Unter diesen Bedingungen entwickelten sich die wenigen der einstmals die Erde beherrschenden Rasse, die in den Dunkelwelten überlebt hatten in etwas Neues, nie zuvor Dagewesenes.
Sie wurden zu Dunkelmenschen.
Mutter und Kind hatten eine lange Wanderung hinter sich. Eine sehr lange Wanderung. Sie kamen aus einem der tief liegenden, armen Reviere, aus einem Teil der Dunkelwelt, der den dort lebenden Wesen besonders viel Härte abverlangte. Nur kleine und kleinste Beute war dort zu machen, keine echten Proteinbissen und praktisch kein Fett.
Sie waren hinauf gestiegen, hatten sich durch viele Ebenen gekämpft und nun befanden sie sich an einem vorläufigen Ziel. Hier oben, das erkannten sie mit all ihren in den unteren Regionen übermäßig geschärften Sinne, gab es weder Mangel an Nahrung noch an frischem Wasser. Die Luft war süß und frisch und voll belebender Kraft. Sie waren beinahe im Paradies angekommen. Sie hatten auch einen geeigneten Nestplatz gefunden, eine wundervolle Grotte, gut versteckt, mit einem nahezu ebenen, trockenen und sandigen Boden und einem ausgezeichnet getarnten Eingang. Dieses Versteck zu finden, war nicht einfach gewesen, aber Mutter und Kind hatten es geschafft, sie hatten gefunden, wonach insbesondere die Mutter gesucht hatte. Einen Platz an dem sie bleiben konnten und nicht mehr hungern mussten. Einen Platz, der nur einen winzigen Nachteil besaß:
Es gab bereits ein starkes, erwachsenes Weibchen, welches sich nun anschickte, ihr angestammtes Revier zu verteidigen.
Sie waren so eben dabei gewesen, die Grotte in Besitz zu nehmen. Die Mutter hatte ihre Duftmarken über die vorhandenen Markierungen gesetzt, während das Kind sich in die wundervoll ausgeformte Schlafkuhle gekuschelt und zugesehen hatte. Zuerst hatte das Kind der Mutter helfen und ebenfalls Duftmarken setzen wollen, doch damit war sie bei der Mutter auf wenig Begeisterung gestoßen. Im Gegenteil, zum ersten Mal im Leben hatte das Kind einen heftigen Rüffel einstecken müssen, der von einem blitzschnellen Hieb mit der rechten Hand von der Mutter noch verstärkt worden war. Allerdings waren die scharfen Krallen in ihren Futteralen geblieben, das Kind hatte keine tieferen Verletzungen davongetragen.
Nun hockte das Kind in der Schlafkuhle und beobachtete den Eingang zur Grotte und so wurde die Mutter rechtzeitig gewarnt.
Ein großes, kräftiges Weibchen schob sich durch den schmalen Eingang in die Grotte und ließ keinen Zweifel daran, dass sie mit der Übernahme ihres Reviers durch fremde Eindringlinge keinesfalls einverstanden war. Sie war bereit, um ihr Revier zu kämpfen.
Das Weibchen war größer als Mutter und ganz sicherlich auch schwerer, doch das Kind erkannte mit wenigen Blicken, dass Mutter den bevorstehenden Kampf dennoch gewinnen konnte. Das andere Weibchen war nicht mehr jung und die Gelenke an ihren Armen und Beinen leuchteten in einem satten Rot, sie waren geschwollen und vermutlich schmerzhaft entzündet. Auch darüber hinaus gab ihr Körper zuviel Wärme ab, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie vielleicht sogar schon über das gebärfähige Alter hinaus oder doch knapp an der Grenze dazu war.
Ja, Mutter konnte den Kampf gewinnen, aber leicht würde es ihr nicht gemacht werden. Das andere Weibchen sah sich in der Grotte um, sondierte die Lage und sah das Kind in die Nestkuhle gekuschelt liegen, während die Mutter noch außerhalb der Grotte damit beschäftigt war, ihre engsten Grenzen zu markieren.
Das Kind sandte ängstliche Signale aus und hoffte, dass die Mutter diese Signale rasch empfangen würde. Dann aber machte es sich bereit, sich nach Kräften zu verteidigen, falls das andere Weibchen zum Angriff überging. Das Kind war selbst ein schon fast erwachsenes Weibchen und nicht mehr lange, dann würde es paarungsbereit sein und vielleicht schon bald ein eigenes Revier besitzen. Doch noch war es nicht soweit. Noch war das Kind nicht stark genug, um gegen ein wirklich erwachsenes Weibchen im Kampf zu bestehen. Aber das andere Weibchen solange hinzuhalten, bis die Mutter zurück war, das traute sich das Kind allemal zu.
Das andere Weibchen schlich in geduckter Haltung langsam und im trockenen Sand fast unhörbar näher an die Nestkuhle heran. Die Arme waren kampfbereit vorgereckt, die Hände offen, die Finger leicht gekrümmt und aus den Fingerspitzen ragten die langen, schwarzen und unglaublich scharfen Krallen drohend hervor. Auch an den Zehen schoben sich die Krallen langsam heraus und schon war der optimale Abstand zwischen Beute und Jäger erreicht. Die Muskeln zogen sich zusammen und spannten sich, die Revierbesitzerin war sprungbereit und es war nur eine Frage von Augenblicken, dann würde sie springen und mit zwanzig scharfen Krallen und einem Rachen voller nadelspitzer Zähne erbarmungslos zupacken. Doch auch das Kind war bereit. Auch bei der Kleinen war jeder Muskel in höchster Spannung und bereit zur Flucht, doch die Flucht blieb ihr erspart. Vom Eingang her ertönte ein kaum hörbares, heiseres Fauchen und die Revierbesitzerin kreiselte herum, denn nun war ihre echte Gegnerin aufgetaucht.
Der Unterschied zwischen den beiden Weibchen war augenfällig.
Das Herz der Mutter schlug langsam und gleichmäßig und sie strahlte in einem sanften, weichen Rot. Es gab an ihrem Körper keine Stellen mit erhöhter Temperatur, keine Schmerzen, keine Entzündungen, keinen altersbedingten Verschleiß. Vital und stark und geschmeidig, so präsentierte sie sich ihrer Gegnerin und auch diese erkannte sofort, dass sie auf eine Gegnerin gestoßen war, gegen die sie nur mit allergrößter Mühe gewinnen konnte. Aber es ging um ihr Revier und dieses kampflos abzugeben, verstieß gegen ihre sämtlichen Instinkte. Sie nahm den Kampf auf und sprang das fremde Weibchen mit einem gewaltigen Satz an.
Sie kämpften lautlos und in aberwitziger Schnelligkeit. Ihre Körper waren wie die zweier Schlangen in einander verschlungen und jede war bemüht, der gefährlichsten Waffe der Feindin auszuweichen. Die ungeheuer langen und wahnwitzig scharfen Zehenkrallen waren mühelos in der Lage, den Schutz einer Panzerechse zu brechen und ihn in kürzester Zeit in kleinste Stücke zu zerfetzen. Gegen Angriffe mit diesen Zehenkrallen war nur eine Abwehr möglich, die Schnelligkeit des Ausweichens verbunden mit der Kraft des Blockierens.
Beide Weibchen waren hervorragende Kämpferinnen, doch die Revierbesitzerin hatte sich schon bald trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit und trotz ihres Alters kleine Vorteile verschafft. Sie war es, die um das blanke Überleben kämpfte, sie warf alles in die Waagschalen, was sie besaß. Erfahrung und in zahlreichen Kämpfen geschulte Reflexe. Den fast schon verzweifelten Willen zum Überleben aber auch das Wissen, dass die Zeit des jungen Weibchens, der Mutter, ein solch großes und ergiebiges Revier zu übernehmen, vielleicht doch noch nicht ganz gekommen war. Die Mutter blutete schon aus mehreren, teilweise recht tiefen Wunden und der Blutverlust musste sie über kurz oder lang so schwächen, dass die Alte sich aus der Umklammerung der Mutter befreien konnte. Dann aber, wenn das geschehen war, galt das Leben der Mutter nichts mehr.
Das Kind beobachtete den Kampf der beiden Weibchen ganz genau. Es war in höchster Alarmbereitschaft, denn es wusste nur zu genau, dass bei einer Niederlage der Mutter auch das eigene Leben in höchster Gefahr stand und so tat es, was notwenig war. Für einen winzigen Moment war der Rücken der Revierbesitzerin direkt vor ihr. Ungeschützt und verletzlich und das Kind nutzte die Gelegenheit kompromisslos. Ihre beiden Hände zuckten vor, die Krallen bohrten sich tief in die Rückenmuskeln der Alten und nun zog das Kind die Hände diagonal über den Rücken der Gegnerin, zerfetzten die Muskeln und lähmten die Alte für ein paar Augenblicke.
Ein heißeres, wütendes Fauchen, das erste bemerkenswerte Geräusch, seit der Kampf begonnen hatte, verriet, dass die Unterstützung durch das Kind genau im richtigen Moment gekommen war. Die Alte war eben im Begriff gewesen, die Abwehr der Mutter zu durchbrechen und ihre Zehenkrallen in die Weichteile der Mutter zu rammen. Stattdessen waren da die stechenden, brennenden Schmerzen am Rücken, die augenblicklich ein Zusammenbrechen der eigenen Abwehr zur Folge hatte und sofort drehte sich das Blatt, das Kampfglück verließ sie. Nun war es die Alte, die voller Entsetzen spüren musste, wie sich die langen Zehenkrallen der Gegnerin durch ihre Bauchmuskeln bohrten, wie sich sofort ein rasender Schmerz in ihren Eingeweiden ausbreitete und ihr ganzer Körper steif und unbeweglich wurde, dann war es auch schon vorbei. Leber und Nieren wurden zerstört, Därme zerschnitten und die Magenwandung durchtrennt. Halb wahnsinnig vor Schmerzen vergaß die Alte nun für einen winzigen Augenblick die Deckung ihrer Kehle und damit war ihre Niederlage endgültig besiegelt. Ein blitzschneller Biss, erbarmungsloses Zupacken und dann war der Kampf zu Ende.
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