Nadja Hummes - Der Wurbelschnurps

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Manchmal trägt der Wurbelschnurps einen Hut. Eine Melone, um genauer zu sein. Allerdings nur, wenn ihm außerordentlich kalt ist.
Manchmal trägt er auch weiße Handschuhe. Aber nur dann, wenn er sehr altes, sehr empfindliches Papier berührt.
Er ist ein Bücherwurm und kommt aus einer Welt, die der unsrigen gar nicht mal so unähnlich ist. Bis auf ein paar kleine Unterschiede, versteht sich.
Diese Welt heißt Amarythien. Sie ist mit keinem herkömmlichen Transportmittel zu bereisen.
Man braucht Phantasie und ein reines Herz, um dorthin zu gelangen.
Finella hat beides.

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Der Wurbelschnurps

von

Nadja Hummes

Prolog

Der Wurbelschnurps ist ein helles freundliches Wesen.

Er leuchtet. Von innen heraus. Von außen kann man das gar nicht immer so ganz genau sehen. Wenn man ihm allerdings in seine Augen schaut, dann erkennt man es. Vorausgesetzt, man kann ihn sehen. Finella kann es. Finella kann den Wurbelschnurps sehen. Und sie liest gerne. Nicht jedes Buch, nein. Manche Bücher.

Ja, so ist Finella.

Und der Wurbelschnurps?

Der Wurbelschnurps ist ein Bücherwurm. Kein normaler Bücherwurm, versteht sich. Er kann nämlich zwischen seinem Heimatland Amarythien und der Welt der Bücher lesenden Menschen hin und her wandern. Ganz wie es ihm beliebt. Bei manchen Menschen fühlt er sich unwohl. Die mag er nicht. Bei Finella fühlt der Wurbelschnurps sich wohl. Aus diesem Grunde ist er gerne bei ihr.

Nun, ihr könnt euch wohl denken, dass die beiden eine ganze Menge Geschichten zusammen erleben. Kleine Geschichten und große Geschichten. Spannende Geschichten, – aber auch solche, die einfach nur so vor sich hin plätschern. Lustige Geschichten und traurige Geschichten. Schöne und wohltuende Geschichten.

Abends, nachdem Finella eingeschlafen ist, krabbelt der Wurbelschnurps hin und wieder in eines der vielen Bücher, welche Finella gehören. Dort schlüpft er zwischen die Buchseiten und wandert nach Amarythien.

Na gut, genau genommen wandert er manchmal sogar auch des Tages nach Amarythien. Mal in der Frühe oder nach dem Mittagessen. Mal nachmittags oder vor dem Abendbrot.

Finella stört das nicht. Sie weiß ja, dass er wiederkommt. Außerdem weiß sie auch, was der Wurbelschnurps in seinem Heimatland Amarythien macht, wenn er dort ist. Na ja, zumindest so ungefähr. Er besucht den alten Dorjas. Und der alte Dorjas hört dem Wurbelschnurps aufmerksam zu, was dieser ihm aus der Menschenwelt im Allgemeinen und Finellas Erlebniswelt im Besonderen so zu erzählen hat. Dann trinken die beiden eine Tasse Tee. Danach berichtet der alte Dorjas dem Wurbelschnurps von den Ereignissen in Amarythien und der Wurbelschnurps hört nun ihm aufmerksam zu. Anschließend trinken die beiden wieder eine Tasse Tee.

Während sie ihren Tee trinken, überlegen sie, ob es etwas Wichtiges gibt, das getan werden muss. Und wenn ja, was. Das leere Glas Lakritzschnecken wieder auffüllen, zum Beispiel. Oder bei den Bewohnern Amarythiens nach dem Rechten schauen und, wenn notwendig, die Dinge wieder in das rechte Lot bringen.

Manchmal aber gibt es überhaupt nichts zu tun. Das ist prima, denn dann kann man so schön verweilen. Und Tee trinken. Und Lakritzschnecken essen. Und den Blick über Amarythien schweifen lassen.

Dieses herrliche Land, von dem der Wurbelschnurps Finella immer etwas zu erzählen weiß.

Das Tal der stinkenden Auswürfe

Finella starrte seufzend aus dem Fenster. Draußen strahlte herrlicher Sonnenschein.

„Mannometer! Das kotzt mich an!“ Missmutig verzog sie ihre Augenbrauen.

„Also höre einmal, so geht das aber nicht“, sagte der Wurbelschnurps, während er über ihre Bettdecke lief. „Du kannst doch nicht in solchen Ausdrücken sprechen.“

„Na, ist doch wahr. Da draußen scheint die Sonne und ich liege hier mit dieser blöden Erkältung im Bett. Es kotzt mich an.“

„Ich glaube dir ja, dass es dir langweilig ist und du lieber hinaus in die Sonne möchtest. Trotzdem kannst du so nicht sprechen. Nicht in diesen Worten“, beharrte der Wurbelschnurps.

„Wieso nicht?“

„Na, ist dir denn nicht klar, was du dadurch anrichtest?“

„Was soll ich dadurch denn schon groß anrichten?“

„Eine ganze Menge. Und nicht nur du. Leider gibt es viele Menschen, die des Öfteren allerlei gräuliche Worte und Redewendungen gebrauchen. Da du aber der einzige Mensch bist, der mich sehen kann, so kann ich auch nur dir von Amarythien berichten. Und wir in Amarythien leiden schrecklich darunter, wenn Menschen solch gräuliche Worte oder Redewendungen dieser Art gebrauchen.“

„Na und? Vielleicht ist das etlichen Menschen egal. Vielleicht ist es sogar auch mir egal? Was soll da schon groß passieren? Du mit deinen Erzählungen von Amarythien. Das sind doch alles bloß Märchen.“

„So würdest du nicht sprechen, wenn du Amarythien kennen würdest. Wärest du schon einmal dort gewesen und hättest es mit eigenen Augen gesehen, dann würdest du anders reden.“

„Hab' ich aber nicht.“

„He, lass deine schlechte Laune nicht an mir aus.“

Finella versank in ein kurzes Schweigen. Bald darauf überkam sie ein hartnäckiger Schüttelfrost. Sie vergrub sich in ihre Kissen.

„Wurbelschnurps?“

„Ja, Finella?“

„Mir ist so elendig kalt. Und ganz furchtbar heiß. Mir tut alles weh. Ich will gar nicht so maulig sein. Ich möchte doch einfach nur wieder gesund sein. Und in die Sonne.“

„Na ja, ein klein wenig wird es wohl noch dauern. Ein klein wenig. Nicht mehr lange, dann bist du wieder gesund.“

„Du hast es gut, Wurbelschnurps. Du brauchst bloß in die Seiten eines Buches zu hüpfen und schon kannst du nach Amarythien reisen. Und wenn du genug von Amarythien hast, dann machst du dich einfach wieder auf den Weg zu den Menschen. Du hast es gut.“

„Oh, weißt du Finella, im Grunde ist das eine ganz einfache Angelegenheit. Soll ich dich mal mitnehmen?“

„Geht denn das?“

„Weiß ich nicht. Aber…“

„Merk dir, was du sagen wolltest. Ich muss kurz aufs Klo“, unterbrach Finella ihn, stand auf und verschwand im Badezimmer.

Zwei Minuten später rauschte die Klospülung.

„So, wieder da“, sagte Finella, während sie wieder in ihr Bett kletterte. „Wie war das jetzt? Du kannst mich nach Amarythien mitnehmen?“

„Ich denke schon“, erwiderte der Wurbelschnurps. „Ich bin kein normaler Bücherwurm. Und du bist kein normales Menschenmädchen. Ich meine, überlege doch einmal: Du kannst mich sehen und ich kann zu dir kommen.“

„Stimmt. Also abgemacht. Du nimmst mich nach Amarythien mit und ich gebrauche weniger gräuliche Ausdrücke“, nuschelte Finella schlaftrunken.

Kurz darauf, lag sie bereits in tiefem Schlaf.

So eine massive Erkältung war ziemlich ermüdend.

*

Als Finella am nächsten Morgen erwachte, gähnte sie lautstark, wuschelte sich durch ihre Haare und schlurfte in das Badezimmer.

Der Wurbelschnurps lag eingerollt auf ihrem Kopfkissen. Er sah ihr nach.

Finella putzte sich die Zähne und verrichtete ihre morgendliche Notdurft. Anschließend warf sie einen kurzen Blick in die Küche. Ein Zettel lag auf dem Küchentisch. Mama war schon auf der Arbeit. Unter einer Abdeckhaube lagen frisch belegte Brote auf einem Teller bereit. Später. Finella hatte im Moment keinen Hunger.

Sie ging in ihr Zimmer zurück und kroch unter die noch warme Bettdecke. Der Wurbelschnurps reckte und streckte sich. Er schüttelte seine vielen kleinen Beine in sämtliche Richtungen aus. Abwartend sah er Finella an. Sie blinzelte.

„Wollen wir uns heute auf den Weg machen?“ fragte er sie.

„Wohin?“

„Nach Amarythien. Wir hatten doch darüber gesprochen.“

„Ach so, ja. Ja, gerne. Ein Glück, dass ich zur Zeit krank geschrieben bin. Wie machen wir das? Ich meine: Wie vollziehen wir die Reise nach Amarythien?“

„Du nimmst einfach ein Buch, schlägst es auf einer beliebigen Seite auf und legst deinen Finger auf mich.“

„Ich lege meinen Finger auf dich?“

„Ja, und du lässt nicht los.“

„Na gut“, sagte Finella, während sie sich in ihrem Zimmer umsah. „Das ist mal etwas anderes, als in dem blöden Schulbus mitzufahren. He, habe ich dir schon einmal davon erzählt, dass einige Schüler jeden Tag von ihren Eltern zur Schule gebracht und abgeholt werden? Mit dem Auto! Manche bilden sich ziemlich etwas darauf ein. Die lachen dann diejenigen aus, die den Bus nehmen. Echt, ich könnt' kotzen. Voll krank! Die sind doch total scheiße im Kopf!“

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