Walther Nithack-Stahn - Der letzte Tag
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Die Welt naht dem Untergang. Ein neuer Planet droht auf die Erde einzuschlagen. In diesem Moment steht die Welt still. Doch wie geht's weiter? Findet es heraus....
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Walther Nithack-Stahn
Der letzte Tag
Inhaltsverzeichnis
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
Impressum
I
Um den runden Tisch die ernste Gemeinde in tiefem Schweigen. Jedes Mannesantlitz blaß, überwacht, die Stirnen gefaltet. Müde erstirbt das gelbliche Deckenlicht gegen den seltsamen Glanz vor den Fenstern. Die Uhr an der Wand streckt ihre Zeiger wie mahnende Finger nach oben.
Nun regt sich der mit dem weißfließenden Barte: »Stellen Sie, bitte, fest, daß niemand lauscht.«
Archibald, der junge, erhebt sich in seiner ganzen Höhe, öffnet die Tür, verneint und setzt sich wieder.
»Ich brauche, meine Herren, Ihnen kaum noch einmal zu sagen, welche schlechthin beispiellose Verantwortung auf uns gelegt ist. Ich weiß, daß Sie mit Anspannung aller Sinne und aller Vernunft geprüft haben. Was zu wissen in Menschenkraft steht, ist eingesetzt worden. Die Zeit drängt, das Ergebnis herauszustellen. Wollen Sie zusammenfassen.«
Die Hände über den beschriebenen Blättern gefaltet, sagt Archibald kurz: »Der neue Stern nähert sich noch immer der Sonne mit einer Geschwindigkeit von wenigstens hundert Kilometern in der Sekunde. Da seine Richtung der Sonnenbahn entgegengesetzt ist, beschleunigt sich die Annäherung um ein Drittel. Dazu kommt, daß die Anziehungskraft der Sonne sich immer stärker geltend machen muß, so daß der Zusammenstoß in kurzem droht. Man darf mit etwa sieben Tagen rechnen. Abgesehen von hochgradig gesteigerter Sonnentemperatur, die das Leben der Erde vernichten muß, ist anzunehmen, daß der Umlauf unseres Planeten zerstört und auch er in die Sonne gezogen wird.«
Man hört das leise Ticken der Uhr, sonst nichts.
»Wie lauten die letzten Meldungen der ausländischen Sternwarten?«
»Im wesentlichen gleich. Kalifornien berechnet die Frist auf sechs Tage, Peru auf siebeneinhalb, die übrigen innerhalb dieser Grenzen.«
Wiederum lautloses Schweigen.
»Meine Herren, wir müssen zum Schlusse kommen. Der Kanzler drängt darauf. Sie wissen, daß die Regierungen aller Erdteile sich geeinigt haben, sofort nach Empfang des wissenschaftlichen Urteils eine gemeinsame Kundgebung an die Völker zu erlassen, entweder sie zu beruhigen oder auf das Unabänderliche vorzubereiten.«
»Warum nicht in jedem Falle das erstere tun?« Der Sprecher streicht sich das dunkle Haar aus der Stirn, und über die Adlernase blicken kühle Augen. »Liegt denn das Menschengeschlecht im Sterben, was nützt es, ihm das zu sagen? Sein Dasein ist Kampf und Not gewesen von Anfang her – mache man ihm das Ende leicht. Nach aller Wissenden Vermutung wird es schnell und vernichtend kommen. Vorbereiten heißt nur, das Leiden verlängern.«
Der gegenüber, der wie ein feinsinniger Priester aussieht, lehnt sich in den Sessel zurück. »Könnte nicht eine Bedenkzeit angesichts des Gesamttodes edleren Zwecken dienen? Gäbe es nicht manche letzte Folgerung zu ziehen?«
»Mir graut vor diesen Folgerungen«, klingt es zurück. »Denken Sie an Feuersbrünste und scheiternde Schiffe, stellen Sie sich das im Riesenmaß vor!«
»Dieser Vergleich trifft nicht zu. Hier ist keine Aussicht auf Rettung, nichts als allgemeiner, restloser Untergang.«
»So spricht ein Denker von der Höhe herab. Sie kennen das Gewimmel der Tiefe nicht, das sich Menschheit nennt.«
»Ich rühme mich dessen, daß ich unser Geschlecht höher einschätze. Es hat in seinem kurzen Dasein Großes erreicht, Größeres gewollt. Es ist seiner würdig, in sein letztes Schicksal nicht hineinzutaumeln, vielmehr es bewußt im Sinne seiner erhabensten Geister auf sich zu nehmen.«
Der Weißbärtige unterbricht das Zwiegespräch: »Mir scheint, daß die Herren unsere Aufgabe mißverstehen. Was der Völkergemeinschaft mitgeteilt werden soll, ist der Regierenden Sache. Die unsere ist, ihnen zu sagen, wovon wir nach bestem Wissen überzeugt sind – nicht mehr, nicht weniger.«
»Nun denn, so ist die Würde der Wissenschaft uns anvertraut«, sagt scharf die Stimme des mit der goldenen Brille. »Ihr letztes Wort darf nur das des unbedingten Mutes zur Wahrheit sein. Wir haben nicht zu fragen, was darauf folgen mag – schlechterdings nur, was ist.«
Kopfnicken und halblaute Zustimmung im Kreis.
Archibald, der mit verschränkten Armen zur Decke geblickt hatte, sagt plötzlich, ohne seine Haltung zu verändern: »Obwohl der Jüngste in dieser Runde, kann ich nicht anders, als die Grundlage dieser ganzen Erörterung anzweifeln. Sie haben mich beauftragt, die Summe Ihrer Feststellungen über den neuen Stern zu ziehen. Ich habe das getan, aber ich muß ein Fragezeichen dahinter setzen. Ein geringfügiger Beobachtungsfehler kann das ganze Gebäude dieser verwickelten Berechnung über den Haufen werfen.«
Die starre Linie der Rundumsitzenden gerät ins Schwanken.
»Seit sieben Monaten ...«, »unausgesetzt ...«, »durch hundert Fernrohre aller Erdteile ...«, »so viele zuverlässige Forscher ...«, »fast völlige Übereinstimmung ...«, »in der Hauptsache klar ...«, schwirrt es durcheinander.
Archibald faßt noch immer die leuchtende Schale ins Auge, die wie ein Dankopfer an das ewige Licht an Ketten hoch über dem Tische schwebt. »Es wäre nicht das erstemal, daß ein gemeinsamer Gedanke aller besten Köpfe – Irrtum wäre. Könnte nicht auch ein Wunder geschehen?«
Steigende Wogen der Unruhe.
»Wunder? Was heißt das? Sagen Sie das im Ernst?«
Der Bebrillte streicht sich über den spitzen Kinnbart. »Nehmen Sie an: zwei Dampfwagenzüge fahren sich mit voller Kraft auf demselben Gleise entgegen, die Führer sind abgesprungen, die Entfernung beträgt noch 20 Meter. Halten Sie es für möglich, daß sie einander nicht treffen?«
»Nicht für unmöglich. Es sei denn, daß ich alle Möglichkeiten des Weltalls wüßte.«
»So nennen Sie Wunder alles, was wir noch nicht wissen?«
Über dieses »noch nicht« entsteht ein erstes Lächeln auf den tiefernsten Gesichtern. Archibald wirft dazwischen: »Ich meine das schlechthin Unzugängliche.«
Worauf der greise Wortführer neben ihm: »Es ist selbstverständlich, daß unser Gutachten, wie jedes Urteil der Wissenschaft, nur mit hoher und höchster Wahrscheinlichkeit rechnet. Wir sagen nicht, daß etwas geschehen muß, wir sagen: es wird geschehen. Um dem eben erhobenen Einwand zu begegnen, schlage ich vor, daß wir unsrer Erklärung hinzufügen: ›Menschlicher Voraussicht nach‹ ...«
»Überflüssig!« ruft die hohe Stimme des Spitzbärtigen. Der Priesterliche nickt ihm zu. Einer sagt: »Es wäre gewissenhafter.« Und die Gebärden der übrigen deutend, schließt der Vorsitzende Alte: »Ich werde also den Fernspruch in dieser Form nach London ergehen lassen, wo die Weltabstimmung erfolgt. Von dort wird er noch heute an die Regierungen gelangen. Diese beschließen während der Nacht, morgen früh ist die Kundgebung.«
Alle haben sich mit ihm erhoben.
»Noch einmal bitte ich, meine Herren, das Stillschweigen bis dahin zu wahren. Ich rechne es zu den leuchtendsten Beispielen menschlicher Pflichterfüllung, daß – nach der Presse aller Länder zu schließen – bisher aus den geheimen Beratungen der Sternkundigen nicht das geringste nach außen gedrungen ist. Auch in dieser Hinsicht darf die Wissenschaft mit ruhigem Stolz ihre Arbeit einstellen. Was uns an Zeit noch bleibt, gehört dem Einzelnen und seiner Menschlichkeit. Sollte ich wider Erwarten noch einmal Ihres Beirates bedürfen, so weiß ich, daß ich Sie rufen darf. Wir sind am Ende ...«
Es scheint, als wollte er noch etwas hinzusetzen, aber er atmet nur tief auf und drückt den Umstehenden die Hand, Auge in Auge senkend.
Archibald, halb in Gedanken, will eben zu seinem Nachbar sagen: Leben Sie wohl ..., plötzlich hält ihm das Gefühl der Sonderbarkeit die Zunge fest, er grübelt dem Unausgesprochenen nach ... Er tritt durch die seitliche Glastür auf den Umgang hinaus und lehnt sich auf das Geländer. Drüben glüht aus Morgennebeln die rötliche Sonne, schräg über ihr gleißt seltsam der fremde Stern, schon ein Zehntel ihrer Größe erreichend: der Feind, der drohend herannaht, von Millionen Augen Tag und Nacht verfolgt, ausgesandt von dunklen Gewalten, eine Welt des Lebens zu zertrümmern, die ihn ohnmächtig erwartet. Noch bemerkt man auf Erden nichts Absonderliches. Da liegt in der Ferne die große Stadt im Frühdunste, eben erwacht. Rauchfahnen quellen aus dem Säulenwald der Fabriken, auf allen Seiten kriechen die Bahnzüge heran, mit Arbeitskräften gefüllt. Dort zieht ein Pflüger bedächtig seine Furchen für die Saat der Zukunft, irgendwo zwitschert eine Lerche ihr Liebeslied, und hier tanzt ein buntscheckiger Falter lustig den Garten hinunter, sein Eintagsleben zu genießen.
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