Die zwei Gläser Wein hatten sie mutig gemacht und sie sah Mike direkt an. „Mia sagt, du warst in die Mutter der Kinder verliebt …?“ Noch während sie sprach wusste sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
„Mia?“ Alle Fröhlichkeit war aus seinem Gesicht gewichen. „Hör zu Joy. Nicht alles in der Welt eignet sich für eine romantische Novelle. Nur um allen Mias dieser Welt vorzubeugen: Ich war nie in Trishs Mutter verliebt. Wir waren zusammen auf dem College, aber das war’s.“ Er sah sie ernst, fast feindselig an. „Die Kinder haben das gleiche Schicksal, wie ich es hatte. Nur, dass sie jünger waren, als sie ihre Eltern verloren … das ist alles.“ Er verstummte.
Joy fühlte sich elend. Undeutlich war das Gemurmel der Unterhaltungen aus dem Wohnzimmer zu hören. Das Holz im Kamin knisterte leise. Ein Funkenregen stob aus einem der zerbrechenden Scheite.
`Was für eine dumme, dumme Gans ich bin … warum habe ich ihn das gefragt …?’
Unvermittelt begann er wieder zu sprechen: „Vor 13 Jahren wurde meine Familie bei dem Anschlag in Omagh ausgelöscht. Meine Eltern, meine Schwester … “
Lähmende Stille breitet sich aus. Das Gelächter aus dem Nachbarraum wirkte seltsam schrill. Sie spürte, wie sich seine verzweifelte Traurigkeit tief in ihr eigenes Wesen senkte, wie Tränen in ihr aufstiegen.
„Sandy war zwei Jahre jünger als ich. Wir waren gute Kumpels. Du siehst ihr ähnlich, Joy.“ Seine Augen waren in der Dunkelheit nicht zu erkennen.
„Oh, Mike, das habe ich nicht gewusst … “ Sie zitterte am ganzen Leib.
Er legte besänftigend den Arm um ihre Schultern und zog Joy einen langen Augenblick an sich. „Schon gut, Joy, komm her. Ich wollte dich nicht erschrecken … “ Seine Stimme war sanft.
In diesem Moment platzte Trish ins Zimmer: „Los, los, wo bleibt ihr denn? Es ist gleich soweit!“
Joy wischte sich die Tränen vom Gesicht und beide folgten ihr in den Wintergarten, um das Feuerwerk zu sehen.
Gläser mit Sekt wurden verteilt, die ersten Raketen stiegen in den Himmel und explodierten in Tausend funkelnde Sterne, die langsam zur Erde sanken. Sean, Doc O’Brian und die Kinder hatte ganze Arbeit geleistet. Eine Feuerfontäne folgte der anderen, bengalisches Feuer, funkelnde Kreisel, die zischend über den Boden sausten. Unter lautem „Ohh“ und „Ahh“ begann plötzlich die Jahreszahl im Garten zu leuchten.
Joy und Mike standen noch immer eng beisammen.
Über die endlosen Hügel begannen aus der Ferne Glocken zu läuten.
„Happy New Year!“
Die Gläser klangen und gute Wünsche erfüllten die Luft. Eine letzte Rakete erhellte den Himmel.
„Auf das beste aller Jahre!“ Mike schüttete den Inhalt seines Glases in weitem Bogen hinaus auf die Wiese. „Das Vergangene darf irgendwann ruhen.“ Er klang entschlossen und sah Joy an.
„Ja“, sagte sie und lehnte sich an ihn.
„Wir holen deinen Wagen morgen.“ Mikes Land Rover, ein alter Land Rover Series III , machte einen Satz nach vorne und kam schlingernd zum Stehen. „Der Schnee ist tückisch … “ Er warf ihr einen aufmunternden Blick zu. „Keine Angst, wir müssen nur ein wenig vorsichtig sein.“
Joy nickte und kuschelte sich in ihren Mantel. Der Land Rover setzte sich in Bewegung. Bald waren in der Ferne die ersten Lichter der Stadt zu sehen und kamen langsam näher.
„Es ist nicht mehr weit … tut mir leid wegen der Heizung.“ Er macht keine Anstalten den Regler zu verschieben. Offensichtlich war ihm das Problem nicht neu.
Joy spürte, wie ihr die Kälte in die Glieder kroch. Das dünne Abendkleid und ihr Wintermantel boten keinen wirklichen Schutz. Die Wirkung des Alkohols auf der Party war längst verflogen. Sie fror erbärmlich.
„Geht’s noch?“ Er sah sie zweifelnd an.
„Ich bin blau gefroren. Dann passe ich besser zu meinem Kleid.“
Mike grinste.
Endlich fuhren sie durch die Pearsestreet und hielten vor dem Buchlanden. Die Vorstellung ihrer warmen Wohnung und einer heißen Tasse Tee belebten sie augenblicklich. ’Und dann ins Bett’, dachte sie, ’und schlafen, schlafen, schlafen.’ Sie war nicht daran gewöhnt, so lange aus zu sein.
Die Turmuhr der nahen Chathedral schlug zwei Uhr. De Barras und O’Donnovan waren noch hell erleuchtet. Davor standen Trauben von Nachtschwärmern, die in den Pubs nicht rauchen durften und deshalb die Zeit einer Zigarettenlänge auf der Straße zubrachten. Im Schein der Straßenlaternen nahm sich der aufsteigende Rauch seltsam irreal aus. Mike machte keine Anstalten auszusteigen.
Er sah sie kurz an. „Joy, ich war heute nicht fair zu dir. Ich hätte dich nicht so überfallen sollen wegen Mias dummen Geschwätzes. Es tut mir leid.“ Joys Zähne klapperten. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Und jetzt sorge ich auch noch dafür, dass du erfrierst … “
Sie konnte ihre Lippen kaum noch bewegen.
Er sprang aus dem Wagen und nahm den Schlüssel zum Laden aus ihren klammen Fingern. „Wenn du magst, hole ich dich morgen um elf Uhr ab zum Neujahrsfrühstück.“
`Ich gehe überall hin, wenn ich nur endlich ins Warme komme’, dachte Joy völlig unromantisch und nickte. Er mit seinem schweren Militärmantel hatte gut reden. „Gerne.“ Ihre Zähne klapperten noch lauter als vorher.
Er musste lachen. „Und jetzt ab mit dir! Bis um elf.“ Joy gehorchte folgsam wie ein kleines Kind. Er sah ihr noch nach, wie sie im Laden verschwand.
Unter dem Einfluss der wohligen Wärme ihrer Wohnung und der ersehnten Tasse Tee fühlte sich Joy besser. Sie zog sich aus und schlüpfte in ihren Fleeceschlafanzug. ‘Wunderbare Wärme’, dachte sie noch und kroch unter ihre Bettdecke. Die Party, das Feuerwerk, die vielen Getränke — was war es alles gewesen? — die Happy-New-Year-Rufe und Mike … alles verschwamm ineinander, löste sich auf. Sie schlief ein.
„Happy New Year!“ Eine laute Stimme unten auf der Straße weckte sie. Die Kirchgänger waren unterwegs und grüßten sich lautstark gegenseitig. Glückwünsche für das neue Jahr flogen hin und her wie Bälle, die sie einander über die Straße zuspielten. Joy hob verschlafen den Kopf. Sie hatte sich wunderbar erholt und genoss den Augenblick des Erwachens in ganzen Zügen. Ein wenig blieb sie noch liegen in der heimeligen Wärme ihrer Decken. Ja, das neue Jahr begann gut.
Ihr Blick fiel auf die Uhr. 10.30 — Mike würde sie in einer halben Stunde abholen.
Sie sprang aus dem Bett. Katzenwäsche, T-Shirt, Jeans, warmer Pullover, dicke Socken, Haare kämmen, für Schminke keine Zeit, Winterschuhe suchen, Goretexmantel — und schon hörte sie den Land Rover unten vor dem Laden halten.
‘Militärische Pünktlichkeit’, dachte sie und eilte nach unten.
Mike wartete im Wagen auf sie und lächelte ihr entgegen.
‘Er sieht umwerfend aus’, dachte sie wieder.
„Happy New Year, Joy!“
„Dir auch.“ Sie stieg in den Land Rover.
„Entschuldige die Uniform, aber ich muss heute Nachmittag noch zurück nach Cork.“
`Schade’, dachte Joy.
„Die Heizung geht übrigens noch immer nicht. Tut mir leid.“
„Schon okay. Heute habe ich ja kein Abendkleid an.“
Er grinste.
Die Landstraße war um diese Tageszeit wenig befahren und bald schon bogen sie, nachdem sie den Hallway über die Lagoon überquert hatten, ab nach Rosscarbery. Der kleine Ort war über die Jahrhunderte der Treffpunkt der Farmer aus dem Umland gewesen. Bunte Häuser säumten einen Platz, der fast zu groß für den kleinen Ort schien. Ein Centra , ein Andenkenladen, ein Funeral Home , ein Seafood-Restaurant und dann Pubs — jedes zweite Haus schien eines zu sein. Nolans Bar , in Gelb und Rot gestrichen, war erst kürzlich in einem Magazin mit den schönsten Pubs Irlands erschienen. Mike stellte den Wagen am Straßenrand ab.
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