„Ich weiß, dass eure Darstellung von der schwierigen Lage Eichstätts zutrifft.“ Thereses Blick wanderte für einen Augenblick zum Erkerfenster. „Aber diese besondere Situation des Bistums ist Teil unseres Kalküls.“
Seine Hand glitt langsam auf die Brust, sein Gesicht war eine Frage. „Ich fürchte, ich kann euch nicht verstehen!“ Jacob Loderer bewegte den Oberkörper entschlossen zum Tisch, „Sagt mir ganz offen und klar, um welche Art von Geschäft es geht! Ich kann mir aus dem, was ihr mir bisher gesagt habt, keinen Reim machen!“
„Also. Es ist ganz einfach! Nach der Katastrophe von 34 hat der damalige Fürstbischof Westerstetten die Aufnahme eines größeren Kreditbetrages zum Juli 35 veranlasst, wohl um so die größte Not zu lindern. Dieser Kreditbetrag wurde in mehrere Einzelbeträge mit unterschiedlichen Laufzeiten aufgeteilt.“
„Zuschläge?“
„Je nach Laufzeit 36 und 40 vom Hundert.“
Er schob die Augenbrauen nach oben, war erkennbar überrascht, „36 vom Hundert?“
Sie zog leicht ihre Schultern hoch, öffnete gelassen ihre Hände, „Gutes Geld war und ist knapp und damit teuer! Jedenfalls konnten wir diese noch vom Westerstetten unterschriebenen Verträge und Wechsel erwerben, der erste Wechsel läuft im nächsten Monat ab. Das heißt: Das Bistum Eichstätt muss ihn wohl oder übel bedienen, will es nicht vertragsbrüchig werden.“
Jacob Loderer legte sich langsam in seinen Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute sie nun interessiert an, „Zugegeben, das wird den Marquard schmerzen, aber er wird zahlen müssen. Umso mehr erscheint mir euer Anliegen rätselhaft!“ Seine Augen verengten sich ein wenig, tasteten die Wand hinter ihr ab und fast sinnend, „Irgendetwas lauert hier im Hintergrund! Eine solche Wechseleinlösung ist heute der normalste Vorgang. Warum also der Umweg über mich?“ Seine Augen kehrten zurück, „Meine Dienste sind keineswegs umsonst? Und Izaak Goldberg zahlt nur, wenn er muss!“
„Das gilt ebenso für mich! Aber ich sagte ja bereits: Eure guten Verbindungen nach Eichstätt sind für uns wichtig, und sie sind uns deshalb einiges wert. Im Übrigen trügt euch euer Instinkt keineswegs.“
Bestätigendes, zufriedenes Lächeln, er wusste, dass er sich auf seine Erfahrung verlassen konnte.
„Wir möchten den Darlehensbetrag dieses ersten Wechsels gar nicht zur Auszahlung bringen, sondern gezielt umwandeln in entsprechendes Gut. Dabei ist es von größtem Wert, dass diese Umwandlung so unauffällig und selbstverständlich wie möglich geschieht. Etwa wie ein Entgegenkommen, eine Gefälligkeit, welche ihr dem Marquard gewähren könntet. In der gekonnten Durchführung dieses Geschäfts liegt euer besonderer Wert für uns.“
Das Schweigen fiel diesmal etwas länger aus. Jacob Loderer schaute sie aus leicht zusammengekniffenen Augen nachdenklich an, „Wie hoch ist die Wechselsumme?“
„1170 Gulden zu sechsunddreißig vom Hundert auf sechs Jahre! Die Zuschläge sind in Gulden zu zahlen. Fünfzig vom Hundert der Zuschläge wären euer Gewinn!“
Wieder eine lange Pause, in der seine Augen leicht zusammengekniffen etwa gleich lange auf ihrem Gesicht, auf der Tischplatte und dann wieder auf ihrem Gesicht ruhten.
Sie wusste, dass er jetzt nicht mehr zurück konnte. Als Kaufmann musste er das Geschäft machen.
Seine Frage kam sehr langsam, hochkonzentriert, „Ich nehme mal an, dass es sich bei dem Vergleichsobjekt um Grund und Boden handelt, und dass ihr ein ganz bestimmtes Objekt zu tauschen beabsichtigt.“
Sie zog die Augenbrauen zustimmend ein wenig hoch, „Es geht zuerst um den Zagelhof, am Hang oberhalb der Stadt. Und zwar mit allem Land und Wald und dem etwas tiefer liegenden Köblerhof samt Grund. Außerdem wollen wir aus dem Besitz des Bistums jenen Grund mit Hof übernehmen, auf dem zur Zeit der Scharfrichter Pocher wohnt. Den gesamten Grund mit allen Gebäuden! Ich erwarte nicht, dass vom Marquard oder den Kapitularen Einwände gegen diese Umgestaltung des Wechselwertes kommen werden. Das Bistum macht hier einen guten Tausch.“
Er nickte vor sich hin, langsam und überlegend, sah dann unvermittelt auf, entschlossen, „Gut, ich übernehme das Geschäft, so wie ihr es wünscht! Kann ich den Wechsel sehen?“
„Sicher! Nur,“ und dabei erhob sie sich von ihrem Stuhl, „muss ich mir dazu meinen Mantel ausziehen. Ich bitte Euch, mir das nachzusehen. Ich konnte schwerlich mit einem Wechsel in der Hand durch die Stadt laufen.“ Sagt´s, während sie ihren Mantel über die Schultern gleiten ließ und er ihr entspannt lächelnd, aber interessiert zusah.
Der Mantel war von innen mit leichtem Stoff gefüttert. In drei Bahnen wurde er von langen, sauber und nahezu unsichtbar gezogenen Nähten zusammengefasst.
Etwa zwei Handbreit unterhalb der Hüfte öffnete Therese mit spitzen Fingern die linke Naht. Den gekappten Faden zog sie einfach nach oben heraus, wodurch eine Öffnung entstand, groß genug, um mit der ganzen Hand hineinfahren zu können. Die Wechsel, von einem bräunlichen Pergamentumschlag geschützt, legte sie ruhig auf den Tisch.
Mit einem Schmunzeln beugte sich Jacob Loderer vor an den Tisch, „Es ist erstaunlich, wie geschickt Frauen immer wieder etwas zu verbergen wissen.“ und befasste sich mit dem Umschlag und den darin enthaltenen Wechseln. Nebeneinander legte er sie auf, fuhr mit seinen Fingerspitzen langsam, wie suchend, über das Geschriebene, hatte bald den zur Fälligkeit anstehenden Wechsel herausgefunden, nahm ihn an sich und lehnte sich ruhig in seinem Stuhl zurück. Als Therese sich setzte, beugte er sich wieder vor, „Habt ihr schon überschlagen, zu welcher Summe die Zuschläge aufgelaufen sind?“ Er blickte sie gerade heraus an, während seine Hände den Wechsel gewissermaßen in Besitz genommen hatten.
„Bei Ablauf des Wechsels werden genau 421 Gulden an Zuschlägen fällig! Von diesen 421 Gulden wären dann gerundet 210 Gulden euer Anteil.“ Er schob die Lippen etwas vor, „Ich denke, das kriegen wir hin, ihr könnt euch auf mich verlassen!“
„Gut! Wären noch die zwei anderen Wechsel!“ Ihre Augen wiesen kurz auf die Papiere, die bereits auf seiner Seite des Tisches lagen, und kehrten dann zu ihm zurück, ruhig, abwartend.
Er drehte sie nacheinander um, überflog kurz die Rückseite, „Beide Wechsel laufen gegen Ende dieses Jahres ab!“ Seine Mundwinkel zogen sich nach unten, die Augenbrauen nach oben, während seine Hand am ausgestreckten Arm auf den Wechseln ruhte, „Das sind gewaltige Beträge – zuzüglich der Zuschläge! Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Marquard diese Darlehen einlösen kann! Der Mann ist jetzt schon dabei, überall im Lande Geld zu erbetteln, um sein Bistum wieder aufzubauen und die übernommenen Schulden zu begleichen. Da hat der Westerstetten sich vergaloppiert!“ Nacheinander hob er die Wechsel hoch: „Zweitausenddreihundert und zweitausendsiebenhundert, das sind fünf – tausend – Gulden!“ Er sprach den letzten Teil des Satzes Wort für Wort verlangsamt aus, so als wollte er sich die gewaltige Summe möglichst eindringlich vorstellen. „Vierzig Prozent sagtet ihr? Das sind noch einmal zweitausend Gulden! Unmöglich!“
Indes, seine Skepsis und Sorge reichten nicht bis zu ihr. „Ich beabsichtige nicht, die Wechsel direkt beim Fürstbischof einzufordern.“
„Sondern?“
„Ich möchte den Gesamtbetrag der Wechsel in ein neues Geschäft einbringen – ganz einfach!“
„Ganz einfach!“ er betonte das „a“ im ´Ganz´ übermäßig lang, während er sich in seinen Stuhl zurücklehnte, „Wie stellt ihr euch das vor? – Immerhin müsst ihr den Betrag zunächst einmal flüssig machen. Ohne Geld kein neues Geschäft!“
„Nein! Nicht unbedingt! Ihr kennt die hiesigen Märkte, die Händler! Könntet ihr euch vorstellen, dass es euch möglich wäre, mir jemanden zu vermitteln, der zunächst einmal Geld in dieser Größenordnung braucht und der deshalb in der Lage wäre, mit dem nötigen Druck die Wechsel umzuwandeln?“ Sie machte eine kurze Pause, hielt seinen Blick mit dem Ihren fest, während er, vielleicht unsicher, ob er überhaupt richtig gehört hatte, wie angenagelt in seinem Stuhl saß.
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