte an seine Frau Nina:
Unsere zwei Führer gehen von hier zurück. Sie werden immer nervöser und wir dringen weiter in das Indianerland vor. Du brauchst keine Angst vor einem Fehlschlag zu haben.
Dies war das letzte Lebenszeichen der drei Abenteurer. Am 30. Mai 1925 verschwanden Percy und Jack Fawcett sowie Raleigh Rimmel in der grünen Hölle des Mato Grosso. Fawcett hatte vor seiner Expedition die Royal Geographic Society ausdrücklich darum gebeten, im Falle seines Verschwindens keine Rettungsmannschaft loszuschicken, da er glaubte, sie würde das gleiche Schicksal erleiden.
Aber Fawcetts Verschwinden elektrisierte die Massen. Unzählige privat organisierte Gruppen machten sich auf den Weg, um Fawcett – so die gängige Vorstellung – aus den Händen feindlicher Indios zu befreien. Vergeblich. Und auch die groß angelegte Rettungsexpedition der Society, die trotz Fawcetts Mahnung losgeschickt worden war, musste, nachdem es zu einem Konflikt mit einem Indiostamm gekommen war, die Suche erfolglos abbrechen.
In der Öffentlichkeit wuchs die Überzeugung, dass Fawcett und seine Begleiter von einem feindlichen Indianerstamm am Rio Xingu getötet worden waren.
Nur seine Frau Nina wollte dies nie akzeptieren. Als 1933 einer von Fawcetts Theodoliten in einwandfreiem Zustand im Mato Grosso gefunden wurde, fühlte sie sich in ihrer Auffassung bestätigt. Noch 1940, gut fünfzehn Jahre nach dem spurlosen Verschwinden ihres Mannes und ihres Sohnes, schrieb sie in einem Brief:
Dies ist für mich der Grund zu glauben, dass Colonel Fawcett noch am Leben war und mit seinen Landvermessungsgeräten arbeitete – im Mato-Grosso-Regenwald – bis noch April 1933. Mein Ehemann war also noch am Leben und Arbeiten (…) und unter ständiger Aufsicht des Indianerstammes, der ihn, wie ich glaube, um 1926 oder 1927 gefangen nahm und bei dessen Volk er ausharren muss.
Nichtsdestotrotz erlahmte das Interesse der Öffentlichkeit an Fawcett nach und nach. Zwar gab es in den nachfolgenden Jahren immer wieder Berichte über rothaarige Indianer, die Nachkommen von Fawcett und seinen Begleitern sein könnten, aber eben alles nur im spekulativen Raum. Nichts Greifbares. Und schließlich erging es Fawcett wie schon so vielen vor ihm. Das Weltgeschehen preschte erbarmungslos voran und er wurde vergessen. Zumindest als reale Person. In Großbritannien war Fawcett mit den bedeutenden Schriftstellern Sir Henry Rider Haggard und Sir Arthur Conan Doyle befreundet gewesen.«
Der Beamer warf ein Foto von Arthur Conan Doyle an die Wand und dann eine Abbildung des ersten Covers von Die vergessene Welt. Als Jugendlicher hatte Lennard das Buch geliebt. Es berichtet von all den Abenteuern, die man als Junge doch so gerne erleben würde, erinnerte er sich wehmütig und hörte weiter aufmerksam zu.
»Literaturwissenschaftler gehen davon aus, dass gerade die bildlichen Schilderungen Fawcetts von seiner zweiten Reise, auf der er bis an den Fuß der Venezuelanischen Tafelberge, der Tepui, gelangte, Doyle zu seinem Roman Die vergessene Welt inspiriert haben. In Fawcetts Reisebericht heißt es:
Zeit und der Fuß des Menschen hatten diese Gipfel nicht berührt. Sie standen wie eine verlorene Welt, bewaldet bis zu ihren Spitzen, und die Fantasie vermochte sich dort die Überreste eines lange vergangenen Zeitalters auszumalen.
Darüber hinaus wird auch gemutmaßt, dass die Figur des Lord John Roxton in Doyles Roman an der Person Fawcetts angelehnt ist. Sollte dies zutreffen, so ist Fawcett zumindest ein literarisches Denkmal gesetzt worden. Und mehr noch: Zahlreiche Filmkritiker sind der Überzeugung, dass Percy Fawcett auch als Vorlage für George Lucas‘ Filmfigur Indiana Jones genutzt wurde.
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