Jasper Mendelsohn - Die freien Geisteskranken
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Höchst relevant."
Dr. Salomon Hecke
"Ein geiles Gefühl – das Buch am Ende zuzuklappen, zu rekapitulieren,
ein Wahnsinns-Moment."
Dirk Steffen, Influencer
"Ein Buch für Ärzte und Lehrer, für Redner und Journalisten, für Politiker und Manager, für Geschichtsinteressierte und Geschichtsdesinteressierte gleichermaßen, für Bankiers und Künstler. Für jedermann.
Die Zeit zwischen den Weltkriegen: Die deutsche Bildungslücke."
Brigitte Neumann, Frankfurter Standard
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»Herzfelde, mit e«, klärte Herzfelde abermals.
»Herzfeld!«, schnauzte der Staatsanwalt und der werte Richter hob den Autoritätshammer drohend, als könne er damit auch auf Köpfe und nicht nur auf Platten schlagen. »Herzfeld, Herzfeld, Herzfeld!«
Der Staatsanwalt fuhr stoisch fort:
»Und für den Angeklagten Georg Groß fordern wir den weiteren Verbleib in einer nervenklinischen Heilanstalt. Betrachtet man dieses infantile Machwerk mit all seiner sittenlosen Brutalität und sexuellen Obsession, so stellen wir fest, müssen sich bestimmte Drähte in diesem Gehirn fälschlicherweise berühren, therapeutische Maßnahmen sollen eingeleitet werden.«
»Herr Groß befand sich schon einmal in solch einer Einrichtung«, dokumentierte der werte Richter. »Mehrmals. Er wurde als ›gesunder Geisteskranker‹ entlassen.«
»Nichtsdestotrotz«, ging der Staatsanwalt weiter. »Es sei weiterhin erwähnt, dass dieser so mondän wirkende Herr schon bei den Spartakistenaufständen vor einigen Monaten festgenommen wurde. Dort entging er einer polizeilichen Einbehaltung mit gefälschten Papieren. Das Betrügen liegt ihm wahrnehmbar im Blut, euer Ehren. Ein Brausekopf der nach Bedenkzeit fleht, euer Ehren, wegsperren. Das Tier. Die von ihm zu Papier getragene Weltbeschreibung kommt von weit her, doch sie will noch weithin. Ich sage euch die Kiste zu, den Riegel davor und den Nagel darauf! Unsere junge Demokratie verlangt nach harter Strafregel. Und zu Herrn Herzfeld muss ich wohl nichts hinzufügen. Seinen Dienst am Vaterland wusste dieser Eulenspiegelverschnitt ja immer gekonnt zu umgehen, mir fehlen die Worte für so etwas. Gerade zu ihm gibt es nichts mehr zu sagen, aber viel zu schweigen. Im Namen des Volkes und der Demokratie. Zu den Euren, Euer Ehren.«
»Demokratie ist zerbrechlich ihr Kriegstreiber!« Herzfelde protestierte dem Prozess, stand von seiner Anklagebank auf und ballte die Fäuste.
»Ihr ladet doch nicht zu Wahlen, ihr Soldaten. Was ist das? Ihr schafft Stimmvieh herbei – mit angelegten Gewehren! Mit Knitteln weichgeklopftes Wählerfleisch. Ihr seid doch keine Demokraten, nein, was soll das sein? Ihr seid nicht gerecht! Ihr seid die rechte Hand der alten Generäle in altem Adel. Fememörder! Und ihr wagt zu klagen? Nach den Fällen Eisner, Liebknecht, Luxemburg und den anderen – wagt ihr zu klagen? Wer nicht dafür ist, ist dagegen, denn ihr gebt keine Kompromisse ab. Was soll das sein? Wir stimmen dagegen und ihr durchschneidet unsere Stimme? Und ihr seid Kläger?« Er streckte eine Faust zum Stuck der Gerichtssaaldecke und die Horde der Gäste grölte und röhrte. Die Claqueurs klatschten, die Chauffeurs animierten die Temperamente mit bissigen Bemerkungen, die Chatouilleurs wurden sarkastisch, die Connaisseurs schlugen Freisprüche vor, die Rieurs lachten laut, die Pleureurs weinten und der Autoritätshammer schlug ein paar Mal auf. »Sie, Herr Herzfeld!«, schrie der Staatsanwalt enthemmt. »Gerade Sie! Haben sich in Kriegszeiten ja förmlich als erster Deserteur der Drückebergerkompanie hervorgetan. Keine drei Schritte konnten Sie mit Ihren Kameraden marschieren ohne wieder auszuscheren. Einen Offizier sollen Sie sogar geohrfeigt haben. Einen Offizier, Euer Ehren! Sie waren schon so gut wie füsiliert, ja, Sie standen schon an der Wand. Hatten Sie ein Glück, dass der Kaiser an jenem Tage Geburtstag hatte und zufällig Gnade über Ihre Schultern legte. Danken Sie dem Kaiser und halten Sie gefälligst ihr feiges Maul geschlossen! Verzeihung Euer Ehren, zu den Euren.« Doch Herzfelde schlug weiter zu: »Feige nennen Sie mich? Wenn hier einer im Raum steht der wahrhaft Standhaft ist, dann bin ich das! Feige? Das bedeutet nichts zu sagen, auch wenn man muss, weil man nicht darf. Doch ich muss – dürfen! Und danken soll ich dem Kaiser? Lüften Sie mal Ihre Kutte!« Einige Gäste verloren ihr gutes Benehmen vor hellichter Aufregung und warfen Kraftausdrücke auf die Ämter. »Ihr Soldaten!«, fügte Herzfelde hinzu, untergehend im Orchester der Parolenschreier, bis es ihn weit übertönte. Der Revolutionssprecher war lebendig. Grosz war sichtlich entspannt in einer Atmosphäre des sich zutragenden Geschreis auf seinem eigenen und unvergleichbaren Temperament – so verbissen und konzentriert, so schön weil so hässlich. So klug weil so dämlich, ja, im Auge des Scheißesturms. Mit den fragilsten Geschöpfen der sogenannten Harten. Mit den spaßlosesten der Humorlosen. Diese mitlaufenden Bremsen der Menschheitsgeschichte. Als Grosz aufstand, setzten sich die Gäste wieder, als wiese es ihnen ihr Naturinstinkt zu. Er stellte sich an Herzfeldes Schulter für den Schluss. Die empörten Staatsanwälte spitzten beinahe interessiert die Ohren und der werte Richter lehnte sich in seinen Richterstuhl zurück. Grosz genoss die Aufmerksamkeit kurz und professionell und fragte: »Um was, im Rahmen, darf ich Fragen, geht es denn hier?« Und er blickte fragend in den Saal und der Saal blickte fragend zurück. »Ich habe den werten Herren noch nicht einmal guten Tag gewünscht und schon wurden hier so viele Urteile gefällt wie Menschen in diesem Raum sitzen. Über wen oder was auch immer. Ich bin Künstler. Ich male Kunst. Ich male was ich sehe und ich male wie ich fühle. Das ist meine Beschäftigung und das ist mein Broterwerb. Herr Herzfelde betreibt seinen Broterwerb mit der Veröffentlichung meiner Beschäftigung und der Beschäftigungen vieler anderer. Ich persönlich sehe mich heute hier an diesem Ort zu einer Diskussion gebeten, nicht aber beschuldigt zu werden für die Äußerung meiner bescheidenen Meinung. Wenn mir also etwas vorgelegt werden würde, was mich zur Diskussion fordern könnte oder sollte, bitte, etwas Haptisches. Denn dann wäre ich durchaus bereit dem meine Aufmerksamkeit zu schenken und mich zu erklären, auch wenn ich das nicht müssen sollte. Denn dann würde mir das Gericht die sogenannte Ehre erweisen, mein Werk zu interpretieren und mir seinen Anstoß an seinem getroffenen Nerv zu schildern.« Grosz setzte sich wieder hin und der Saal war still. Der Staatsanwalt, etwas überrascht, dass man auf ihn wartete, begann seine Lesung. »Herr Groß«, legte er los. »Das hier ist Beweisstück Nummer eins.« »Nennen wir es ›Erzeugnis‹ Nummer eins«, grätschte Grosz dazwischen. »Es heißt aber Beweisstück Nummer eins«, drückte der Staatsanwalt dagegen und der werte Richter drohte dem Angeklagten mit dem Autoritätshammer. Der Staatsanwalt erhob die erste Zeichnung der Mappe, hielt sie den Gästen, den Angeklagten und dem werten Richter in zwei Fingern eingeklemmt, die anderen abgespreizt – so als hielte er eine ansteckende Fäkalie – vor die schnuppernden Nasen und polterte voran: »Auf Beweisstück Nummer eins sehen wir einen einfachen Soldaten am Fluss stehen, am Stadtrand im Wald, denn er lehnt an einem Baum und hinter ihm sieht man die Stadt und vor ihm fließt ein Fluss.« Er deutete mit seinem Stift auf die Eckpunkte der Zeichnung. »Und aus dem Wasser vor ihm schwemmt eine Leiche auf. Der betreffende Soldat wird so dargestellt, als wäre er kein fühlender Mensch, er wirkt gelassen. Fast so, als wäre der betreffende Soldat selbst der Mörder der dargestellten Leiche, kalt und ohne Gewissensbiss; dabei hätte die Leiche von überall her geschwemmt worden sein. Zu den Euren, euer Ehren.« »Liegt der Tod nicht im Sinne des Soldatenberufs?«, fragte der werte Richter. Der Staatsanwalt blätterte mit gestoßener Nase die nächste Seite auf und hielt die nächste Zeichnung hoch. »Auf Beweisstück Nummer zwei sehen wir einen Arzt mit einem Stethoskop beim Aushorchen eines Skeletts. Er spricht das Skelett gesund! In seiner Sprechblase steht das Kürzel ›k.v.‹ – kriegsverwendungsfähig.« Die Gäste kicherten, der Staatsanwalt präzisierte: »Um den betreffenden Arzt und den betreffenden Patienten sitzen Reichswehroberste versammelt. Diese bedienen sich verschiedenster Gesichtsausdrücke, auf verschiedenste Arten interpretierbar. Hier die anwaltliche Interpretation: Zweie lachen sich gegenseitig zu, ein anderer schmollt, der nächste notiert bedächtig, ein anderer sitzt dort wie Kinopublikum und raucht Zigarre, der nächste bewacht die Türe, und ein anderer Arzt hält die Krankenakte sichtlich erstaunt. Die Bildunterschrift lautet: ›Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.‹ Garstige Ironie. Alles in allem ist die Situation eine Lächerliche. Unsere anwaltliche Rechtsauffassung hat hier einen tiefen Einschnitt in die Standards unserer Staats- und Spitalräson sowie unseren pharmazeutischen Fortschritt identifiziert. Zu den Euren, euer Ehren.« »Sterben Soldaten nicht?«, fragte der werte Richter. Der Staatsanwalt zog die Nase kraus und dann das dritte Blatt hervor. »Beweisstück Nummer drei: Zwei durchaus als unsympathisch hervorgehobene Geschäftsleute, oder Handelsmänner, speisen bei durchaus imposantem Mahl, während vor ihnen scheinbar unschuldige Menschen von Soldaten mit deren Bajonetten zerstochen werden. Und überhaupt, es sieht dabei ganz so aus, als hätten die Soldaten Spaß dabei, Menschen zu schlachten. Als schenke es ihnen Freude Menschen zu zerstechen und ihre Pistolen zu ziehen. Sehen Sie es sich an. Widerlich. Ekelhaft. Euer Ehren, dies ist nichts anderes als ein eklatanter Angriff auf die Reichswehrmoral, ein Skandal. Eine Grabschändung der ehrbaren Opfer des Krieges. Ja, Sie, Georg Großklein, da haben Sie es. Und es ist ja nicht einmal anatomisch korrekt ausgeführt, euer Ehren, die Perspektive ist ja ganz prekär, euer Ehren, zu den Euren.« Der werte Richter suchte nach einer weisen, salomonischen Gegenfrage, da hob der Staatsanwalt das nächste Blatt und wurde selbstbewusster. »Das Profil eines spastisch behinderten Soldaten! Meine Damen und Herren, euer Ehren. Das Bild eines spastisch behinderten Soldaten! Ja!« Der Staatsanwalt spuckte theatralisches Feuer in den Saal: »Unsere Staatsgewalt, unsere Staatsmacht, unser Staatsstolz, unser Staatssein, unser Staat…«, er verlor an Atemluft und hustete, sein nächster Staat war ihm entfallen. »Können Sie denn beweisen, dass es sich hier um einen Spasmus handelt, Herr Staatsanwalt?«, fragte der werte Richter. Herzfelde nutzte die Schweigesekunde, hob abermals die Faust und lancierte den Staatsbegriffsmissbrauch: »Unser Staat, euer Staat, unser aller Staat, doch ohne Gewalt, ohne Macht, ohne Stolz, ohne Sein, keinem eigen! Jeder Staat, jede Gewalt, jede Macht, jedwedes Stolz, zusammen, jedem eigen! Das ist die nächste Welt. Nicht die Welt die uns wieder in Gewalt stürzt. Nicht die Welt die uns wieder, und wieder stürzt! Versteht ihr denn nicht den guten Gedanken?« »Himmel, Hintern, Zwirn, Herr Herzfeld, konzentrieren Sie sich endlich! Hinsetzen!«, rief der werte Richter, alteriert über die Undiszipliniertheit dieses jungen Dränglers. Herzfelde blieb stehen. Grosz kontrahierte auf den springenden Punkt: »Was an diesen Zeichnungen ist mir nun exakt und ausführlich vorzuwerfen, und wenn ja, warum und inwiefern betrifft dies meinen Verleger, Wieland Herzfelde?« Der Staatsanwalt schäumte, der werte Richter knickte ihn ab und tat, was er am liebsten tat, er kam zum Abschluss: »Genug gehört, genug gesehen. Strichmännchen, die wie Generäle aussehen, jucken die Ankläger, Generäle jucken die Angeklagten. Ähem. Waagschale hin, Waagschale her, Justizia entscheidet. Herr Groß, stehen Sie auf. Herr Herzfeld, auf sie kommen wir gleich zu sprechen, setzen Sie sich jetzt hin, verdammt noch mal. Ungeheuerlich!« Herzfelde blieb stehen. »Herr Groß, Ihre Erklärung an die Ankläger. Was haben Sie sich nur bei dieser Schandkleckserei gedacht? Das ist doch keine Kunst.« Grosz hob seine Vortragshand. »Was ist denn Kunst, Euer Ehren? Ich verarbeite nur meinen Eindruck, nichts weiter als das. Sehen Sie: Wenn der Bauer dem Schaf das Gras zu fressen gibt, dann will er nicht das wiedergekäute Gras zurück. Er will die Milch, die Wolle und das Fleisch, und endlich Käse und Pullover und Braten. So ist es auch mit mir. Ich nehme auf und gebe ab, das ist mein menschlichstes Tun. Ich gebe in einer Form ab, was ich in einer anderen Form aufnehme. Ich esse – und ich scheiße!« »Ja, und das alles ist Scheiße! Da haben Sie’s gesagt!«, echauffierte sich nun erstmals der zweite Staatsanwalt und kippte mit seinem Stuhl nach vorn, als hätte die Debatte nun endlich sein Niveau erreicht. »Nichts als Scheiße!«, schrie er inbrünstig, »ein Fiasko!« Satanisch erhob er die offene Hand zur Backpfeife. Justizia musste sich schon fast die Ohren zuhalten. »O ja«, stimmte ihm Grosz zu, »alles was der Körper aufnimmt, verdaut er und stößt es los. Das ist die Tugend des Schaffenden. Der Schaffende kann nicht anders als zu schaffen – das ist körperliche Notwendigkeit. Nichts anderes als körperliche Notwendigkeit. Und wenn ich Schimmel und Pilz und Knochen und Gräte essen muss – dann scheiße ich Scherben. Und wenn es stinkt, dann ist es nicht mein Körper, sondern es sind die Gase dieser schimmligen Gräten und dieser knöcherigen Pilze die ich zurückstoßen muss. So sucht sich der Maler stets eine schöne Landschaft zum Malen, denn sie bringt gesunden, festen Stuhl hervor. O, du friedlebender Landschaftsmaler. Ja, der Ästhet, er scheißt lang und gern, denn guter Stuhl ist die Vollendung eines wahrhaftigen Mahles, des ernsten Malens. Doch eure Welt gibt mir keine ruhige Landschaft und lachende Bäume und herzliche Grashügel. Eure Welt gibt mir nur Scheiße zum Sujet, und so esse ich, und so male ich. Ich kann nun mal nichts anderes verdauen als meinen Einfluss. Der Apfel fällt nicht weit vom Pferd. Doch jetzt genug – Sie haben mich schon verstanden. Ich plädiere auf Unschuld.« Die Staatsanwälte schüttelten die Köpfe wie ungläubige Katholiken. Der Richter klopfte seinen Hammer zum abermaligsten Male auf die Platte, es rumorte schon wieder. Er erhob sich erhaben und gelobte seiner Entourage mit prophetengleicher Geste ihm gleich zu tun. Das Gefolge folgte ihm, die Urteilsverkündung war also gekommen. Schluss mit dem Vabanquespiel dieser zwei Rotzlöffel. Er öffnete den Käfig hinter sich und ein Lichtstrahl schoss aus ihm heraus und erbrach sich über den Tross. Justizia höchstpersönlich stieg dort heraus und wuchs über die gespannten Kläger und Beklagten hinaus. Mit ihren vier Metern Körperhöhe streiften ihre elektrisch geladenen Seidenhaare die Saaldecke. Die Augen, das Organ des Erkennens, verbunden – so sollte sie nun das Urteil fällen. Nur mit den Ohren, dem Organ der Furcht, und einem Riecher, dem Organ der Verführung, zur Verfügung. Eine rostige Krämerwaage in der einen Hand, welche Tat mit Strafe aufwiegt; und ein Schwert in der anderen, welches die abgemessene Rache ausführt. So stand sie da, blind, mit dem Rücken zum Geschehen. »Justizia!«, rief Herzfelde. »Hier sind wir!«, rief Grosz. »Pssst!«, zischte der Staatsanwalt. Justizia drehte sich um und stieß sich ihren Kopf am Kronleuchter, ihr seidenes Haar verfing sich in den Glasketten, so dass die Gerichtsdiener eine Leiter hereinbrachten um das Missgeschick zu entwirren. Während sie noch beim entfädeln waren, richtete Justizia ihr Schwert zum Schuldspruch an die Fensterfront. Die Gäste sprangen auf und lachten. Arme Justizia, dachte Grosz. Ihr werden Werte in die Waagschalen gelegt bis den Handelsmännern ihr Geschäft billig ist. Gleich welchem System sie nun dienen soll, die arme Madame der Gerechtigkeit, man verbindet ihr die Augen, dreht sie fünfmal im Kreis und ruft ihr zu: Blinde Kuh! Blinde Kuh! Blinde Kuh! Finde das Salzkorn in der Suppe! Die Gerichtsdiener geleiteten die Schwertspitze vor seine freche Nasenspitze. Die alte, dürre Geisterfrau öffnete ihren Mund, und der Geruch von Jahrhunderte altem Schweigen miefte durch den Saal und drang in das modrige Möbelholz der Bänke und Altare, wo schon viele Generationen Juristen Platz genommen hatten und die Asche ihrer Traditionen weitergaben. »Unter den Talaren Muff von tausend Jahren«, kommentierte Herzfelde unbeeindruckt. Justizia öffnete ihr Sprachrohr. Die Spinnweben in ihrem mit Flechten bewachsenen Kiefer bogen sich wie Segel und die Spinnen verkrochen sich in ihre Zahnlücken. Der Wind blies Grosz durchs Haar, der Papierkram verflog in kleinen Wirbelstürmen. Der Bass ihrer tiefen, alten Stimme ließ den Boden krächzen und knarzen. »Im Namen des Volkes ergeht folgendes Unheil, bitte, Urteil, danke. Georg Groß. Schuldig im Sinne der Anklage in zweierlei Punkten: Rufmorden der Reichswehr und Angriff auf die öffentliche Moral. Sein Opfer füge die Teile wieder zusammen, sein Blut fülle die Brunnen wieder auf. Das macht auf Deutsch dreihundert Reichsmark. Wieland Herzfeld, Kopf der Organisation des kommunistischen Verlages Malik und der kriminellen Energie eines Wolfsrudelführers. Sein Opfer verschließe die Wunden unschuldiger Kinderseelen, sein Blut fließe aus den Wasserhähnen aller Betroffenen. Das macht auf Deutsch sechshundert Reichsmark.« Dann sperrten die Gerichtsdiener Justizia zurück in den Käfig. Die Renegaten blieben still und angemessen, hoben ihre Trenchcoats von den Stuhllehnen, setzten sich die Hüte auf und verließen das Spannungsfeld. Die Unwirklichkeit der flachen Systemiker unterrichtet einen mit tiefen Schlägen. Was soll man schon anderes tun als die Grobdenker zu erdulden. Ohne Grußworte beeilten sie sich durch die großen Türen und stolzierten, mit ihrem Rudel im Rücken, die Treppen des Gerichtsgebäudes hinab. Herzfelde drehte sich um rief ihnen zu: »Genug! Die Obergockel haben genug gegackert und Schlaumeier gelegt und sich die Kämme wund gekämmt, lassen wir sie brüten. An einem Ort, an dem Unrecht gesprochen wird, ist dem rechten Menschen der Schuldspruch ein Ritterschlag. Wir treffen uns heute Abend im Verlag, Lagebesprechung, um einundzwanzig Uhr.« Die Malik-Männer klopften sich auf die Schultern, gaben den Journalisten noch kurze Interviews und gingen ihrer Wege. Die Staatsanwälte standen zur gleichen Zeit in einem leeren Saal. »Aber Euer Ehren«, riefen sie ihre Majestät zur Rechtsprechung auf, »das waren Kommunisten!« Der werte Richter hob das Kinn und sprach ihnen von seinem Rang herunter. »Und sie waren jung«, fügte er hinzu. »Wer seine Jugend nicht nutzt, um gegen Mauern zu laufen, kann sein Alter nicht nutzen, um mit besserem Wissen Türen zu zimmern. Beim nächsten Mal, meine Herren Staatsanwaltschaft, beim nächsten Mal soll es das letzte Mal gewesen sein. Ich wünsche einen guten Tag.« Er erhob sich und verließ den Saal durch die Hintertür. Mit Dummen zu diskutieren ist wie mit einem Hunde Schach zu spielen. Er versteht nie worum es geht, nimmt die Figuren in den Mund und kötert aufs Brett. »Beispiellos«, stoßseufzte der eine Advokat und knüllte die Zeichnungen wütend in seinen Aktenkoffer zurück. »Juden!«, knurrte der andere. Semitisches Verschwörervolk, so rumorte es unter seiner Stirn: Sie treiben hart arbeitende Familien mit ihren Wucherzinsen in den Bankrott, dann zwingen sie die jüngsten und hübschesten Töchter in die Prostitution um ihren unstillbaren, sexuellen Appetit in ihnen abzureagieren, und jetzt? Jetzt grinsen sie einem ihre Goldkiefer auch noch mitten ins Gesicht und malen Bilder und gründen Verlage und machen Presse. Und ewig lügt die Presse. Doch allein unser Schicksal stopft ihnen die Bäuche nicht, die Backen werden nicht voll, Die Weltherrschaft muss es wohl auch noch sein. Aufgeregt kippelte er mit seinem Stuhl ein Stück zu weit nach hinten, so dass er umfiel und sich das Steißbein an der Lehne brach. Unwürdig musste er fortan durch die Straßen hinken. Jeder sah, wenn er ging, dass er an einem peinlichen Malheur vom Steiß ab aufwärts litt. Nie würde er diesen Schmerz je vergessen. Den seelischen wie den physischen. Nie. Auf jeden humpelnden Schritt würden sie ihn verfolgen. Doch bald – bald würde zurückgeschossen. Auf bald, wenn es Justizia wieder offiziell macht. Alle an die Wand stellen und abdrücken. Triffste immern Richtigen.
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