1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 „Und?“
„Natürlich will ich die Unabhängigkeit der Basken, unser Euskadi, damit wir unsere Sprache Euskera und unsere Kultur behalten. Nach dem Ende des Königreiches von Pamplona hatten alle spanischen Landesherren an der Heiligen Eiche in Guernica geschworen, unsere Eigenständigkeit zu respektieren. Nur Franco nicht. Die Deutschen glaubten mir, nichts mit der Bombe in Bilbao zu tun zu haben. Ich bekam hier Asyl.“
Von Basken wusste ich bisher nur, dass es bei ihnen eine besondere Form von Mützen gab, die mein Französischlehrer gerne aufhatte, sonst aber vornehmlich von Franzosen getragen wurden. Mir fiel ein, während der Kubakrise erwogen zu haben, mich im Fall eines Krieges nach Spanien abzusetzen. Was hätten ihrer Regierung treu dienende Beamte mit einem desertierten deutschen Soldaten angefangen? Wenn schon die Basken Schwierigkeiten nur wegen einer eigenen Sprache hatten. Nur das mit der Bombe. Sah der große, blonde Wirt so aus, als könnte er Polizisten ermorden?
„In einem Francogefängnis hätte ich auch zugegeben, die Heilige Jungfrau vergewaltigt zu haben.“ Er deutete auf die Wand. „Bomben lösen nichts. Sie töten nur. Und dass Alexander der Große den Gordischen Knoten mit dem Schwert gelöst hätte, ist eine Erfindung antiker Faschisten.“
Picasso hatte auch viele nackte Frauen gemalt. Die Wand wäre schöner gewesen, wenn der Maler Horst Krohn solche Bilder kopiert hätte. Man bekam hier samtigen Portwein zu trinken und ein süßes, weinhaltiges Getränk mit Stücken von Ananas und Orangen, Sangria nannte es der Wirt und erklärte, man mische auch eine gehörige Portion Orangenlikör dazu. Ich bekam Kopfweh, wenn ich zu viel davon trank. Es wurden aber auch drei verschiedene Sorten von Bier serviert. Frisch vom Fass. Eines aus der Eifel, eines aus Ostfriesland und jenes Königliche Hofbräu von hier, das ich ja kannte. Für wenig Geld wurden kleine Schalen mit Oliven gereicht und geröstete Stücke von Weißbrot mit einer Sardellenpaste. Ein ordentliches Abendbrot brauchte ich ja nicht. Aber solche Tapas, wie der Wirt es nannte, ließ ich mir manchmal kommen, wenn ich nach Büroschluss auf einen Schluck in diese
Kneipe ging. Immer in der Hoffnung, die schöne Nina zu treffen. Samstags wäre sie oft hier, bevor sie und ihre Freunde in den Jazzkeller in der Calwer Straße gingen.
Am Wochenende musste ich mich selbst verköstigen. Ein Restaurant kam dafür nicht in Frage, weil die dreißig Mark, die mir nach dem Bezahlen der Essensmarken für die Kantine geblieben waren, durch Sangria und Königliches Hofbräu dahinflossen. Am Samstag kaufte ich gegen Mittag in dem Konsumladen um die Ecke zwölf Eier und einen Laib Brot. Das würde mir nach Frau Neumeiers Frühstück auch für den Sonntag reichen, und ich hatte noch genug Geld, wenn sich etwas mit dem Jatss ergab. Ich wollte in der Küche auf unserer Etage Rühreier zubereiten.
Die vier Stockwerke nahm ich die Treppen zwei Stufen weise hinauf, öffnete so in Fahrt die Korridortür und wollte in die Küche. Die Tür ging auch ein Stück auf, prallte aber wieder zurück mit Scheppern und Poltern und einem spitzen Schrei. Etwas kam hinter der halboffenen Küchentür hervor geschossen, eine gräuliche Schlange, die zu einem Menschen wurde, eine junge Frau, ein recht mageres Mädchen. Ich ließ vor Schreck die Tüte mit den Eiern fallen.
„Wer sind Sie denn?“, stammelte ich.
„Und wer sind Sie?“ Die Stimme klang zornig.
Ich schaute auf krause Falten um eine spitze Nase, und in blaue Augen, die wütend funkelten. Wie eine angriffslustige Schlange lauerte das Mädchen an der halboffenen Tür. Meine eben aufgekommene Entrüstung schwand gleich wieder. Die aus dem Papier sickernde, wässrige Gallertmasse mit gelben Schleiern wurde bedeutungslos. Bald würde sie an meinen Schuhen kleben. Ich zeigte mit dem Brotlaib in der Hand auf den Boden „Das hätte mein Mittagessen werden sollen.“ Meine Stimme schien ohne Kraft zu sein.
Das Mädchen, die junge Frau, steckte in einem grauen Rollkragenpullover und einem grauen Rock, aus dem zwei dünne Beine hervorschauten. Sie trat einen Schritt zurück, nahm etwas vom Boden auf und ließ die Tür in die Küche hineinschwingen. Sie hatte einen leeren Topf in der Hand. Auf den Küchenfliesen breitete sich eine dampfende Flüssigkeit aus, anregend duftende Bouillon, wie ich
nun merkte, Stücke von Karotten und Kartoffeln darin und Fleisch. „Das hätte mein Mittagessen werden sollen!“
„Ja.“
„Tollpatsch!“
„Entschuldigung.“
„Was nun?“
„Saubermachen, glaub ich, man müsste …“
„Frauenarbeit, natürlich!“
„Nein. Ich helfe. Bei der Bundeswehr habe ich alles Mögliche schrubben müssen.“
„Und was esse ich dann?“
„Ich habe hier noch das Brot.“ Mein Friedensangebot.
Ihrer Mimik und ihrem Blick nach schien sie es aber nicht annehmen zu wollen. Sie drehte sich um. Mit ein, zwei, drei Schritten war sie im Inneren der Küche, an der Spüle unter einem Fenster, und stellte den Topf in den Ausguss. Dann öffnete sie die Tür zu einer Kammer, aus der sie Schrubber, Wischlappen und zwei Eimer hervorholte. Einen Eimer füllte sie mit Wasser und Spülmittel und tauchte den Wischlappen hinein, den anderen drückte sie mir in die Hand.
„Lesen Sie alle festen Stücke auf und werfen Sie alles da hinein.“ Ich hatte damit Ei und Bouillon an den Schuhen und, es ließ sich nicht vermeiden, auch an der Hose. Jeder Quadratmeter, den ich von fester Nahrung befreite, wurde von ihr mit dem Wischtuch aufgenommen. Zwischendurch stellte sie einen großen Topf Wasser auf den Gasherd. „Mit heißer Seifenlauge die Fettreste vom Boden zu wischen, würde ich gerne machen.“ Sie schaute zu, wie ich mit Lappen und Schrubber über Fliesen und Parkett fuhr, ganz gründlich, immer wieder von neuem, bis nichts mehr glitschig war. „Das können Sie ganz gut.“ War es ein Lob oder war es Spott? Auf ihrem Pullover zeichneten sich nur zwei kleine Beulen ab, und von einem Hintern war auch nicht viel zu sehen. Sie war wohl mehr mager als schlank. Sie sind der neue Mieter, nicht wahr? Wie heißen Sie überhaupt? Ich nannte meinen Namen. Und sie war Karin Schormann, das nette Fräulein. Wir räumten die Putzsachen weg und wuschen uns gemeinsam im Bad die Hände. „Hier hängt kein
Handtuch von Ihnen.“ Da hingen doch drei. Ich bemerkte die kleinen Namensschilder über den Haken. Das blaue Frotteehandtuch war ihres. Handtücher hatte ich gar nicht dabei.
„Ich habe zwei Dosen mit Makrelenfilets in Tomatensoße. Wenn Sie eine wollen, gebe ich sie Ihnen.“
„Gerne. Ich teile das Brot mit Ihnen.“
„Ach was…“
„Doch, doch…“
Ich folgte ihr in ihr Zimmer. Das Fenster ging hier zur Straße hinaus. Man hörte Autos vorbeifahren. An einer Wand stand ein Wohnzimmerschrank, der aussah wie zwei übereinander gestellte Eisenbahnwaggons. Sonst war es eingerichtet wie meines. Im Ofen brannte ein Feuer. Auf dem Blech daneben waren Briketts gestapelt. Es war angenehm warm bei ihr. Sie ging an den Wohnzimmerschrank und holte eine flache Konserve heraus. Geben Sie mir ein Messer, damit ich das Brot durchschneiden kann. Lassen Sie das. Sie können mir den Fisch oder so etwas Ähnliches am Montag zurückgeben. Ja, aber das Brot möchte ich gerne mit Ihnen teilen. Es war ja meine Schuld, weil ich die Küchentür so ungestüm… Sie gab mir ein Brotmesser. Wir können zusammen hier essen, wenn Sie wollen. Schneiden Sie Scheiben für uns beide von dem Brot. Auf ihrem Tisch lag eine weiße Decke mit blauen Stickereien. Sie legte einen aus Weiden geflochtenen, flachen Korb darauf. Da sollten die Brotscheiben hinein. Wie ich das Brot schnitt, den Laib auf die Brust gepresst, über den Brotkorb gebeugt, wegen der Krümel, kamen Teller, Gläser und Besteck dazu, eine offene Butterdose und zwei kleine Schalen mit den Fischfilets in Tomatensoße. Ich sah auf, als sie mit einer Flasche am Tisch stand.
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