Nathan. Nicht auf immer, will ich hoffen.
Daja. Nachher die ersten Tage sahen wir Ihn untern Palmen auf und nieder wandeln, Die dort des Auferstandnen Grab umschatten. Ich nahte mich ihm mit Entzücken, dankte, Erhob, entbot, beschwor, – nur einmal noch Die fromme Kreatur zu sehen, die Nicht ruhen könne, bis sie ihren Dank Zu seinen Füßen ausgeweinet.
Nathan. Nun?
Daja. Umsonst! Er war zu unsrer Bitte taub; Und goß so bittern Spott auf mich besonders ...
Nathan. Bis dadurch abgeschreckt ...
Daja. Nichts weniger! Ich trat ihn je den Tag von neuem an; Ließ jeden Tag von neuem mich verhöhnen. Was litt ich nicht von ihm! Was hätt' ich nicht Noch gern ertragen! – Aber lange schon Kommt er nicht mehr, die Palmen zu besuchen, Die unsers Auferstandnen Grab umschatten; Und niemand weiß, wo er geblieben ist. Ihr staunt? Ihr sinnt?
Nathan. Ich überdenke mir, Was das auf einen Geist, wie Rechas, wohl Für Eindruck machen muß. Sich so verschmäht Von dem zu finden, den man hochzuschätzen Sich so gezwungen fühlt; so weggestoßen, Und doch so angezogen werden; – Traun, Da müssen Herz und Kopf sich lange zanken, Ob Menschenhaß, ob Schwermut siegen soll. Oft siegt auch keines; und die Phantasie, Die in den Streit sich mengt, macht Schwärmer, Bei welchen bald der Kopf das Herz, und bald Das Herz den Kopf muß spielen. – Schlimmer Tausch! – Das letztere, verkenn ich Recha nicht, Ist Rechas Fall: sie schwärmt.
Daja. Allein so fromm, So liebenswürdig!
Nathan. Ist doch auch geschwärmt!
Daja. Vornehmlich eine – Grille, wenn Ihr wollt, Ist ihr sehr wert. Es sei ihr Tempelherr Kein irdischer und keines irdischen; Der Engel einer, deren Schutze sich Ihr kleines Herz, von Kindheit auf, so gern Vertrauet glaubte, sei aus seiner Wolke, In die er sonst verhüllt, auch noch im Feuer, Um sie geschwebt, mit eins als Tempelherr Hervorgetreten. – Lächelt nicht! – Wer weiß? Laßt lächelnd wenigstens ihr einen Wahn, In dem sich Jud' und Christ und Muselmann Vereinigen; – so einen süßen Wahn!
Nathan. Auch mir so süß! – Geh, wackre Daja, geh; Sieh, was sie macht; ob ich sie sprechen kann. – Sodann such ich den wilden, launigen Schutzengel auf. Und wenn ihm noch beliebt, Hienieden unter uns zu wallen; noch Beliebt, so ungesittet Ritterschaft Zu treiben: find ich ihn gewiß; und bring Ihn her.
Daja. Ihr unternehmet viel.
Nathan. Macht dann Der süße Wahn der süßern Wahrheit Platz: – Denn, Daja, glaube mir; dem Menschen ist Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel – So wirst du doch auf mich, auf mich nicht zürnen, Die Engelschwärmerin geheilt zu sehn?
Daja. Ihr seid so gut, und seid zugleich so schlimm! Ich geh! – Doch hört! doch seht! – Da kommt sie selbst.
Recha und die Vorigen.
Recha. So seid Ihr es doch ganz und gar, mein Vater? Ich glaubt', Ihr hättet Eure Stimme nur Vorausgeschickt. Wo bleibt Ihr? Was für Berge, Für Wüsten, was für Ströme trennen uns Denn noch? Ihr atmet Wand an Wand mit ihr, Und eilt nicht, Eure Recha zu umarmen? Die arme Recha, die indes verbrannte! Fast, fast verbrannte! Fast nur. Schaudert nicht! Es ist ein garstiger Tod, verbrennen. Oh!
Nathan. Mein Kind! mein liebes Kind!
Recha. Ihr mußtet über Den Euphrat, Tigris, Jordan; über – wer Weiß was für Wasser all? – Wie oft hab ich Um Euch gezittert, eh' das Feuer mir So nahe kam! Denn seit das Feuer mir So nahe kam: dünkt mich im Wasser sterben Erquickung, Labsal, Rettung, – Doch Ihr seid Ja nicht ertrunken: ich, ich bin ja nicht Verbrannt. Wie wollen wir uns freun, und Gott, Gott loben! Er, er trug Euch und den Nachen Auf Flügeln seiner unsichtbaren Engel Die ungetreuen Ström' hinüber. Er, Er winkte meinem Engel, daß er sichtbar Auf seinem weißen Fittiche, mich durch Das Feuer trüge –
Nathan. (Weißem Fittiche! Ja, ja! der weiße vorgespreizte Mantel Des Tempelherrn.)
Recha. Er sichtbar, sichtbar mich Durchs Feuer trüg', von seinem Fittiche Verweht. – Ich also, ich hab einen Engel Von Angesicht zu Angesicht gesehn; Und meinen Engel.
Nathan. Recha wär' es wert; Und würd' an ihm nichts Schönres sehn, als er An ihr.
Recha(lächelnd). Wem schmeichelt Ihr, mein Vater? wem? Dem Engel, oder Euch?
Nathan. Doch hätt' auch nur Ein Mensch – ein Mensch, wie die Natur sie täglich Gewährt, dir diesen Dienst erzeigt: er müßte Für dich ein Engel sein. Er müßt' und würde.
Recha. Nicht so ein Engel; nein! ein wirklicher; Es war gewiß ein wirklicher! – Habt Ihr, Ihr selbst die Möglichkeit, daß Engel sind, Daß Gott zum Besten derer, die ihn lieben, Auch Wunder könne tun, mich nicht gelehrt? Ich lieb ihn ja.
Nathan. Und er liebt dich; und tut Für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder; Ja, hat sie schon von aller Ewigkeit Für euch getan.
Recha. Das hör ich gern.
Nathan. Wie? weil Es ganz natürlich, ganz alltäglich klänge, Wenn dich ein eigentlicher Tempelherr Gerettet hätte: sollt' es darum weniger Ein Wunder sein? – Der Wunder höchstes ist, Daß uns die wahren, echten Wunder so Alltäglich werden können, werden sollen. Ohn' dieses allgemeine Wunder, hätte Ein Denkender wohl schwerlich Wunder je Genannt, was Kindern bloß so heißen mußte, Die gaffend nur das Ungewöhnlichste, Das Neuste nur verfolgen.
Daja(zu Nathan). Wollt Ihr denn Ihr ohnedem schon überspanntes Hirn Durch solcherlei Subtilitäten ganz Zersprengen?
Nathan. Laß mich! – Meiner Recha wär' Es Wunders nicht genug, daß sie ein Mensch Gerettet, welchen selbst kein kleines Wunder Erst retten müssen? Ja, kein kleines Wunder! Denn wer hat schon gehört, daß Saladin Je eines Tempelherrn verschont? daß je Ein Tempelherr von ihm verschont zu werden Verlangt? gehofft? ihm je für seine Freiheit Mehr als den ledern Gurt geboten, der Sein Eisen schleppt; und höchstens seinen Dolch?
Recha. Das schließt für mich, mein Vater. – Darum eben War das kein Tempelherr; er schien es nur. – Kömmt kein gefangner Tempelherr je anders Als zum gewissen Tode nach Jerusalem; Geht keiner in Jerusalem so frei Umher: wie hätte mich des Nachts freiwillig Denn einer retten können?
Nathan. Sieh! wie sinnreich. Jetzt, Daja, nimm das Wort. Ich hab es ja Von dir, daß er gefangen hergeschickt Ist worden. Ohne Zweifel weißt du mehr.
Daja. Nun ja. – So sagt man freilich; – doch man sagt Zugleich, daß Saladin den Tempelherrn Begnadigt, weil er seiner Brüder einem, Den er besonders lieb gehabt, so ähnlich sehe. Doch da es viele zwanzig Jahre her, Daß dieser Bruder nicht mehr lebt, – er hieß, Ich weiß nicht wie; – er blieb, ich weiß nicht wo: – So klingt das ja so gar – so gar unglaublich, Daß an der ganzen Sache wohl nichts ist.
Nathan. Ei, Daja! Warum wäre denn das so Unglaublich? Doch wohl nicht – wie's wohl geschieht – Um lieber etwas noch Unglaublichers Zu glauben? – Warum hätte Saladin, Der sein Geschwister insgesamt so liebt, In jüngern Jahren einen Bruder nicht Noch ganz besonders lieben können? – Pflegen Sich zwei Gesichter nicht zu ähneln? – Ist Ein alter Eindruck ein verlorner? – Wirkt Das Nämliche nicht mehr das Nämliche? Seit wenn? – Wo steckt hier das Unglaubliche? Ei freilich, weise Daja, wär's für dich Kein Wunder mehr; und deine Wunder nur Bedürf ... verdienen, will ich sagen, Glauben.
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