Gotthold Ephraim Lessing - Emilia Galotti

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In Lessings Trauerspiel trifft adlige Willkür auf bürgerliche Moral. Prinz Gonzaga lässt Emilias Bräutigam töten und sie entführen. Nun muss sie sich entscheiden: Ehrverlust oder Tod?
Klassenlektüre und Textarbeit einfach gemacht: Die Reihe «Reclam XL – Text und Kontext» erfüllt alle Anforderungen an Schullektüre und Bedürfnisse des Deutschunterrichts:
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Gotthold Ephraim Lessing

Emilia Galotti

Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Reclam XL | Text und Kontext

Herausgegeben von Thorsten Krause

Reclam

2014, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2020

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-960580-7

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-016112-8

www.reclam.de

[5]Erster Aufzug

Die Szene: ein Kabinett des Prinzen.

Erster Auftritt

DER PRINZ an einem Arbeitstische, voller Briefschaften und Papiere, deren einige er durchläuft .

Klagen, nichts als Klagen! Bittschriften, nichts als Bittschriften! – Die traurigen Geschäfte; und man beneidet uns noch! – Das glaub ich; wenn wir allen helfen könnten: dann wären wir zu beneiden. – Emilia? (Indem er noch eine von den Bittschriften aufschlägt, und nach dem unterschriebenen Namen sieht.) Eine Emilia? – Aber eine Emilia Bruneschi – nicht Galotti. Nicht Emilia Galotti! – Was will sie, diese Emilia Bruneschi? (Er lieset.) Viel gefodert; sehr viel. – Doch sie heißt Emilia. Gewährt! (Er unterschreibt und klingelt; worauf ein Kammerdiener hereintritt.) Es ist wohl noch keiner von den Räten in dem Vorzimmer?

DER KAMMERDIENER.

Nein.

DER PRINZ.

Ich habe zu früh Tag gemacht. – Der Morgen ist so schön. Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Lasst ihn rufen. (Der Kammerdiener geht ab.) – Ich kann doch nicht mehr arbeiten. – Ich war so ruhig, bild ich mir ein, so ruhig – Auf einmal muss eine arme Bruneschi, Emilia heißen: – weg ist meine Ruhe, und alles! –

DER KAMMERDIENER (welcher wieder hereintritt).

Nach dem Marchese ist geschickt. Und hier, ein Brief von der Gräfin Orsina.

DER PRINZ.

Der Orsina? Legt ihn hin.

DER KAMMERDIENER.

Ihr Läufer wartet.

DER PRINZ.

Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf. – Wo ist sie? In der Stadt? oder auf ihrer Villa?

DER KAMMERDIENER.

Sie ist gestern in die Stadt gekommen.

[6]DER PRINZ.

Desto schlimmer – besser; wollt ich sagen. So braucht der Läufer umso weniger zu warten. (Der Kammerdiener geht ab.) Meine teure Gräfin! (Bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt.) So gut, als gelesen! (Und ihn wieder wegwirft.) – Nun ja; ich habe sie zu lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann sein, ich habe sie auch wirklich geliebt. Aber – ich habe!

DER KAMMERDIENER (der nochmals hereintritt).

Der Maler Conti will die Gnade haben – –

DER PRINZ.

Conti? Recht wohl; lasst ihn hereinkommen. – Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. – (Steht auf.)

Zweiter Auftritt

CONTI. DER PRINZ.

DER PRINZ.

Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst?

CONTI.

Prinz, die Kunst geht nach Brot.

DER PRINZ.

Das muss sie nicht; das soll sie nicht, – in meinem kleinen Gebiete gewiss nicht. – Aber der Künstler muss auch arbeiten wollen.

CONTI.

Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten müssen, kann ihn um den Namen Künstler bringen.

DER PRINZ.

Ich meine nicht vieles; sondern viel: ein weniges; aber mit Fleiß. – Sie kommen doch nicht leer, Conti?

CONTI.

Ich bringe das Porträt, welches Sie mir befohlen haben, gnädiger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen: aber weil es gesehen zu werden verdient –

DER PRINZ.

Jenes ist? – Kann ich mich doch kaum erinnern –

CONTI.

Die Gräfin Orsina.

DER PRINZ.

Wahr! – Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her.

[7]CONTI.

Unsere schönen Damen sind nicht alle Tage zum Malen. Die Gräfin hat, seit drei Monaten, gerade Einmal sich entschließen können, zu sitzen.

DER PRINZ.

Wo sind die Stücke?

CONTI.

In dem Vorzimmer: ich hole sie.

Dritter Auftritt

DER PRINZ.

Ihr Bild! – mag! – Ihr Bild, ist sie doch nicht selber. – Und vielleicht find ich in dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht mehr erblicke. – Ich will es aber nicht wiederfinden. – Der beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen. – Wär es auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Farben, auf einen andern Grund gemalet ist, – in meinem Herzen wieder Platz machen will: – Wahrlich, ich glaube, ich wär es zufrieden. Als ich dort liebte, war ich immer so leicht, so fröhlich, so ausgelassen. – Nun bin ich von allem das Gegenteil. – Doch nein; nein, nein! Behäglicher, oder nicht behäglicher: ich bin so besser.

Vierter Auftritt

DER PRINZ. CONTI mit den Gemälden, wovon er das eine ver- wandt gegen einen Stuhl lehnet.

CONTI (indem er das andere zurechtstellet).

Ich bitte, Prinz, dass Sie die Schranken unserer Kunst erwägen wollen. Vieles von dem Anzüglichsten der Schönheit liegt ganz außer den Grenzen derselben. – Treten Sie so! –

DER PRINZ (nach einer kurzen Betrachtung).

Vortrefflich, Conti; – ganz vortrefflich! – Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem Pinsel. – Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt!

[8]CONTI.

Das Original schien dieser Meinung nicht zu sein. Auch ist es in der Tat nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muss. Die Kunst muss malen, wie sich die plastische Natur, – wenn es eine gibt – das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende Stoff unvermeidlich macht; ohne das Verderb, mit welchem die Zeit dagegen ankämpfet.

DER PRINZ.

Der denkende Künstler ist noch eins so viel wert. – Aber das Original, sagen Sie, fand dem ungeachtet –

CONTI.

Verzeihen Sie, Prinz. Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe nichts Nachteiliges von ihr äußern wollen.

DER PRINZ.

So viel als Ihnen beliebt! – Und was sagte das Original?

CONTI.

Ich bin zufrieden, sagte die Gräfin, wenn ich nicht hässlicher aussehe.

DER PRINZ.

Nicht hässlicher? – O das wahre Original!

CONTI.

Und mit einer Miene sagte sie das, – von der freilich dieses ihr Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget.

DER PRINZ.

Das meint ich ja; das ist es eben, worin ich die unendliche Schmeichelei finde. – O! ich kenne sie, jene stolze höhnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen würde! – Ich leugne nicht, dass ein schöner Mund, der sich ein wenig spöttisch verziehet, nicht selten um so viel schöner ist. Aber, wohlgemerkt, ein wenig: die Verziehung muss nicht bis zur Grimasse gehen, wie bei dieser Gräfin. Und Augen müssen über den wollüstigen Spötter die Aufsicht führen, – Augen, wie sie die gute Gräfin nun gerade gar nicht hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat.

CONTI.

Gnädiger Herr, ich bin äußerst betroffen –

DER PRINZ.

Und worüber? Alles, was die Kunst aus den großen, hervorragenden, stieren, starren Medusenaugen der Gräfin Gutes machen kann, das haben Sie, Conti, redlich daraus gemacht. – Redlich, sag ich? – Nicht so redlich, wäre redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti, lässt [9]sich aus diesem Bilde wohl der Charakter der Person schließen? Und das sollte doch. Stolz haben Sie in Würde, Hohn in Lächeln, Ansatz zu trübsinniger Schwärmerei in sanfte Schwermut verwandelt.

CONTI (etwas ärgerlich).

Ah, mein Prinz, – wir Maler rechnen darauf, dass das fertige Bild den Liebhaber noch ebenso warm findet, als warm er es bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe: und Augen der Liebe müssten uns auch nur beurteilen.

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