Sie stutzte kurz, verengte dann die Augen. »Du willst mich auf den Arm nehmen.«
Vitus zuckte mit den Achseln. »Schade, bin ich so durchschaubar?«
Anna grinste. »Jemand wie du, der seine Seele für Pizza verkaufen würde, steht nicht unbedingt auf Schafsinnereien und Pansen.«
Alle lachten. Es folgte ein großes Hallo und Händeschütteln, bis sie beide endlich gegenüber von Viktoria und Ketu saßen. Vitus nahm am Kopfende Platz und hatte so seine Kinder direkt neben sich sitzen.
Sobald sie sich niedergelassen hatten, öffneten sich die Türen rechts und links der Tafel und das Essen wurde von beiden Seiten an sie herangetragen. Die Bediensteten gaben die Speisen nach dem Wunsch der Gäste auf und füllten Weißwein in die herrlich funkelnden Kristallgläser.
Anna trank einen Schluck. Er schmeckte spritzig und leicht.
»Hhm. Lecker!«
»Iss lieber erst mal was, Kleines. Wir hatten nur das Käsebrötchen heute Vormittag. Da ist Alkohol gefährlich.«
Anna gluckste. Viktors Ermahnung hätte durchaus auch von ihrem Vater stammen können. Aber er hatte ja recht. Also machte sie sich hungrig über die feine Kürbissuppe mit gerösteten Pinienkernen, Croutons und knusprig gebratenen Speckstreifen gefolgt von Herbst-Salat mit Orangenspalten und Entenbrust her. Sie spülte die Köstlichkeiten mit kleinen Schlucken des ebenso köstlichen Weines hinunter.
Beim Lammfilet in Kräuterkruste mit verschiedenen Gemüsen und Mandelbällchen bekam sie erste Schwierigkeiten, ihre Portion aufzuessen. Der leichte Rotwein, der dazu gereicht wurde, half ihr dabei.
Es folgten diverse Desserts zur Auswahl: Zabaione, Schokotörtchen mit flüssigem Kern, Himbeer-Parfait und Zitronensorbet. Dazu Eiswein.
Alles sah appetitlich aus und duftete verführerisch, aber Annas Magen streikte, so satt war sie. Verwundert musste sie feststellen, dass alle anderen begeistert von den Nachspeisen nahmen, und zwar reichlich.
Die Frage, wieso Elfen eigentlich ständig mit einen derart großen Appetit gesegnet waren, stellte sie erst einmal zurück. Sie jedenfalls hatte eindeutig mehr als genug gegessen und bat deshalb nur um einen Espresso. Derweil trank sie ein Schlückchen von dem süßen Wein, der ihrer Zunge schmeichelte. Der Espresso kam sofort.
»Kräuterlamm, Himbeer-Parfait, Espresso – klingt und schmeckt eher menschlich als elfisch!«
Augenblicklich trat Stille ein. Alle blickten in Annas Richtung, wenn auch größtenteils mit belustigtem Gesichtsausdruck.
»Entschuldigung«, murmelte sie kleinlaut, als sie begriff, dass ihre Gedanken von allen anderen wahrgenommen worden waren. »Ich wollte euch nicht zu nahe treten.«
Vitus ergriff lachend das Wort: »Wer sagt denn, dass Espresso oder Eis menschliche Erfindungen sind, Anna?«
»Die Italiener!«, rutschte es ihr heraus.
»Ja, die Elfen und Menschen des Südens haben so manche Gaumenfreude auf dem Speiseplan«, schmunzelte Vitus. »Es ist so, Anna: Wir leben zwar sorgsam getrennt von der Menschenwelt. Trotzdem gibt es vieles, was sich im Laufe der Jahrtausende vermischt hat. Schließlich ist immer mal wieder einer von uns zu den Menschen gegangen. Auch wenn wir hier keine Pizzerien betreiben, so haben wir dennoch viele Rezepte von den Menschen übernommen und ihnen dafür, selbstverständlich unbemerkt, unsere überlassen. Das ist natürlich nicht nur bei Kochrezepten so. Man kann von den Menschen und ihrer Wissbegierde sehr viel lernen. Wir leben hier nicht wie im Mittelalter, Anna.«
Stirnrunzelnd besah sie sich die Lüster unter der Decke. Sie verströmten warmes Licht, das den riesigen Raum schimmernd erhellte. Es waren keine Kerzen, die das geschliffene Kristall zum Funkeln brachten, aber auch keine Glühbirnen, bemerkte Anna bei näherer Betrachtung. Plötzlich drehte sich alles. Wahrscheinlich, weil sie so lange hochgestarrt hatte, schätzte sie und schüttelte energisch den Kopf, um das Karussell daraus zu vertreiben. Da fiel ihr wieder ein, aus welchem Grund sie nach oben geguckt hatte.
»Ich denke mal, ihr habt hier keine Kernkraftwerke, oder?«
Das allgemeine Gelächter schien ihre Frage zu beantworten.
»Nein, Anna«, sprach nun Estra mit seiner dunklen Stimme. »Wir haben unsere eigenen Energiequellen und Methoden. Sie stehen in Effizienz und Wirksamkeit den menschlichen in nichts nach, sind jedoch erheblich sauberer , könnte man sagen, was eindeutig ein großer Vorteil für unsere Welt ist.«
Saubere Energien? Anna war begeistert, was Estra zu bemerken schien, denn er antwortete, bevor sie überhaupt hatte fragen können: »Nein, nein, das funktioniert nicht, Anna. Man kann diese Energien nicht in die Menschenwelt übertragen, tut mir leid. Das klappt nur hier bei uns.«
»Schade«, meinte sie enttäuscht.
»Sind wir hier auf einem Wissenschaftsseminar oder auf einer Geburtstagsfeier?«, schaltete sich Aedama ein und verdrehte die Augen, ehe sie munter in die Hände klatschte. »Schluss jetzt! Lieber Vitus, wir danken dir für das köstliche Mahl. Ich denke, wir sind nun alle satt und könnten daher ein wenig Bewegung vertragen.«
»Nichts dagegen, schöne Frau. Doch vorher stoßen wir auf unser aller Wohl an.« Sie tranken, dann wischte sich Vitus den Mund an seiner weißen Damast-Serviette ab und stand auf. »Lasst uns nach nebenan gehen.«
Stühle rückten über den kostbar schimmernden parkettähnlichen Holzboden. Als Anna aufstand, wurde ihr ein bisschen schwummrig. Die verschiedenen Weingläser waren stets aufgefüllt worden. Da hatte sie wohl den Überblick verloren.
»Huch! Ich glaub, ich hab einen Schwips!«
Viktor war sofort zur Stelle, nahm sie lächelnd beim Arm und flüsterte ihr ins Ohr: »Trink ab jetzt lieber Wasser, Kleines. Es wird noch ein langer Abend.«
Aus irgendeinem ihr unerklärlichen Grund ärgerte sie sich über seine Bemerkung. Und dann fiel ihr ein, weswegen: Er hatte sie heute schon den ganzen Tag bevormundet. – Das Einkaufszentrum. Das Kleid. Die Seidenstrümpfe. Das Alles! Und auch das Verschweigen von Vitus’ Geburtstag samt Feier.
»Macho!«
»Jaja!«, grummelte sie, sodass Viktor erstaunt eine Braue hochzog.
»Wenn du mich für einen Macho hältst, dann solltest du wohl besser alleine gehen.«
Er ließ sie los. Als sie bedrohlich zu schwanken begann, hielt Viktor sie eilig wieder fest und hob mit nun süffisantem Gesichtsausdruck die zweite Braue.
»Meinetwegen kannst du gerne noch eine ganze Flasche Wein in dich reinkippen, Anna. Du scheinst ja super damit zurechtzukommen«, bemerkte er und schob sie vor sich her in den Nebenraum.
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