»Danke sehr. Bis gleich.«
Sie trafen sich am Ausgang wieder.
»Hast du das Kleid zurückgehängt?«, erkundigte sie sich.
»Nein.« Augenscheinlich amüsiert zog Viktor die Mundwinkel hoch. »Sie machen es kürzer. In einer Stunde können wir es abholen.«
Schon zum dritten Mal stand ihr der Mund offen. »Wie hast du denn das geschafft?« Sie winkte ab. »Ach, vergiss es. Ich kann mir denken, wie du auf Frauen wirkst. Du hast sie mit deinem Halbelfen-Charme eingewickelt, stimmt’s?«
»Es war zwar ein junger Mann«, entgegnete er trocken. »Hat aber trotzdem geklappt. Ich glaube nicht, dass er sich deswegen Hoffnungen macht.« Er lachte frech und schob sie einfach vor sich her. »Weiter geht’s, los, los, ich bin total im Kaufrausch. Da drüben habe ich so einen Wäscheladen gesehen. Die haben bestimmt solche Strümpfe und vielleicht ja auch noch was für unters Kleid.«
Genervt zog sie die Brauen hoch.
»Was?«, fragte er leichthin.
Doch sie schüttelte resigniert den Kopf.
»Langsam dreht er durch!«
»Tu ich nicht. Oh, schau mal, da ist ja auch ein Schuhgeschäft!«
Zwei geschlagene Stunden später hatten sie fast alles zusammen. Nun nannte Anna ein in ihren Augen viel zu kostspieliges, zudem zu damenhaftes Kleid ihr Eigen, dazu ein schwarzes glänzendes Jäckchen; hochhackige – sehr hochhackige – Pumps in passender Farbe; eine – selbstverständlich – farblich abgestimmte Clutch; Glitzerohrringe; hauchzarte Seidenstrümpfe und sündhaft teure schwarze Spitzendessous. Zu allem Überfluss war sie auch noch in einer Parfümerie geschminkt und beduftet worden.
»Er hat mich wie eine Dampfwalze überrollt! Na wenigstens hat er sich auch was gekauft. Und er sieht echt sexy darin aus.«
… Viktor entschied sich für eine dunkelgraue Flanellhose eines edlen Designer-Labels. Die lag lässig auf seinen Hüften und stand ihm ausgesprochen gut. Genau wie das taillierte weiße Hemd. Die Verkäuferin hielt tatsächlich den Atem an, als er aus der Kabine schlenderte. Nur bei den Schuhen blieb er unerbittlich. Auch noch, als sie ihm, trotz schmachtendem Blick, eindringlich riet, schwarze Lederschuhe dazu zu tragen. Er bestand auf seine Chucks. …
Bei der Erinnerung schüttelte Anna wieder einmal den Kopf. Sie sollte in den hohen Dingern durch die Gegend staksen und er würde seine bequemen Turnschuhe tragen. Doch das war derzeit nicht so wichtig, denn sie brauchten ja noch ein Geschenk für Vitus.
»Was schenkt man einem König?«
»Man schenkt ihm was zum Lesen, Anna. Vitus steht auf Bücher, besonders auf ›menschliche‹ Literatur. Komm mit, ich …«
»Du hast da so einen Buchladen gesehen. War klar.«
Nachdem sie sich einen Überblick verschafft hatten, stellten sie diverse Werke zusammen. Viktor erklärte ihr, dass sein Vater alles las, was er an »menschlicher« Literatur in die Finger bekam: Schätzing, Goethe, Brecht, Grisham, Ludlum, Tolstoi …
»Na, wenn das mal keine bunte Mischung ist.«
Weil sie aber selbst auch die Abwechslung liebte und kein Problem damit hatte, erst etwas von Ringelnatz, Jane Austen oder Yeats zu lesen, um danach übergangslos Adler Olsen oder Nora Roberts zu verschlingen, musste sie kichern.
Als Viktor den Wagen aus dem Parkhaus lenkte, nachdem sämtliche Pakete, Taschen und Tüten im Kofferraum verstaut waren, entfuhr Anna ein abgrundtiefer Seufzer der Erleichterung.
Viktor aber blieb gut gelaunt. »So, jetzt haben wir’s. Ab nach Hause und dann ins Märchenland.«
Bei dem Gedanken daran rutschte Anna das Herz in die Hose und ihr Mut sank mit jedem Meter, den sie sich dem Reetdachhaus und damit der Grenze zum Elfenreich näherten. Sie war noch nie auf dem königlichen Schloss gewesen, kannte ohnehin sehr wenig vom Elfenland, eigentlich so gut wie gar nichts. Nur die sogenannte elfische Vorwelt mit der zauberhaften Lichtung und dem Bach, die Viktoria für sie gemalt hatte. Und ein bisschen von der Elfenlandschaft, als sie seinerzeit Kana und Kaoul in die Falle gelockt hatten.
»Warum soll ich mich eigentlich so aufbrezeln?« Mit dieser Frage versuchte sie, ihre innere Unruhe zu verdrängen.
»Weil man sich für Geburtstagsfeiern halt schick macht, Süße. Aber du wirst sie heute mit Sicherheit alle toppen, glaub mir.«
»Wenn ich mir dabei nur nicht die Haxen breche, bei den Schuhen«, gab sie missmutig zurück.
»Ach, das schaffst du schon.«
»Du hast gut reden, mit deinen Turnschuhen. Das ist so ungerecht!«, schimpfte sie. »Worauf habe ich mich da bloß eingelassen? Und diese Strümpfe, oh Gott!«
»Also gut, Süße. Das mit den Schuhen sehe ich ja ein. Ich wollte eigentlich bis zu Hause warten, aber ich sag’s dir besser gleich, damit du nicht ganz so sauer auf mich bist. Ich hab nämlich schon schwarze Treter im Schrank stehen. Es hat mir nur so einen Riesenspaß gemacht, wie die Verkäuferin derart verzweifelt versucht hat, mich von den Schuhen zu überzeugen.« Annas Augen weiteten sich bedrohlich. »Ich hab die blöden Dinger nur einmal getragen«, setzte er schnell fort. »Viktoria hatte sie gekauft und drauf bestanden, dass ich die zum Notar anziehe. Du weißt schon, wegen des Hauskaufs.«
Anna war nach wie vor ziemlich erbost, doch Viktor lächelte sie an.
»Anna, du weißt doch, was ich von Schuhen halte. Die meisten Elfen frieren nicht so schnell und Schuhe engen ein. Das ist ein elfisches Erbe von Vitus an mich. Aber, keine Bange, wenn du High Heels trägst, ziehe ich selbstverständlich auch schicke Schuhe an.«
»Und die Seidenstrümpfe und dieser andere Hauch von Nichts ? Was ist damit?« Sie machte ein strenges Gesicht.
»Okay, okay, das geht auf mein Konto.« Er gab sich zerknirscht. »Ich war wohl ein bisschen egoistisch, was das betrifft.«
Nun war es an Anna, breit zu grinsen. »Na, wenigstens gibst du es zu. Aber eines ist dir hoffentlich klar, mein Prinz: Das war das erste und das letzte Mal, dass ich mit dir shoppen war. Beim allerkleinsten Anzeichen für einen Einkaufsmarathon laufe ich schreiend davon.«
Nachdenklich zog sie die Stirn kraus .
»Wie laufe ich eigentlich weg, wenn ich bei Viktor im Reetdachhaus bin? Wohin? Fünfzig Kilometer! Und durch den Wald komme ich doch gar nicht.«
Auch Viktor runzelte die Stirn, konzentrierte sich dabei weiter auf die Straße. Trotzdem hatte er augenscheinlich mitbekommen, was Anna dachte, weil sie wieder einmal schneller im Denken als im Sichern gewesen war.
»Stimmt, du solltest wirklich wissen, wie du durch die Eingänge, Portale und Schutzbarrieren kommst. Ich werde das mit Vitus besprechen. Da muss es eine Möglichkeit geben.«
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