Von draußen hörte man das sanfte Plätschern des Regens. Im Haus war alles still. Nichts regte sich.
„Ich konnte Sandy damals nicht helfen, aber dir, Joy. Und dafür bin ich dankbarer, als du es dir je vorstellen kannst … “ Er sah auf.
‘Er ist zu Tode erschöpft.’
„Ich denke, ich bin schon fast zu müde aufzustehen.“ Er grinste in komischer Hilflosigkeit.
„Leg dich einen Moment auf die Decke neben mich. Platz genug ist ja.“
„Ja, aber nur einen Augenblick … “ Er kapitulierte.
Tiefe regelmäßige Atemzüge verrieten Joy, dass er fest eingeschlafen war, kaum dass er zu Ende gesprochen hatte.
Joy betrachtete sein Gesicht. Völlig gelöst im tiefen Schlaf, war sein Kopf ein wenig zu Seite geneigt. Die Haare in wilder Unordnung bildeten einen scharfen Kontrast zu den klaren Linien seiner Züge. Unter den fest geschlossenen Lidern verloren sich die Strapazen der letzten Tage. Die steile Falte auf seiner Stirn war verschwunden. Ein goldenes Gefühl wuchs in ihrer Brust, das sich ausdehnte und den ganzen Raum erfüllte. Gerne hätte sie ihn berührt. Der schwere Regenmantel hatte sich im Schlaf unter seinem Kinn leicht geöffnet. Darunter konnte Joy den Halteriemen eines Funkgerätes erkennen. ‘Hoffentlich lassen sie ihn in Ruhe’, dachte Joy und lehnte sich wieder zurück in ihr Kissen. ´Was für ein seltsames Paar geben wir ab … aber es ist wunderbar, dass er hier bei mir ist.’ Zaghaft berührte sie seine Schulter und folgte mit den Fingerspitzen langsam den schweren Nähten des Revers.
Mrs. O’Brian warf nur einen mitleidigen Blick auf ihn, als sie mit dem Abendessen zu Joy ins Zimmer kam: „Er ist ein feiner Kerl, lassen wir ihn schlafen. Das wird ihm gut tun. Ich komme später wieder … Sie haben es doch bequem?“, flüsterte sie und schlich sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.
‘Endlich’, dachte sie lächelnd, als sie die Tür hinter sich zuzog, ‘die jungen Leute sind manchmal wirklich schwer von Begriff.’ Sie ging nach unten in ihre Küche.
Allmählich wurde es draußen dunkel. Die Schatten im Zimmer wurden länger und verschwanden schließlich ganz. Das Haus begann nach der nachmittäglichen Ruhe wieder lebendig zu werden. Türen wurden geöffnet und geschlossen, die Stimme Mrs. O’Brians rief nach den Kindern. Das Klirren von Geschirr drang an Joys Ohren. Irgendjemand stellte den Fernseher an. Eine Gameshow mit ihren Fanfaren und ständigen Plings war gedämpft aus dem Wohnzimmer zu hören.
Sie beobachte Mike im verlöschenden Tageslicht. Er regte sich nicht, nur sein Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig. Das Getrappel der Schritte auf den Gängen und Treppen war wieder zu hören. Wasserhähne begannen zu rauschen, helle Stimmen erklangen in Protest und wurden schnell zum Schweigen gebracht: „Psst!“ Mrs. O’Brian brachte die Kinder zu Bett. Dann wieder Stille.
Joy hörte, wie sich ihre Tür leise öffnete. „Sie schlafen noch nicht, Kindchen?“, flüsterte eine Stimme. „Dann wird es aber Zeit. Gute Nacht, Joy.“ Sie erwähnte Mike mit keinem Wort. Die Tür schloss sich so leise, wie sie sich geöffnet hatte.
Joy lauschte Mikes Atem und verfiel in der behaglichen Wärme des dämmrigen Raumes in einen Zustand zwischen Wachen und Schlaf. Von Zeit zu Zeit drehte sie sich zu ihm um, nur um zu sehen, ob er noch neben ihr lag. Das Mondlicht schien sich im Dunkel der Nacht auszudehnen, wieder zusammenzuziehen und mit silbernem Stift seltsame Schatten und Formen an die Wände zu zeichnen. Alles war in wilder Bewegung, dann stand alles plötzlich still. Joy fand sich unter den Ästen des umgestürzten Baumes wieder, spürte das splitternde Glas um sich her. Jemand hob sie aus dem Wagen. Wer hob sie aus dem Wagen? Wer? Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen. Wer? Sie spürte, wie sie sich an ihn klammerte. Das grobe Gewebe des Revers. Sie erinnerte sich …
Die Regenfront der Nacht begann langsam ins Landesinnere abzuziehen und der Himmel klarte auf. Die Morgensonne schien hell durch das Fenster und vertrieb die Schatten der Nacht.
Sie spürte, wie sich Mike bewegte, und war sofort hellwach. Er hatte sich aufgesetzt und stützte den Kopf in beide Hände. Dann sah er sich fragend im Zimmer um. Sein Blick fiel auf Joy. Er stand auf.
„Ich muss kurz eingenickt sein, entschuldige bitte.“
„Kurz?“ Sie lächelte ihn an „Du hast die ganze Nacht hier geschlafen … “ Joy sah, wie er sich mit der Hand über das Kinn fuhr und an sich herabblickte.
„Dem Bart nach zu urteilen … mit der ganzen Uniform?“ Er grinste verlegen.
‘Was, wenn er jetzt geht?’ Joy verspürte eine lähmende, kalte Angst im Herzen. ‘Was, wenn er jetzt einfach geht und mich allein zurücklässt?’
„Ich hoffe, ich habe mich nicht herumgewälzt und dich gestört?“
„Da hätte ich dich aus dem Bett geworfen.“ Sie lachte und schlüpfte unter ihrer Decke hervor. Sie spürte, wie der Boden unter ihr wankte und griff nach dem Stuhl, den man extra für ihre Besucher hingestellt hatte. „Huh … “
„Alles in Ordnung?“ Mike sah sie unschlüssig an. Er schloss einen Moment die Augen und wie ein Schwimmer vor dem Sprung holte er tief Luft. „Joy, ich weiß, ich bin ein Soldat und kaum das, was sich eine Frau für ein glückliches Leben wünscht. Aber … willst du es mit mir versuchen?“
Das goldene Gefühl in ihrem Herzen kehrte zurück und breitete sich aus, wurde zu einem glühenden Ball aus Licht, der ihn mit einschloss. ‘Wenn es Glück gibt, wenn es Glück wirklich gibt, ist es bei dir … ‘ Sie hob den Kopf und sah ihn an. Sanft ließ sie ihre Finger durch seine zerzausten Haare gleiten.
Seine Augen waren dunkel, voller Unsicherheit und Zweifel. Irgendetwas in ihm versuchte mit aller Macht, die Mauer, die ihn umgab, zu durchbrechen.
„Für mich gibt es nur dich Mike“, flüsterte sie.
Er zog sie an sich und hielt sie fest in seinen Armen.
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