Diktatur funktioniert nur so lange wie die Bevölkerung es zulässt.
Anonym
Holger Thomas Lang
Der letzte Tag
Teil 2 Die Spur des Blutes
Imprint
Der letzte Tag - Die Spur des Blutes
Holger Thomas Lang
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2013 Holger Thomas Lang
Umschlaggestaltung, Lektorat und Korrektorat: Eva-Maria Stekl
ISBN 9978-3-8442-7886-6
JÖRG TALER
Menschenansammlungen von mehr als acht Personen bedürfen einer Genehmigung, welche jederzeit ohne Angabe von Gründen zurückgenommen werden kann.
Gez.
D. Hohlfelder
Präsident des Weltrepublikenverbundes
* * *
Ich blicke aus dem Fenster meines Büros. Ich kann die ganze Stadt überblicken und sehe auch die Parks und den Fluss. Es ist wunderschön und ich genieße mein Büro, weil der Blick so toll ist. Es ist einfach wunderbar. Besonders an einem Tag wie heute. Die Sicht ist gut und ich kann den Ausblick wirklich ausnutzen. Allerdings ist das Wetter nicht natürlich. Es wurde künstlich erschaffen. Das trübt für mich die Freude darüber, weil es fast jeden Tag so ist. Aber immer wieder hilft alles nichts, weil einfach die Technik versagt. An diesen Tagen regnet es dann auch.
‚Warum mache ich das hier?', frage ich mich. Aber es gibt keine Antwort auf diese Frage. Niemand kann mich hier herausholen, bis es zu Ende ist.
Das Telefon klingelt.
Mir wird mitgeteilt, dass der Bericht fertig ist, einschließlich der Vollmachten des Ministers. ‚Gut', denke ich.
Ich kratze mich über dem Auge. Es juckt fast ständig. Seit dem Eingriff ist das so. Aber die Ärzte sagen, dass das normal sei und es ja nicht ewig so sein wird.
Ich packe einige Kleinigkeiten, inklusive meiner Waffe, in eine kleine Aktentasche und mache mich auf den Weg. Das ist meine Standardausrüstung. Da muss ich gar nicht überlegen, es geht automatisch.
* * *
Einen Tag vorher, Freitag:
"Sie werden sehen, Frau Krämer, es wird Ihnen bei uns gefallen. Ich zeige Ihnen die Einrichtung."
Die Heimleiterin, die sich als Veronika Krapp vorgestellt hatte, führte die künftige Insassin (wir sagen "Bewohner") durch das Haus. Schön eingerichtete Zimmer. Telefon, kleine Küche, Wohnraum, Schlafzimmer.
"Das sind richtige kleine Wohnungen, nicht wahr?"
"Ich bin beeindruckt", sagte die ältere Dame ergriffen.
"Dann kommen Sie mit in mein Büro, dort können wir alles Weitere unterzeichnen. Übergabevollmachten und die ganzen anderen Unterlagen."
"Kann ich wenigstens meinen Wagen behalten?"
Die Heimleiterin zwinkerte ihr zu.
"Aber selbstverständlich können Sie das. Nur die Finanzen gehen an den Staat. Er übernimmt ja sämtliche Kosten für Sie hier."
Frieda Krämer unterzeichnete alle Dokumente, ohne sie zu lesen. Ihr Vertrauen in den Staat und den Präsidenten war groß. Vielleicht sogar zu groß.
"Sie sind dann bitte morgen gegen Mittag hier. Sie werden sich bei uns sehr wohlfühlen, das versichere ich Ihnen", verabschiedete sich die Heimleiterin herzlich.
Am Samstag parkt also die neue Heimbewohnerin ihren Wagen vor dem Heim. Es ist fünf Minuten nach zwölf Uhr.
Sie steigt aus, wuchtet ihr Gepäck aus dem Kofferraum des kleinen VW und öffnet die Eingangstür ihres neuen Zuhauses.
Am Empfang fragt sie nach der Heimleitung.
"Wer sind Sie?", fragt der Mann hinter dem Tresen mürrisch.
"Ich bin Frieda Krämer. Ich soll hier eine kleine Wohnung beziehen."
Der Mann lacht.
"Ach so ist das." Er greift kurz zum Telefon, knurrt etwas von Neuzugang und wendet sich wieder an die neue Bewohnerin.
"Man wird Sie gleich abholen und zu Ihrer Wohnung begleiten."
Wenige Minuten später erscheinen zwei stämmige junge Männer.
Mit dem Fahrstuhl fahren sie in den Keller.
Durch einen kalten, zugigen Gang gelangen sie an eine Tür. Dahinter, noch ein Gang. Einfach verputzte Wände.
"Ist dort die Aufnahme?"
Schweigen.
Ein Kontakt wird ausgelöst. Ein Stück Wand gleitet zur Seite, und die Bewohnerin blickt in eine Nische. Die Männer packen sie und schieben sie in die Nische. Das Gepäck wird ihr entrissen.
"Hilfe!", schreit Frieda. Doch niemand wird sie hören.
Die Wand gleitet hinter ihr zu.
Niemand wird sie je lebend wiedersehen.
* * *
Das gleißende Licht wird schwächer. Ich merke, dass ich normal atme.
"Wo bin ich?", frage ich schwach. Ich bin verwirrt.
"In Sicherheit, Gerd", antwortet ein Mann in weißem Kittel.
"Ich bin nicht tot?"
"Nein. Wir brauchen Dich noch." Das verstehe ich absolut nicht. Diese Aussage verwirrt mich wirklich.
Der Arzt hält mir einen Spiegel vors Gesicht: "Betrachte Dein Gesicht. Präge es Dir ein."
Ich weiß nicht, wovon er spricht.
"Du bist Gerhard Halder", spricht er weiter. "Wenn Du diesen Satz hörst, wirst Du Dich an dieses Gespräch erinnern und alles wissen."
Er zieht den Spiegel zurück.
"Was meinen Sie?", frage ich ängstlich. Ich verstehe immer weniger.
"Hab keine Angst. Es wird Dir nichts passieren. Du wirst schlafen. Es wird alles gut sein."
Mit diesen Worten tritt er an einen Instrumententisch und greift nach einer bereits fertigen Spritze.
Ich zucke zurück, als die Nadel sich meinem Arm nähert. Eine ungute Vorahnung kommt in mir auf. Sie wandelt sich in Panik.
"Ich will nicht wieder zurück in den Sarg!", schreie ich.
"Nun", erwidert er mit einem bösen Lächeln, "das möchtest Du nicht? Halt den Arm still, sonst kommst Du in den Sarg. Und dort wirst Du bleiben. Vielleicht mauern wir ihn ein oder wir stecken Dich lebendig in die Brennkammer. Wer weiß das schon? Also sei vernünftig."
Ich halte still. Die Angst lähmt mich.
Alles verschwimmt um mich. Dann verliere ich das Bewusstsein.
* * *
Ich werde nie vor diesem Mann zittern, denn ich weiß sehr viel über ihn, das das Volk nie wissen darf. Mehr als er selbst ahnt. Wenn er wüsste, was ich so alles an Informationen besitze, dann würde er noch mehr von dem tun, was ich möchte.
"Also Doktor Thiel, was war da gestern?", fragt der Präsident. Er sieht blass aus, wie immer, wenn wir uns begegnen. Das nimmt viel der Strenge. Auch deshalb nehme ich ihn nicht ernst.
"Hab's Ihnen ja gesagt. Ihre Sparmaßnahmen. Einerseits wollen Sie die Überbevölkerung in den Griff bekommen, andererseits wollen Sie eine perfekte Überwachung aus-"
"Ich habe nach dem Triebwerk gefragt", blafft er mich an. Das kann ich ihm nicht durchgehen lassen.
"... dem All. Zwei Stationen wollen Sie. Eine davon ist fertig. Und wenn Sie mich noch einmal unterbrechen, Herr PRÄSIDENT, dann werde ich dem Volk die Dokumente zukommen lassen, die ich in meinem Tresor habe. Selbst wenn Sie den finden, werden Sie nicht geschützt sein. Es gibt massenhaft Kopien, Daniel Hohlfelder. Möchten Sie das?"
Er zuckt zurück. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber es weicht noch mehr Farbe aus seinem Gesicht. Dass ein Mensch so blass werden kann, hätte ich nie gedacht.
"Na, sehen Sie." Ich gebe mich betont fröhlich. "Wo war ich? Äh, ach ja, Raumstationen. Aber unser schnellstes Schiff, die Space-Explorer, ist beschädigt. Und wieso? Weil wir keine guten Ersatzteile erhalten. Dann passiert es, dass Besatzungen sterben, dass Triebwerke den Geist aufgeben."
"Was benötigen Sie?"
Ich nenne diesem Wurm eine Firma, die die guten Ersatzteile produziert. Die Explorer muss bald wieder einsatzfähig sein, sonst sind wir von den Männern da oben abgeschnitten. Und sie von uns. Das würde sämtliche Pläne zerstören.
"Sie kriegen Ihre Teile. Und entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbrochen habe." Es ist wunderbar, den Präsidenten so kleinlaut zu sehen. Es gibt mir jedes Mal ein Gefühl der Macht und Überlegenheit. Ich genieße es, aber heute will ich es mal nicht übertreiben. Das wäre womöglich noch kontraproduktiv. So belasse ich es dabei und ärgere ihn nicht weiter. Aber eine kleine Mahnung kann ich nicht unterdrücken.
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