So wertvoll diese Analyse akademisch auch sein mag - sie klammert das Nonverbale aus und ist nur eine Hälfte des Rades, die ohne die andere nie richtig ins Rollen kommt. Oft versteifen sich Tanzkreierende auf eine dieser Hälften. Ähnlich einseitig verhält es sich mit vielen Ausbildungskonzepten. Wünschenswert wären Ausbildungsansätze, die beide Seiten erfolgreich integrieren. Tanz ist nonverbal, benötigt aber in der Gestaltung eine intellektuelle Zersplitterung, ohne dabei seinen Ursprung zu verlieren.
Es geht für den Choreographen darum, sich ein gestalterisches Bewusstsein zu erarbeiten, das ihm die Entscheidung ermöglicht, in der unüberschreitbaren Magie des Tanzes immer wieder die technische Analyse dazwischenzuschalten, ohne die Verbindung zur Intuition zu verlieren.
In der Technik der Gestaltung gibt es Werkzeuge, die Sie entsprechend den verschiedenen Situationen zusammenstellen können. Diese Werkzeuge oder Hilfsmittel stellen handwerklich erfahrbare Techniken dar.
Für den Erfolg Ihrer Arbeit wird es entscheidend sein, wie Sie die Techniken an die Situationen anpassen können, und nach welchen Gesichtspunkten Sie diese auswählen.
Die Technik der Choreographie setzt sich aus vier Bausteinen zusammen:
Diese Oberbegriffe werden in den nach Themen strukturierten Kapiteln behandelt:
Kapitel 1 |
Subtext und Geist |
Kapitel 2 |
Thema - Struktur - Dramaturgie |
Kapitel 3 |
Gestalterische Grundlagen |
Kapitel 4 |
Thematische Bearbeitung |
Kapitel 5 |
Arrangement und Komposition |
Kapitel 6 |
Pädagogische Aspekte |
Kapitel 7 |
Schauspiel, Sprache und Tanz |
Kapitel 8 |
Tanz und Film |
Kapitel 9 |
Bühnenbild |
Kapitel 10 |
Beleuchtung |
Kapitel 11 |
Studien und Übungen |
Um die, in der Abbildung auf der vorigen Seite durch den Kreis symbolisierten Zusammenhänge zwischen den Bausteinen des choreographischen Handwerks zu erfassen, empfehle ich Ihnen, zuerst alle Kapitel zu lesen, um sie in einen intuitiven Zusammenhang zu stellen. Der zweite Schritt ist die Durchführung der Studien und Übungen. Lassen Sie sich dabei von den Anregungen mehr inspirieren als leiten. Entwickeln Sie eigene Recherchen. Gehen Sie dabei nicht chronologisch vor, sondern lassen Sie sich von Ihrem eigenen Interesse führen.
Möge dieses Buch Sie inspirieren! Mögen Ihre Tänze die Welt bereichern!
Da es nun einmal keine Objekte sind, die sich über die Bühne bewegen, sondern Menschen, und der Mensch sich durch den Geist auszeichnet, lohnt sich die Frage nach den Techniken, die den Untertext hinter den Schritten manipulieren. Ein Stück ohne Geist ist wie ein leeres Gefäß, bei dem wir auf einen Inhalt hofften. Wie oft sehen wir Stücke mit virtuosen Bewegungen und raffinierten choreographischen Ideen, ohne dass sie uns erreichen? Alles ist großartig, aber niemand ist begeistert, keiner weiß die Zauberformel, mit der man das Gebotene beschwören, mit Geist erfüllen und in Sinn verwandeln könnte. Nur die Kritiker weisen mit Überschriften, wie „Ohne die Kraft des Unerwarteten!" auf den von allen gefühlten Mangel hin.
Es sind mehr Dinge als Schritte im Raum, die eine emotionale Anteilnahme des Zuschauers auslösen. Es ist auch nicht das, was ein Tänzer spielt, während er tanzt! Aber es hat etwas damit zu tun, was er erlebt! Bei einem Gruppenstück stehen diese Erlebnisse entweder im Kontrast zueinander oder sie multiplizieren sich gegenseitig. Viele Choreographen erwarten von ihren Tänzern, dass sie das hinter den Schritten liegende Geheimnis von sich aus mitbringen und dem Tanz Ausdruck verleihen. Leider funktioniert das oft nicht. Die Tänzer kennen den erwarteten Ausdruck nicht. Derzeit arbeite ich in verschiedenen Produktionen, und erst vor Kurzem hörte ich zwei Tänzer sich auf einer Probe darüber unterhalten, dass sie oft nicht wüssten, was sie darstellen, und sich fragen, wie sie aus einem Moment etwas machen sollen, wenn sie nicht wissen, was verhandelt wird. Sie haben Angst, etwas falsch zu machen, und halten sich zurück bzw. geben etwas allgemeinen Ausdruck. Ist es das, was Sie als Choreograph wollen? Etwas allgemeinen Ausdruck? Wenn nicht, dann müssen Sie den Tänzern Inspiration und Geist einhauchen. Gefühle wecken. Und den Mut, diese Gefühle zu zeigen.
Die Stoffquelle des inneren Raumes
Künstlerisch zu wirken bedeutet für viele Menschen, eine innere Spannung zu empfinden, die in der Arbeit ausgedrückt wird; das heißt, dass sich verschiedene Pole im Inneren konfrontativ gegenüberstehen. Beispiel: Ein Mensch aus Grönland zieht nach New York. Er kann sich an die Begrenzung des Raumes nicht gewöhnen. Das Bild der Häuserfassade überlagert er in Gedanken ständig mit der Weite. Die wahrzunehmende Enge und die Sehnsucht nach der Weite stehen sich in seinem Inneren als Spannungsfelder gegenüber. Aus diesem Spannungsfeld heraus entsteht in ihm der Wunsch, ein Stück zu kreieren, mit dem er diese Gedanken in eine Form bringen möchte, um seine Erfahrungen mit den in New York lebenden Menschen zu teilen.
Wollen Sie aus einem inneren Konflikt heraus Material erzeugen, das in eine Gestaltung mündet, dann brauchen Sie den inneren Raum in Verbindung mit einem offenen Kanal nach außen. Es nützt dem Grönländer noch nicht viel, wenn er Bilder der Weite zwischen den Hochhäusern sieht. Er muss die Empfindungen umsetzen können, um dann zu vergleichen, ob die Umsetzung dem entspricht, was in seinem Inneren entstand. Deshalb arbeitet dieser Kanal in beide Richtungen und ist Teil der handwerklichen Ausstattung, um künstlerisch zu gestalten. Und das ist keine Fähigkeit, die, einmal in uns etabliert, funktioniert. Es ist ein ständiger achtsamer Prozess, den inneren Raum mit dem äußeren in Verbindung und ins Verhältnis zu setzen. Funktioniert diese Verbindung, dann spüren wir es daran, wie die Welt, die wir sehen, ständig zu uns eindringt und Reaktionen und Spannungen auslöst, die uns antreiben, Stücke zu machen.
Andererseits entsteht mit diesem Kanal eine gewisse Verwundbarkeit, denn es ist ein Zustand ohne Mauern um unsere Seele - also ohne Schutz. Eigentlich wissen Sie, ob der Kanal funktioniert oder nicht. Sie wissen, ob die Welt in Sie eindringt oder draußen bleibt. Falls kein Impuls von außen nach innen dringt, dann äußert es sich zum Beispiel darin, dass wir uns in der Wahl der Themen wiederholen oder keine haben, und es stellt sich die Frage, ob wir uns mit der Wiederholung und der Leere begnügen oder an der Verbindung zwischen der mentalen und der äußeren Welt arbeiten.
Choreographen bilden ihre Tänzer immer auch mit aus. Zum einen geschieht das, um mit besseren Tänzern bessere Stücke zu machen, zum anderen entwickeln sich auch die Choreographen während der Ausbildung der Tänzer. Ich empfehle Ihnen deshalb, den inneren Raum bei Ihren Tänzern zu trainieren - es wird sich auch auf Sie als Choreograph auswirken. Was die Tänzer betrifft, so sollten diese mit dem Thema vertraut sein, wenn der Choreograph über die folgenden Zugänge seine Choreographie erarbeitet:
Читать дальше