Holger Lang - Der letzte Tag

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Der Weltrepublikenverbund, ein neuer Staat, besteht nun seit einem halben Jahr. Gerhard Halder wird eines der frühen Opfer des Machthabers Daniel Hohlfelder. Denn Halder verweigert beim Renteneintritt, sein Vermögen dem Staat zu überlassen. Johann Gröll, ein wichtiger Minister, lernt Halder dabei kennen. Die beiden unterschiedlichen Männer teilen einen Teil ihrer Geschichte.

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Nationalsozialismus ist wie ein Geschwür. Er saugt die Seele aus dem Land

und tötet das eigene Volk.

Anonym

Holger Thomas Lang

Der letzte Tag

Teil 1

Imprint

Der letzte Tag

Holger Thomas Lang

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © 2013 Holger Thomas Lang

Umschlaggestaltung: Eva-Maria Stekl

ISBN 978-3-8442-7871-2

GERHARD HALDER

Um die Überbevölkerung und die Verschuldung dieses Staates in den Griff zu bekommen, muss jeder Arbeitnehmer seinen Teil beitragen. Notfalls muss er mit dem höchsten Gut bezahlen, seinem Leben.

D. Hohlfelder

Präsident des Weltrepublikenverbundes

* * *

Ich werde heute 74 Jahre alt. Heute soll mein letzter Arbeitstag sein, aber die Firma habe ich schon seit einer Woche nicht mehr betreten. Bei welcher Firma ich arbeite? Bei World Net, einem Unternehmen, das sich auf den weltweiten Ausbau des Computernetzwerks ohne Internet spezialisiert hat, deshalb hat es auch einen englischen Namen.

Heute soll nun mein letzter Tag sein. Ich habe Angst, wie ich gestehen muss. Aber man hört, dass es schnell gehen wird. Weshalb ich heute sterbe? Das erzähle ich Dir später. Zuerst musst Du etwas über die Zeit erfahren, in der ich lebe. Denn Du wirst wahrscheinlich niemanden kennenlernen, der sie erlebt hat.

Ich lebe im Jahre 2436 n. Chr., also faktisch im Jahre 0 vor Weltuntergang. Jedenfalls dann, wenn der Staat, in dem ich lebe, genannt Weltrepublikenverbund, weiter so funktioniert. Zum Glück haben wenigstens die USA, Großbritannien, ganz Asien und Russland erkannt, dass das keine gute Idee ist und sind nicht beigetreten. Denn die Regierung rottet ihre Bürger nach und nach aus und behauptet etwas von Überbevölkerung, obwohl die meisten Häuser schon leer stehen und die Einwohnerdichte um gute achtzig Prozent zurückgegangen ist. Was ich sehr schlimm finde, ist die Tatsache, dass nur noch Deutsch als Sprache innerhalb des Staates erlaubt ist. In der Schule lernen die Kinder kein Englisch mehr und können sich mit den Bürgern der anderen Nationen nicht unterhalten. Und allen wird die Kultur geraubt. Nur die früher "deutsche Gründlichkeit" und Traditionen von dort werden noch geduldet. Religion? Das kennen die Kinder nur noch aus Märchen und Geschichtsbüchern. Die heutige Religion ist unser Staat. Jeder wird auf verschiedenste Art seiner Identität beraubt. Und wer nicht an den Staat glaubt und dies zu laut sagt, wird kurzerhand aus dem Weg geschafft.

Jetzt aber will ich mein Versprechen einhalten und Dir meine Geschichte erzählen.

Vor einer Woche also erhielt ich einen Anruf der Abteilung Versicherungs-, Lohnabwicklungs-, und Risiko-Management, kurz VLR. Sämtliche Zahlungen werden bei dieser staatlichen Abteilung überprüft. Mein Name ist Gerhard Halder. Aber im Zuge der Namensabgabe, es wird damit begründet, dass wir alle sowieso nur Nummern seien, erhielt ich die Nummer 62451.

"Nummer zwoundsechzig-vier-einundfünfzig?" fragte der Mann sehr freundlich.

"Ja", antwortete ich.

"Ihr letzter Arbeitstag steht in Kürze bevor. Wir müssen einiges regeln, bevor Sie in die verdiente Ruhezeit eintreten. Sie sind im Bilde?"

"Sprechen Sie", forderte ich den Mann auf. Nach seinem Namen zu fragen, wäre sinnlos. Ich hätte nichts erreicht. Höchstens ein paar Probleme.

"Nun, Sie haben in Ihrem Betrieb 50 Jahre treu gearbeitet, richtig?"

"Ja."

"Und dabei sind Gelder angespart worden, die Sie jetzt ausbezahlt bekommen sollen. In Form eines Ruhegeldes."

Ich schwieg.

"Nun", fuhr mein Gesprächspartner fort, "Sie haben nun zwei Möglichkeiten." Kurze Pause. "Sie verzichten auf die angesparten Bezüge, die im Übrigen sehr hoch sind, Gratulation", er lachte, "und spenden diese der Regierung. Vollständig. Stattdessen werden Sie in einem Wohnheim untergebracht, das alles für Sie regeln wird. Sie erwartet ein ruhiges Leben, sofern Ihre Ansprüche nicht zu hoch sind. Und vor allem können Sie noch bis zu Ihrem Geburtstag in Ruhe Abschied von ihren Kollegen nehmen, weil Sie noch arbeiten dürfen."

"Und die zweite Möglichkeit?"

"Sie erhalten die volle, angesparte Summe, sowie einen einwöchigen Urlaub, beginnend ab sofort."

Schweigen.

"Eine Summe, die ich natürlich dann für meine verdiente Ruhezeit verwenden kann und meinen Urlaub verbringen kann, wo ich möchte, oder?"

Ein angenehmes Lachen.

"Ihr Humor gefällt mir. Sie werden mit diesem Geld für Ihre weitere Zukunft planen. Sie werden Ihre letzten Rechnungen begleichen. Sie werden Ihre Injektion, Rezept für das Medikament, Spritzen und selbstverständlich den Arzt oder Pfleger, der sie durchführt, bezahlen. Und die Beerdigungskosten, selbstverständlich. Der Rest geht an die Regierung. Und Ihren Urlaub werden Sie wohl hier verbringen müssen, da Sie gar keine Zeit für andere Dinge haben werden."

Selbstverständlich war mir bewusst, dass es dagegen keinen Einspruch gab. Die einzige Möglichkeit, meinem Tod zu entgehen, wäre eine sehr große Spende an den Staat gewesen. Und das wollte ich auf keinen Fall zulassen. Dafür war mein Stolz zu groß. Es war mir aber auch bewusst, dass ich niemanden benennen konnte, dem ich das Geld jetzt, noch vor dem Vollzug dieses angekündigten Urteils, hätte überlassen können. Das wäre sofort aufgefallen und derjenige hätte auch große Probleme bekommen. Außerdem hatte ich wirklich niemanden, dem ich es hätte geben können. Freunde und Verwandte hatte ich schon lange nicht mehr. Und ansonsten wusste man nie, wem man trauen konnte und wem nicht.

Also überlegte ich mir wie ich dem Staat möglichst wenig überlassen konnte. Die Aufgaben, die auf mich zukamen, würde ich von der Agentur für letzte Angelegenheiten (ALA) übernehmen lassen. Sie regelten alles gegen einen Pauschalpreis, der weit unter dem lag, was ich einzeln bezahlen müsste. So könnte ich mir wenigstens noch ein paar letzte schöne Tage machen und würde noch möglichst viel Geld durchbringen.

Zwei Tage nach dem Anruf erhielt ich meine Ersparnisse in Form eines Schecks.

"Wenn Sie hier unterschreiben würden, das ist die Empfangsbestätigung. Sonst heißt's wieder, wir vom Beförderungswesen hätten was unterschlagen. Passiert ja bei solchen Sendungen öfter, diese Unterstellungen."

Ich unterzeichnete, während ich mir dachte, dass diese Gerüchte wohl auch nicht aus dem Nichts entstanden sein dürften. Da ich noch etwas Kleingeld in bar bei mir hatte, entschied ich, diesem jungen und zum Glück ehrlichen Burschen ein kleines Trinkgeld zu geben -- immerhin wieder etwas, das der Staat nicht kassieren konnte.

"Vielen Dank. Und Ihnen viel Spaß mit Ihrem Scheck. Bestimmt verreisen Sie. Am besten setzen Sie sich einfach ab!", meinte der Bote lachend und verschwand.

Er wusste mit Sicherheit sowieso, was auf mich zukam.

Kurz überlegte ich, ob ich nicht wirklich das Land verlassen sollte. Aber seit durch Staatszusammenlegungen und den Krieg die Ausmaße größer waren als die der USA, wodurch ich zu viel Zeit benötigen würde und noch dazu die Grenzen überall nahezu hermetisch abgeriegelt waren und auf Flüchtlinge kontrolliert wurden, indem die Bürgeridentifikationskarte vorzulegen war, war es quasi unmöglich, zu entkommen. Und die Strafe, die auf einen Fluchtversuch stand, war weit schlimmer als eine Spritze, die meinem Leben wahrscheinlich geplanter Weise ein Ende machen sollte. Ich würde gefoltert werden, bis ich halb tot war und, wenn ich bis dahin nichts gesagt hätte, dann käme ich bei Wasser und Brot in eines dieser Arbeitslager. Wahrscheinlich dann gleich in einen Bereich, in dem ich zwar noch lange genug nützlich wäre, aber auch auf keinen Fall länger lebte, als unbedingt nötig. Allein die Vorstellung beendete meine Gedanken schlagartig. Schließlich wollte ich nicht auf diese Art und Weise sterben. Es wäre eine Mischung aus Verhungern, Verdursten, Überanstrengung und wahrscheinlich auch Krankheit, die mich dahinsiechen lassen würde.

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