»Nannte er seinen Namen?«, hakte ich nach.
»Klar, habe ich aber vergessen, irgendetwas mit ›el‹ am Ende, so wie sie eben alle heißen. Das Engelchen trug einen Smoking und ein Glas Champagner in der rechten Hand, das er aber auf seinem Heiligenschein abstellte, als er mir die Baupläne überreichte«, erläuterte Dyna. »Ein wirklich schnuckeliges Kerlchen, dunkles Haar, sehr gut gebaut, wäre selbstredend eine Sünde wert gewesen«, meinte sie süffisant, wurde aber wieder ernst. »Dem äußeren Anschein nach zu urteilen, scheinst du die besten Verbindungen bis ganz nach oben zu haben.«
»Das war doch nur Barbiel, ein alter Kumpel von mir. Damals ein schlimmer Finger, ein Gefallener, wurde aber rehabilitiert. Lass lieber deine Krallen von ihm, sonst bekommst du es mit meiner Tochter Mara zu tun. Wieso denkst du, ich hätte eine Connection nach oben?«
»Weil er nicht zufälligerweise vorbeischaute, sondern wie gesagt, spulte er das volle Programm mitsamt des ganzen Tralalas ab. Er behauptete, im Namen des Herren zu mir gesandt worden zu sein, was schon mal ein echtes Unding ist. Ich bin stolz darauf, durch und durch eine Sünderin zu sein. Aber der Engel meinte, du hättest etwas gut bei IHM, also Jahwe, seinem Dienstherren. Angeblich wegen einer Sache in Megiddo, ein verhindertes Armageddon. Was hat das zu bedeuten?«, begehrte Dyna zu wissen.
»Ist eine ziemlich lange und komplizierte Geschichte. Die Apokalypse konnte noch rechtzeitig verhindert werden, sonst säßen wir jetzt nicht hier, so viel sei dazu gesagt«, blockte ich gelangweilt ab.
»Aha, normalerweise befürchtet jeder, der dich etwas besser kennt, du könntest eher die Apokalypse auslösen, als sie, entgegen aller Erwartungen, verhindern«, bemerkte sie spitz.
»Hey, was soll denn das schon wieder heißen? Machst du mir etwa genauso Vorwürfe wie Connie? Weib, erzähl jetzt, was passierte!«, knurrte ich ungeduldig.
»Okay, er sagte, Jahwe hätte ihn geschickt, weil sein Boss ein Gebet erreichte. Kaum zu glauben, jemand könnte um deinethalben zum lieben Gott beten«, frotzelte Dyna und fing sich von mir einen eisigen Blick ein. »Na ja, ich dachte, Odin wäre für dich zuständig. Kurzum, jemand betete für dich, und da du beim obersten Boss etwas gut hattest, wurde das Gebet erhört und ich unfreiwillig, im Namen des Herren, als verlängerter Arm beauftragt. Barbiel ließ mir die Baupläne von der Ringzentrale da, damit ich sie studieren konnte. Es ist nicht lustig, mitten in einer Wand zu stecken, nur weil man sich irgendwo hinein teleportiert, von dessen Örtlichkeiten man keine Ahnung hat«, erklärte sie und schob sich das purpurfarbene Haar aus den Augen. Dyna und ich kannten uns schon eine halbe Ewigkeit. Auf mich machte sie im Moment den Eindruck, als verschweige sie mir einen erheblichen und wichtigen Teil der Geschichte.
»Ach ja«, schien sie sich plötzlich zu entsinnen. »Du hast Besuch! Bist du bereit?«
»Echt, du hast Nerven!«, knirschte ich. »Wie lange wartet die Person schon dort draußen vor der Tür?«
»Gar nicht, ich habe versprochen Bescheid zu sagen!«, erwiderte sie und verschwand so schnell, dass mir beim Zusehen übel wurde. Teleportation ist nichts für empfindliche Gemüter.
»Herrgott Dyna! Ich hasse es, wenn du das machst!«, grunzte ich ins leere Zimmer. Es schwieg vorwurfsvoll.
Wenig später hörte ich Dyna vor meiner Zimmertür mit jemanden reden. Sie sagte, sie sollten sich an die Abmachungen halten. Die Stimmen waren mir bekannt und ich war sehr aufgeregt. Dann klopfte es an die Zimmertür und Sascha streckte ihren Kopf ins Zimmer.
Bei den Göttern, ich kann euch gar nicht sagen, wie mir ein Stein vom Herzen fiel.
»Buonasera. Darf ich reinkommen?«, fragte die Kleine.
»Ja, komm nur rein, ansonsten können wir kaum ein vernünftiges Gespräch führen.«
Sie trat ein und schloss hinter sich die Tür, dann warf sie mir einen verunsicherten Blick zu.
… Sascha ist nicht meine leibliche Tochter, sondern das Kind von Amanda. Ich mache da aber keinen Unterschied, auch wenn nicht mein Blut durch ihre Adern fließt. Sie ist meine Adoptivtochter und ich liebe das Mädchen wie mein eigenes. Nur verhält sie sich manchmal eben nicht so wie mein leibliches Kind. Vielleicht kann ich aber auch von Glück sagen, dass es so ist. Zumindest beansprucht sie den Status, in unserer Familie der einzige, vernünftige Mensch zu sein, was ihr keiner abspricht, weil es nun mal stimmt. Ructus ist ein Teufelchen, Agnir ein Vampir-Hybride, auch Dhampir genannt, Annie eine Vampirin und ich bin ebenfalls ein Vampir ...
»Ragnor? Es tut mir leid!«, meinte Sascha, kam näher und setzte sich auf die Bettkante.
»Wie? Das verstehe ich nicht. Was tut dir leid?«, fragte ich leicht irritiert.
»Na, weil ich doch von dir verlangte, du solltest diesen Kolbyr Faksen töten«, erklärte Sascha aufgeregt. So kannte ich sie überhaupt nicht. Doch anstatt sich zu beruhigen, wurde sie immer erregter. »Das war Böse! Ich hätte das nicht von dir verlangen sollen. Dabei wusste ich doch, du würdest es für mich tun, weil du denkst, ich hätte dich nicht lieb, weil du nicht mein richtiger Vater bist. Und du hast diesen Faksen getötet und jetzt bist du in Schwierigkeiten, nur wegen mir!«, rieb sie sich die Tränen aus den Augen, weil sie nicht wie ein kleines Kind dastehen wollte.
»Hey, Sascha«, legte ich tröstend meinen Arm um sie. »Hör mal, was du da erzählst, ist absoluter Quatsch. Glaubst du, ich würde ohne zu überlegen, einfach losziehen, nur weil du es so wünscht? Nein, ich habe mich dazu entschlossen, weil dieser Faksen es verdiente! Ich tat es für dich, Agnir, und für deine Mutter. Na klar, für mich tat ich es auch. Ich wollte nicht, dass der Mörder die gleiche Luft wie ihr atmet«, erklärte ich. »Und weißt du was? Es ist mir völlig egal, in was für Schwierigkeiten ich stecke. Hauptsache ihr seid bei mir!«, munterte ich sie auf, so dass Sascha wieder lächelte.
»So will ich mein kleines Mädchen sehen. Du bist wirklich tapfer. Äh, sag mal, sind deine Oma Nana (Annie) und dein Bruder auch hier?«, hakte ich nach.
»Ja, und Ructus natürlich auch«, nickte sie. »Sie sind alle wegen mir hier!«, meinte sie im Brustton der Überzeugung.
Genervt verdrehte ich die Augen: »Sascha, erklärte ich dir nicht gerade, es wäre nicht deine Schuld?«, fragte ich geduldig.
»Nein, das verstehst du nicht. Ich war es, die zum lieben Gott gebetet hat«, erwiderte sie ein wenig verlegen und betrachtete nachdenklich ihre rosa lackierten Fingernägel.
»Wie jetzt, du warst das mit dem Gebet?«, fragte ich entgeistert.
… Wieso ich so erstaunt war? Ganz einfach: Meine verstorbene Frau Amanda glaubte nicht an Gott, und so ging ich davon aus, bei Sascha verhielte es sich genauso ...
»Ja«, gab sie kleinlaut zu und biss sich auf die Unterlippe.
»Glaubst du an den lieben Gott?«, fragte ich neugierig.
»Na ja, nicht so, als sei er irgend so ein alter Opa, der gelangweilt im Himmel herumsitzt. Eigentlich wusste ich, dass es eine Hölle gibt. Ructus erzählt immer sehr viel von seiner Zeit, als er noch dort unten war. Es gibt also folglich den Satan. Und Barbiel ist ein Engel und erzählte mir vom Himmel und den anderen Engeln. Also, wenn es eine Hölle mit Satan gibt, muss im Himmel der liebe Gott sein. Und da ich so verzweifelt war und vor allem, weil ich jemanden den Tod gewünscht habe, betete ich zum lieben Gott, in der Hoffnung, er möge mir meine Sünden vergeben, damit ich nicht in die Hölle komme. Und ich wollte natürlich, dass wir wieder alle zusammen sein können«, endete sie ihre Rede.
»Okay, das muss ich erst mal sacken lassen. Nur durch´s Gebet, werdet ihr wohl kaum hierhergekommen sein, oder?«
»Nein, das wäre sicherlich komisch«, kicherte Sascha. »Nein, wir sind von Onkel Ron hierher gebracht worden. Als Tante Dyna mit Nana besprach, wie sie dich am besten retten könnte, rief Nana ihren Sohn Ronald an, damit er uns mit dem Flieger in Sicherheit bringt. Wir durften jeder nur Kleidung und zwei Sachen mitnehmen«, grinste Sascha.
Читать дальше