In einem abgelegenen Trakt der Burg fand Roderik Unterkunft als Nachbar der Hirten und Spielleute, welche in Diensten des Königs standen.
- Durch die Kunst des Arztes, der Roderik mit eigens zu diesem Zwecke angerührten Salben behandelte, wollte die Gesichtshaut des Verunstalteten sich bald regenerieren und innerhalb eines recht kurzen Zeitraumes war Roderik soweit genesen, dass Eberhard sein Versprechen einlösen konnte und dem Gast eine aus Goldblech gefertigte, künstliche Nase angepasst wurde.
Nach Anweisung des Arztes hatte ein Goldschmied dieses Kunstwerk hergestellt und die neue Nase wurde nach allen Regeln der Kunst an der richtigen Stelle befestigt.
- Roderik war nun in der Lage, nach Belieben die Nase zu tragen oder, beispielsweise des Abends, bevor er zur Ruhe ging, selbige abzunehmen.
Mit seiner Genesung kam jedoch gleichzeitig die Erinnerung an das – nach seiner Meinung – ihm angetane Unrecht.
Eberhard erkundigte sich zuweilen nach den Fortschritten der Heilung und zeigte sich über das endliche Ergebnis äußerst zufrieden. Eines Tages ließ er den bereits mit seiner neuen Nase Ausgestatteten zu sich bestellen, um Diesen mit sich zum Angeln an den Fluss zu nehmen.
„Ein weitgereister Mann wie du hat sicher einiges von der Welt gesehen und kann Interessantes darüber berichten“, begann Eberhard die Unterhaltung, nachdem er seine Angel ausgeworfen hatte, „erzähle mir Einiges von deinen Reisen und Unternehmungen.“
Roderik begann zu erzählen. Er berichtete Wahres und Unwahres; vermischte die Dinge und stellte sein Licht nicht unter den Scheffel.
Längst hatte er erfahren, was es mit Eberhards Frauengelüsten auf sich hatte und er brachte das Thema auf die Frauen fremder Länder. Dies gefiel dem König und er wollte den Erzähler ermuntern, damit fortzufahren.
Während der einstige Zauberer und Scharlatan erzählte, begann in seinem Kopf ein Plan Gestalt anzunehmen, wie er sich mit Eberhards Hilfe an König Wolf rächen könne. Er beschloss jedoch, allmählich vorzugehen, um dem interessiert Lauschenden nicht Grund zum Misstrauen zu geben.
So tat er am Ende des Tages, als sie sich bereits auf dem Rückwege zum Schloss befanden, als seien ihm weitere, erzählenswerte Geschichten eingefallen, welche jedoch geraume Zeit in Anspruch nähmen.
Eberhard, begierig alles Wissenswerte über die Weiblichkeit anderer Länder und Gegenden zu erfahren, bestellte den Erzähler, wie von Diesem erwartet, für den nächsten Tag.
Wieder saßen sie ungestört am Fluss und Eberhard lauschte den Phantasien des Roderik. Dieser, dessen Plan nun zur Reife gelangt war, brachte die Rede auf eine betörend schöne Tänzerin, welche von einem übelwollenden König in Dessen Schloss festgehalten werde. – Die junge Frau sei so schön und in Dingen der Liebe so heißblütig und erfahren, dass jener König, um sie in seinen Besitz zu bringen, sogar vor Raub und Mord nicht zurückgeschreckt war.
Er sei mit seinem Heer losgezogen, habe unter gräulichen Mordtaten die Schöne an sich gebracht und sie letztendlich mit sich auf sein Schloss genommen, wo er sie seitdem gefangen hielte.
Aufgebracht rief Eberhard:
„Welch ein Unhold ! Sage mir, - wo lebt dieser Schändliche und wie ist sein Name ?!“
Nichtsahnend nannte der Verleumder den Namen des König Wolf und gab gar noch zu wissen, dass der Name der schönen Tänzerin Kunti sei.
Eberhard sprang auf.
„Erbärmlicher !“
Er hob die Faust, hielt jedoch inne und setzte sich wieder an seinen Platz.
Diesen Ausbruch missverstehend, fuhr Roderik fort, den König Wolf schlecht zu reden und schilderte, welche Qualen diese schöne junge Frau auszustehen hätte. Ihm fiel nicht auf, dass Eberhard immer stiller wurde, je weiter die Schilderung gedieh.
Dieser hing eigenen Gedanken nach und so dauerte es denn auch nicht lange, bis der König sich erhob, um den Erzähler zu unterbrechen:
„Lass uns zurückkehren; es muss Etwas unternommen werden !“
Ein drohender Unterton klang in Eberhards Stimme, welcher jedoch wiederum von Roderik missverstanden wurde.
Diesen erfasste eine wilde Freude. Eberhard war imstande, mit einem Heer das Land des Feindes zu verwüsten, um in den Besitz der schönen Kunti zu gelangen...
Eberhard eilte zu seiner Gespielin, um Diese zu befragen, was sie über einen Mann ohne Nase und Ohren wisse. Kunti hatte bis zu diesem Zeitpunkt nichts von der Anwesenheit Roderik’s geahnt und sie erschrak.
„Er führt Böses im Schilde“, flüsterte sie und erzählte Eberhard die ganze Geschichte.
Der König gab strengste Anweisung an alle Palastbedienstete, bei Androhung der Todesstrafe, nichts über das Hiersein Kuntis, sowie Eberhards Blutverhältnis
zu König Wolf, dem Nasenlosen gegenüber verlauten zu lassen. Sodann beriet er sich mit seinen Vertrauten über die weiteren Schritte.
- Schließlich wurden Boten ausgesandt, um König Wolf über das Hiersein des Schändlichen zu unterrichten....
In einem Gewaltritt erreichte Wolf mit wenigen Getreuen das Schloss seines Bruders, wo man sich gemeinsam über das weitere Vorgehen beriet.
Es war bereits zu nächtlicher Stunde, als sich die Versammelten endlich trennten, um sich zur Ruhe zu begeben.
Am nächsten Tag wurde der Thronsaal hergerichtet, um dort ein königliches Gericht abzuhalten.
- König Wolf saß auf einem Stuhle, ihm zur Seite seine Getreuen. Umgeben waren Diese von der Leibwache des Eberhard, welche mit Lanzen und Schwertern bewaffnet war.
Eberhard selbst saß auf seinem Thron, seine Berater an der Seite. Kunti stand alleine abseits und war angehalten, nur auf Fragen zu antworten, sich ansonsten aber in Schweigen zu hüllen.
Man schickte nach Roderik. Als Dieser den Saal betrat und König Wolf erblickte, verhielt er für einen kurzen Augenblick den Schritt, um dann jedoch mit einem Glitzern in den Augen näherzutreten. Er begrüßte demutsvoll König Eberhard, welcher gnädig mit dem Kopfe nickte.
„Tritt näher und sage uns, ob dies derselbe König ist, von dem du mir gesprochen hast.“
Roderik warf nur einen kurzen Blick auf Wolf und wandte sich dann wieder Eberhard zu.
„Ja, Herr. Er ist es.“
Eberhard nickte zufrieden.
„Dann sieh’ auch hinüber in jene Ecke. Erkennst du auch sie ?“
Jetzt erst gewahrte Roderik die abseits stehende Kunti und der Mann mit der goldenen Nase trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
„Ich fragte König Wolf nach diesem Mädchen, – er erklärte bis zum Schluss, dass es sich nicht in seinem Palast befände.“
Eberhard legte eine kurze Pause ein, um dann fortzufahren:
„Nun, jetzt ist sie anwesend – und ich gebe mein Wort, dass sie nichts mehr zu befürchten haben wird. Wie denkst du über die Worte des Königs Wolf ?“
Der falsche Zauberer, überzeugt davon, dass Wolf als Gefangener Eberhards hier vor Gericht säße, erwiderte bereitwillig:
„Er ist ein Lügner und Betrüger, wie Ihr jetzt selbst unschwer erkennen könnt, o Herr.“
König Eberhard legte die Stirn in Falten.
„Wie sollte man wohl mit solch einem Lügner und Betrüger, der selbst mir derartige Lügen auftischt, verfahren ?“
„Er hat sein Leben verwirkt, Herr! Ihr seid hier der alleinige Herrscher – und es geht nicht an, dass Irgendwer Euch so schamlos belügen darf.“
„Gut“, erwiderte Eberhard, „ich habe dich gehört.“
Er wandte sich an die still dastehende Kunti:
„Sprich; bist du im Palast des Königs Wolf gewesen ?“
„Ja, Herr; ich war dort.“
Mehr sprach Kunti nicht, denn sie hatte verstanden, worum es ging.
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