1 ...7 8 9 11 12 13 ...28 Mein Sohn verzog das Gesicht. »Ach männo! Ich bin noch gar nicht müde! Und bitte keinen Nachtkuss mehr, ich bin schon groß!«
»Keine Widerrede!«, schickte ich ihn zu Bett. So ganz schien ihm das nicht gegen den Strich zu gehen, denn er grinste schon wieder so geheimnisvoll. Irgendetwas verbarg er vor mir, da war ich sicher.
»Na, dann... Gute Nacht, Papa!«, trollte er sich und verließ stolz den Raum.
Dyna kam herein, erklärte mir wo meine Kleidung und das Rasierzeug verbunkert war. »Ein süßer, blonder Junge... Ach ja, das Bad ist dort«, zeigte sie auf eine Tür, die mir bisher entgangen war.
»Ja, ein süßer Junge, aber ihn wirst du niemals bekommen, verlass dich drauf!«, knurrte ich verärgert. »Was ist das für eine Abmachung, die du vor den Kindern erwähntest?«
»Ach, nichts Besonderes. Wir wollten, dass sie dich nicht aufregen. Schließlich warst du drei Tage völlig daneben«, tat Dyna die Sache lapidar ab. Doch irgendetwas störte mich an dieser Aussage.
»Wer ist wir? Das sagtest du vorhin auch schon einmal«, stellte ich sie zur Rede.
Dynas Miene wurde frostig. »Das wirst du früh genug erfahren. Ich an deiner Stelle, würde mich ein wenig zurechtmachen. Der Herr des Hauses will dich sehen. In einer viertel Stunde komme ich dich abholen«, machte sie kehrt und verließ das Zimmer.
»Ja, lauf nur davon! Ich werde es eh herausbekommen!«, rief ich ihr hinterher. Da sie nichts erwiderte, widmete ich mich der Körperpflege. Und wie Dyna prophezeite, erschien sie genau eine viertel Stunde später. Sie nickte zufrieden, als sie mich beäugte.
»Schon besser. Zumindest siehst du nicht mehr wie der rothaarige Bruder des Yeti aus«, stellte sie fest. »Gut, folge mir!«
»Hey, der Yeti ist ein guter Freund von Connie. Lass ihn das bloß nicht hören«, witzelte ich zurück und heftete mich an Dynas Fersen.
Das Haus schien nicht so verlassen, wie ich zuerst vermutet hatte. Es ging hier nur gesittet und ruhig zu. Doch hörte ich ab und zu Stimmen, die sich leise miteinander unterhielten. Und das in allen erdenklichen Fremdsprachen. Was war das hier? Ein Ashram? Jedenfalls von den Maßen her, bekam ich langsam eine Vorstellung unseres Exils. Wir befanden uns in einem alten Palazzo, dem Herrenhaus des Gutshofkomplexes. Woher ich das wusste? Es roch ganz erbärmlich nach Stall. Der Wind stand gerade so ungünstig, dass er die Ausdünstungen des Misthaufens direktemang in die Arkadengänge wehte. Na toll. Wir stiegen eine große, steinerne Treppe ins Erdgeschoss hinab.
Weiterhin ging ich meinen Beobachtungen nach, machte mir innere Notizen und zog meine Schlüsse, sodass ich gar nicht registrierte, wie Dyna urplötzlich stehen blieb. Gerade konnte ich noch mein Tempo drosseln, sonst hätte ich sie von den Stiefelsohlen gerempelt. Sie öffnete eine große, von innen gepolsterte Tür.
»Bitte, tritt ein. Er wird gleich bei dir sein«, nickte sie ins Zimmer.
»Eine von innen gepolsterte Tür? Lass mich raten. Hier wohnt der Ober-Jeck!«, grinste ich und entblößte meine frisch geputzten Beißerchen.
»Nein, nur jemand mit sehr empfindlichen Ohren. So, und jetzt sei brav und setz dich irgendwo hin, nur nicht auf den Chefsessel am Schreibtisch, klar?«, schob sie mich ins Zimmer und schloss hinter mir die Tür. Tja, was soll ich sagen? Wenn ein Raum etwas über seinen Bewohner, bzw. Besitzer aussagt, dann musste es sich beim Hausherren um Marco Polo, oder dessen Nachkommen handeln. Der Raum wirkte wie ein Überseemuseum. An der Wand mit den Fenstern, hingen afrikanische Masken, Schilde und Speere. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein riesiger chinesischer Gong. Allem Anschein nach, versteckte der Kerl den Klöppel, weil es nicht nur mich zu jucken schien, dieses Ding mal auszuprobieren. Darüber hing eine Art Aztekenkalender und etliche nepalesische Gurkha-Messer. Kukuhri, heißen diese seltsamen, wie Bumerangs geformten Messer. Mit Waffen kenne ich mich bestens aus. Aber es gab noch viele andere interessante Objekte zu untersuchen. Am Fenster stand ein Teleskop. Ich trat näher und spähte hindurch. Das Okular war nicht auf den Sternenhimmel gerichtet, sondern auf eine einsame Straße, die direkt zum Grundstück führte. Sehr interessant. Höchstwahrscheinlich war ich nicht der Einzige, der unter Verfolgungswahn litt. Neben dem Teleskop stand ein kleines Schränkchen mit einem Globus. Hinter dem dominant wirkenden Schreibtisch hingen schmückend: Ein Seidenkimono und zwei Fächer. Darunter standen jeweils symmetrisch angeordnet, zwei riesige Porzellanurnen, feinst bemalt. Weiter links stand ein Paravent und davor, kaum zu glauben, eine uralte Kamera auf vier Standbeinen. Ich rede von so einem Ding, dass vorne wie eine Ziehharmonika gefälzelt ist. Auf dem großen Schreibtisch stand ein uralter Ventilator und ein ebenso betagtes Telefon - so ein schwarzes mit Wählscheibe(!!!!!), das ebenso gut Philip Marlowe - seines Zeichens Privatdetektiv - gehören könnte. Auf der Schreibunterlage stapelten sich Atlanten, Briefe und Papiere, die allesamt einen sehr betagten Eindruck machten. Ich warf einen Blick drauf und erkannte ein uraltes Papyrus, beschrieben mit seltsamen Hieroglyphen. Ich ließ weiter mein Auge schweifen. Zwischen Schreibtisch und Ledersitzgruppe, stand ein marokkanisches Tischchen mit typischer Teekanne und den obligatorischen Trinkgefäßen, mehrere lederne Sitzkissen und eine Shisha-Pfeife. Von der gegenüberliegenden Wand, die eingebaute Bücherregale beherbergte, guckte mich der Kopf einer Antilope traurig an. Gleich darunter hing das Gewehr, welches ihr diesen Zustand beschert hatte. Ich kam nicht umhin, dem ausgestopften Tier die Stirn zu kraulen. »Na, du armes Ding? Haben sie dich eingemauert?«
Anschließend schweifte mein Blick über den Glastisch der Sitzgruppe. Dort lag die in der Mitte gefaltete, druckfrische Ausgabe der Tageszeitung La Nazione. Ich griff sie mir, entfaltete sie und musste mich daraufhin erst einmal hinsetzen. Vom Titelblatt sah mich das Foto meines Sohnes an, darüber die Schlagzeile: Learjet von norwegischem Multimilliardär in den Alpen zerschellt.
Mir rutschte das Herz in die Hose. Was war nur mit Gungnir passiert? Völlig fassungslos las ich den Artikel durch. Seine Leiche wurde bisher noch nicht gefunden, weil das Absturzgebiet unwegsam und äußerst schwer zu erreichen war. Zumindest saß ich schon mal, als sich die Tür öffnete und ich jemanden erblickte, mit dem ich erst recht niemals gerechnet hätte. Eigentlich dachte ich, der Tag könnte nicht schlimmer werden, doch weit gefehlt! Schlimmer geht´s immer. Mir entwich lediglich: »Was zum Teufel?... Du?«
*
Wenn der Tod dich nach dem Weg fragt, weise ihn zur Tür des Nachbarn.
(Cicero)
Die Welt meinte es wirklich gut mit Cornelius. Vielleicht war es auch eine höhere Macht, die ihm diesen seligen Schlummer zukommen ließ. Allerdings konnte es auch gut möglich sein, dass er gar nicht schlief, sondern einfach nur ohnmächtig geworden war. Diese beiden Optionen waren allemal besser, als bei vollem Bewusstsein neben Cassandra zu sitzen, wenn sie wieder einmal am Steuer saß und fuhr, als sei sie diejenige, die eindeutig an der Spitze der Nahrungskette stand; was im gewissen Sinne eindeutig stimmte. Schließlich war Cassandra eine Drachenfrau. Selbstverständlich saß sie nicht in der Gestalt eines Drachen am Steuer. Sie hätte gar nicht ins Auto hineingepasst. Sie bevorzugte die Erscheinung einer wohlgeformten Brünette, mit atemberaubender Figur und jeder Menge Charisma und Goldschmuck. Drachen lieben Gold. Allen Äußerlichkeiten zum Trotze - sie fuhr Auto, so wie sie normalerweise flog - und das Bremsen war in ihren Augen nur etwas für Feiglinge.
Wenn es nach Cornelius gegangen wäre, wäre er lieber zuhause geblieben, anstatt mit dem Auto in die Schweiz zu fahren. Außerdem wäre er sowieso lieber geflogen, allerdings in einem Flugzeug und nicht mit eigenen Flügeln. Doch Cassandra drängte ihn, sie müsse in der Schweiz dringende Geschäfte tätigen, obwohl sie zuerst, ebenso wie er meinte, sie bräuchten nicht in die Flitterwochen zu fahren, da sie mit dem Einrichten ihres neuen Heims genug zu tun hätten, und so in trauter Zweisamkeit, ihre Zeit verbringen könnten. Cornelius fragte sie, wieso sie diese Geschäfte nicht online tätigte, worauf ihm seine Gemahlin zur Antwort gab, einiges müsse man eben selbst persönlich vor Ort erledigen. Ein anderer Grund, wieso Cornelius sich so sträubte, war der, dass er Salomons Ring nicht aus den Augen lassen wollte. Seit Ragnors Verschwinden war es ihm unmöglich, auch nur einen Tag abwesend zu sein. Selbstredend hatte Ragnor dieses strenge Urteil verdient, weil er gegen den Kodex verstoßen hatte. Wenn auch nicht direkt, so war er doch indirekt für den Tod eines Menschen verantwortlich. Aber der Hüne hatte ihm die Augen geöffnet. In der Tat lief irgendetwas nicht mehr ganz rund in dieser Organisation. Der Graue wollte sich keinesfalls aus der Führungsspitze verdrängen lassen, gerade wo er doch vor knapp einem Jahrhundert selbst diese Organisation ins Leben gerufen hatte. Er sah es nicht ein, eiskalt und dreist abserviert zu werden.
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