Suomi on kaunis.
(Deutschland auch.)
von
Nadja Hummes
Suomi on kaunis. (Deutschland auch.)
Bevor Lenja, eine Independent-Autorin und Künstlerin Anfang vierzig, ihren Neuanfang in Ödenpofen in Deutschland weiter ausbaut, nimmt sie zunächst die Einladung ihres jahrelangen Freundes Valtteri, ein Maler und Bildhauer Mitte fünfzig, wahr und besucht ihn endlich einmal in dessen Heimatort Rauma in Finnland. Dort, an der Küste des Bottnischen Meerbusens, findet sie inmitten der Natur und umgeben von Menschen, die anhand ihrer Mentalität eine ganz eigene Sicht auf die Dinge des Lebens haben, neue Freunde und Platz für ihre innere Gelassenheit.
Wieder zurück in Deutschland, muss Lenja aus Mangel an Alternativen einen völlig unterbezahlten Knochenjob annehmen, um sich ihr monatliches Auskommen zu sichern; und so ganz nebenbei meistert sie, hinsichtlich ihrer Mitmenschen, immer wieder den Spagat zwischen notgedrungener Selbstbehauptung, gesunder Abgrenzung und tatsächlicher Freundschaft. Dass sie ausgerechnet durch ihre neue Arbeit an ihre Finnland-Erfahrungen, die in Rauma gelebte und ebenso in ihr nochmals gewachsene Mentalität anknüpfen kann, vermag kaum jemand nachzuvollziehen. Außer vielleicht Valtteri. Denn Valtteri und Lenja liegen nicht nur hinsichtlich Kunst, Literatur und Kultur auf einer Wellenlänge.
© 2017‒2018 Nadja Hummes – Alle Rechte vorbehalten.
Titelbild und Umschlaggestaltung: © 2017 Nadja Hummes
Textsatz, E-Book: Nadja Hummes, Ralf Gawlista.
1. Ausgabe als E-Book auf Grundlage des Textes der überarbeiteten Ausgabe, Mai 2018.
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
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Finnland, das ist Schnee und Eis. Minus 28 Grad Celsius Außentemperatur bei Ankunft. Eine trockene Kälte. Anders als in Deutschland. An manchen Stellen ist es glatt. Der Schnee knirscht unter meinen Stiefeln. Ich sehe Valtteri auf dem Parkplatz auf und ab gehen. Jetzt hat er mich entdeckt. Freudestrahlend kommt er mir entgegen, nimmt mich in seine Arme, drückt mich, herzt mich. Seine überschwängliche Freude ist aufrichtig. Meine auch.
„Oh Lenja, es ist so gut, dass du bist hierher gekommen. So, so, so gut“, sagt Valtteri, während er meinen Koffer hinter sich her zieht.
Das lässt er sich nicht nehmen.
„Yes, Valtteri. Klingt seltsam, aber das wusste ich schon, sobald ich meinen Fuß zum ersten Mal auf diesen Boden gesetzt habe.“
„No, not seltsam. Right.“ Er lächelt mir zu. „Und du hast eine laue Nacht mitgebracht.“
„Lau?“
„Jo. Minus 28 Grad. Wir hatten minus 34 Grad, gestern.“
Valtteri hievt meinen Koffer auf den Rücksitz seines Wagens.
„Und nicht dunkel, gar nicht mal so dunkel“, sagt er.
„Nicht dunkel? Es ist stockfinster, Valtteri.“
„Jo, aber manchmal mehr. Nein, heute gar nicht mal so dunkel. Klare Sicht. Keine Schneewehen. Kein Schneetreiben.“
Ich nehme auf dem Beifahrersitz Platz. Valtteri startet den Wagen und fährt los. Das Kegellicht der Autoscheinwerfer wirft breite Fächer in die Dunkelheit. Ich bestaune die wunderschöne Winterlandschaft. Beobachte. Bewundere.
„Wie lange fahren wir?“
„Drei oder vier Stunden vielleicht. Wegen der Schnee. Im Sommer zwei oder drei Stunden.“
Also habe ich genügend Zeit, mir die Umgebung anzuschauen. Erleichtert atme ich auf. Seufze glücklich. Riesige Felsen, vereist und glitzernd. Kiefern, deren Geäst sich schwer unter dem Gewicht dicker Schneehauben biegt. Tierspuren im Schnee. Sehr dickes Eis. Hohe Schneeberge am Straßenrand. Oft ragt der geräumte Schnee bis über die Mitte der Baumstämme hinauf. Lange dicke Eiszapfen an Baumzweigen und Felskanten.
„Schön, nicht?“, fragt Valtteri mich.
„Unbeschreiblich.“
„Jo, you're right. Aber es ist nicht nur ein Eindruck wie von a dreamland. Nicht nur easy going. Das wissen wir hier. Everywhere in Finland. Nur in die großen Städte, wie vielleicht Helsinki oder so, da vergessen sie es manchmal. Aber die Natur sorgt schon dafür, dass sie es sogar dort nicht allzu lange vergessen. Sie schickt uns das Wetter and then they remember.“
„Ja, – das Wetter prägt Region und Mensch. Eine altbekannte Tatsache, die in der heutigen Zeit oft ignoriert wird.“
„Yes. Viel zu oft. Leider.“
„Aber hier funktioniert das nicht. Hier kann man das Wetter nicht ignorieren. Eikö niin, Valtteri?“
„Niin on. Du bist klug, Lenja. Ein kluges und herzvolles Mädchen. Du bringst Liebe mit für dieses Land. Ja, das Wetter hat die Macht hier. We have to respect it. Wir Finnen, we know it. We can handle it. Und du wirst es auch bald können, Lenja.“
Er sagt es mit einer so selbstverständlichen Gewissheit und ohne jeden Zweifel im Gesicht, dass ich zuerst nur staunen kann. Doch dann fühle ich, dass er Recht hat. Valtteri schmunzelt und konzentriert sich nach wie vor auf die Fahrbahn.
„Wirst es schnell können, Lenja“, setzt er, ohne seinen Blick von der Straße abzuwenden, nach. „Wirst es schnell können. Du bist ein kluges und herzvolles Mädchen.“
„Hör auf, Valtteri, sonst werde ich noch rot.“
„Nein, musst du nicht. That's the truth.“
Die Landschaft zieht an den Autofenstern vorbei. Valtteri räuspert sich.
„Lenja, wenn dir kalt ist... Ich habe dir einen Thermobecher Kaffee in das Handschuhfach gelegt.“
„Danke, Valtteri. Das ist sehr aufmerksam von dir. Nein, mir ist nicht kalt. Ganz und gar nicht.“
„Ist die Autoheizung gut temperiert?“
„Ja, sehr gut. Alles bestens, Valtteri“, strahle ich ihn an.
Valtteri lächelt, freut sich, wirkt zufrieden. Sein Lächeln wird verlegen, als ich ihn von der Seite angucke. Ich muss grinsen.
„Möchtest vielleicht du Kaffee, Valtteri?“, erkundige ich mich ahnungsvoll.
„Wenn du ihn nicht möchtest?“
„Nein, danke. Wie gesagt: Mir ist warm genug. Ich möchte wirklich keinen Kaffee, Valtteri. Du kannst ihn gerne haben.“
„Die blaue Becher. Im Handschuhfach.“
Ich schmunzele, reiche ihm den Kaffee an.
„Was denn? Oh! Ich verwechsele immer noch der Artikel, oder?“
„Naja, manchmal bringst du sie ein wenig durcheinander. Oder auch Singular und Plural. Aber das ist halb so wild. Mir passiert vielleicht auch der eine oder andere Patzer, wenn ich finnisch spreche.“
„Hast du etwa geübt?“
„Ich habe mich bemüht. Ein paar typische Redewendungen und Vokabeln kriege ich hin. Aber mehr? Uff. Finnisch ist eine Sprache, die man nicht mal eben so im Vorbeigehen lernt.“
„Och, auch nicht schwieriger als Deutsch. Mein Deutsch, – uije. Uijeoje. In der E-Mails kann ich besseres Deutsch. Wenn wir uns schreiben, dann gucke ich nebenbei nach. Sprechen ist anders.“
„Ich finde aber, du sprichst ziemlich gut Deutsch. Woher kannst du das eigentlich so gut?“
„Von früher noch.“
„Von deinem Vater?“
„Kyllä.“
„Verstehe.“
„Ja, wegen der Krieg.“ Valtteri nickt. „Und danach hat er in der Job oft deutsch sprechen müssen. Hat ihm Freude gemacht. Nach die Arbeit hat er sich oft abends mit mir und meinem Bruder zusammen gesetzt. Zu reden über der Tag und die Schule und so weiter. Wir haben auf Finnisch und Deutsch miteinander gesprochen. Er hat uns das gerne gelehrt und ich fand es immer sehr spannend. Später kam noch Englisch dazu. Dann haben wir in drei Sprachen miteinander geredet. Das war ein ziemliches Geplapper, mein Vater, mein Bruder und ich. Meine Mutter kann eigentlich auch Deutsch. Und Schwedisch und Englisch. Aber sie ist etwas aus die Übung, seit mein Vater damals gestorben ist.“
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