»Er hat was ?« Ihre Stimme wurde schrill. » Heute ?«
»Geburtstag. Ja. Heute«, wiederholte er mit einem verlegenen Räuspern.
»Wir sind zum Geburtstag deines Vaters eingeladen und du sagst mir das um …«, sie griff sich ihr Handy von der Kommode, »… um neun Uhr, am Morgen seines Geburtstages?« Annas Augen verengten sich zu Schlitzen. Viktor zuckte merklich zusammen, als er hellblaue Blitze daraus hervorschießen sah. »Wann, Viktor Müller, wann sollen wir dort sein?«
»Erst am Abend. So um sechs, sieben.«
Sie richtete sich auf, bohrte dabei, offenkundig absichtlich, ihr Knie in seinen Oberschenkel und kam damit seiner Männlichkeit bedrohlich nahe. Viktor stieß zischend Luft aus, sagte aber nichts.
»Ich hab nichts anzuziehen – und kein Geschenk. Ich …« Wieder Blitze! »Wieso hast du das getan? Du wusstest das doch bestimmt schon viel länger!«
»Reine Taktik, Anna. Das musste sein!«
»Warum?« Sie schien außer sich zu sein. »Los! Sag’s!«
Auf seine Ellenbogen gestützt, um sich ihr nicht ganz so unterlegen zu fühlen, versuchte er sich an einer Antwort und holte tief Luft: »Weil du dir sonst viel zu viele Gedanken wegen der Geschenke und Klamotten und sonst noch was gemacht hättest. Und weil ich weiß, dass du dich bestimmt für sein Geschenk zu deinem Geburtstag revanchieren wollen würdest, und ich nicht will, dass du dein Spargeld für den neuen Schreibtischstuhl dafür ausgibst. Und – weil ich wiederum weiß, dass Vitus das auf keinen Fall haben würde wollen und dass er mir, wenn er es rauskriegen würde, dafür den Kopf abreißen würde. Darum!«
Anna kniete immer noch halb auf Viktor und starrte ihn mit offenem Mund an. »Das ist doch kompletter Blödsinn!«
Doch Viktor streckte seine Hände nach ihr aus, zog sie wieder an sich und strich ihr besänftigend übers Haar.
»Kein Blödsinn. Pass auf. Ich dachte, wir fahren gleich los, in so ein großes Einkaufscenter, weißt du? Wir frühstücken da und shoppen ein bisschen. Da finden wir bestimmt was Hübsches für dich zum Anziehen und ein Geschenk für Vitus. Ich hab schon im Internet nachgeguckt. Da gibt’s ein ganz Großes in Oberhausen. Das ist gar nicht so weit weg von hier. Es heißt Centrum, glaub ich.«
»Centro«
»Wie bitte?«
Anna seufzte: » Centro , Viktor. Das Shoppingcenter nennt sich Centro .«
»Ach ja, genau.«
»Du willst also mit mir nach Oberhausen düsen und mir dort was zum Anziehen kaufen?« Offenbar war das eher eine Feststellung denn eine Frage.
»Ich war noch nie mit dir einkaufen. Das macht bestimmt Spaß. Solche Centros gibt es in der Elfenwelt nicht. Da ist alles anders, sehr anders. Und hier in der Menschenwelt haben Viktoria und ich das Meiste per Internet bestellt. Deswegen fänd ich es total spannend, mit dir shoppen zu gehen. Bitte, Anna, sei nicht mehr böse.«
Sie verzog jedoch missmutig das Gesicht. »Ich bin kein Modepüppchen, das man mit Kleidern und Schmuck behängt, um es damit gefügig zu machen«, gab sie schnippisch zu Bedenken.
»Was?« Er war entsetzt. »Anna, aber ich würde doch nie …«
Sie biss sich auf die Lippe, ehe sie mit einem Mal losprustete.
»Du machst dich über mich lustig, Anna Nell«, stellte Viktor erleichtert fest. »Du machst dich tatsächlich über mich lustig. Na warte!« Mit einer blitzartigen Bewegung warf er sich auf sie und sah sie mit funkelnden Augen an. »Tja, tut mir sehr leid, Kleines, aber wir werden wohl eine Stunde weniger zum Shoppen zur Verfügung haben. Und das ist allein deine Schuld.«
***
Annas letzte Besuche im Centro lagen schon einige Zeit zurück: Einmal mit Jens und seiner Freundin und einmal mit Lena und deren Freundin.
Beide Male, jeweils an einem Samstag, war es ihr dort erheblich zu voll und aufdringlich gewesen. Jetzt, an einem Montag, um halb elf am Vormittag, fand sie es eigentlich recht angenehm. Nach einem »Spätstück« mit überbackenen Käsebrötchen und Cappuccino in einem Bäckerei-Café schauten sie sich um und begutachteten die zahlreichen Geschäfte mit den unzähligen Markensachen.
Anna hielt sich weder für ein Modepüppchen noch für eine Konsummieze, wurde aber dennoch schwach beim Anblick der vielen tollen Klamotten. Von Schwachwerden konnte bei Viktor allerdings keine Rede sein. Er war schlichtweg begeistert.
Weil Anna Kleider und Röcke lieber im Sommer trug – Strumpfhosen und Ähnliches waren ihr nämlich ein Gräuel – suchte sie systematisch nach einer schicken Hose und einem passenden Oberteil, wohingegen Viktor zielsicher auf Kleider zusteuerte.
Auch im nächsten Designer-Store blieb sein Blick wieder einmal an einem Kleid hängen, diesmal an einem dunkelblauen, eleganten und zugleich raffiniert geschnittenen Etuikleid. Als Anna daran vorbeilaufen wollte, hielt er sie am Arm fest. »Also, ich finde das schon ganz schön schön .« Viktor grinste breit.
Sie verdrehte die Augen. »Das ist ein Kleid für Business-Frauen, nicht für siebzehnjährige Schülerinnen.«
»Aber es ist schon ganz schön schön «, beharrte er. »Probier’s doch mal an, Anna, bitte.«
Murrend griff sie nach dem Kleid in ihrer Größe und verschwand damit in der Umkleidekabine. Kritisch besah sie sich im Spiegel. Das geraffte und tief ausgeschnittene Oberteil passte ausgesprochen gut zu dem eng geschnittenen Rock.
»Schöne Farbe und es sitzt wie angegossen. Ist nur ein wenig zu lang.«
Neugierig lugte Viktor durch den Vorhang. »Wow, das ist ja der Hammer, Süße, das steht dir großartig. Das kaufen wir auf alle Fälle.«
»Viktor, nein, dieses Kleid ist viel zu elegant und teuer für mich. Außerdem bräuchte ich eine Strumpfhose, Schuhe und all so’n Zeug dazu. Das dauert doch ewig.«
»Keine Strumpfhose.«
»Was? Wieso? Es ist draußen viel zu kalt für ohne.«
»Natürlich ist es zu kalt. Trotzdem: keine Strumpfhose. Die finde ich nämlich ätzend. Aber es gibt da so lange Seidenstrümpfe, echt sexy. Ich hab die auf so einer Internetseite gesehen. Sowas würden dir super gut stehen.«
Nun stand ihr der Mund am heutigen Tage schon zum zweiten Mal offen. »Viktor Müller, das ist doch nicht dein Ernst? Kommt nicht in Frage! Außerdem ist das Kleid zu lang. Ich bin zu klein dafür.«
»Zieh es aus und gib es mir.«
»Wie bitte?«
»Zieh es aus und gib es mir, Anna«, wiederholte er geduldig. »Wenn du dann fertig bist, treffen wir uns am Ausgang vom Store.«
»Also wirklich, Viktor.«
»Komm schon, Anna. Bitte.«
Sie stieß leise Flüche aus, reichte ihm aber das Kleid durch den Vorhang.
Читать дальше