Victor hat gestern das Dampfschiff genommen. Die Kreuz des Südens ist immer noch ein jämmerlicher Kahn im Vergleich zu den Schiffen, die mich von Frankreich nach Tahiti gebracht haben. Die Kinder und ich kommen nicht mit, denn schon in einem Monat wird Victor zurückkehren, für zwei Wochen bleiben und wir können dann immer noch entscheiden, ihn für den Rest seines Aufenthalts auf Nuku Hiva zu begleiten. Mich schreckt auch ein wenig die Dauer der Überfahrt, immerhin sechs Tage, mich schreckt es der Kinder wegen.
Ostern steht vor der Tür. Ich habe schon einmal ein Osterfest ohne Victor gefeiert, wenigstens hat er geschrieben. Die Kreuz des Südens hat seinen Brief auf der Rückfahrt mitgebracht. Victor berichtet über Nuku Hiva, dass er die Insel jetzt besser kennenlernen kann, als es noch bei seinem ersten Besuch im letzten Jahr möglich war. Die Siedlungen sind klein, aber es herrscht doch schon reichlich französisches Leben. Die Jérôme wird nach Ostern zu den Marquesas segeln und den Brief befördern, den ich Victor gerade geschrieben habe. Die Jérôme wird Victor dann auch bald wieder nach Tahiti bringen.
Mutter schickt mir einmal mehr das Petit Journal. Auf dem Titelbild ist der große Clown vom diesjährigen Karnevalsumzug abgedruckt. Mutter und Vater haben ihn gesehen, sie waren in Paris und haben sich auch um unser Haus gekümmert.
Gestern habe ich im Hafen auf die Jérôme gewartet. Victor ist wieder zurück, wenn auch nur für kurz. Er hat mir ein Geschenk mitgebracht, eine geschnitzte Holzfigur, einen Tiki. Victor hat mich allerdings gewarnt, ihn nicht den Missionaren zu zeigen. Auf den Marquesas versuchen die Missionare gerade diese Götzenanbetung auszutreiben. Die Figur ist sehr schön, aus glatt poliertem, dunklem Holz.
Ein zweiter Brief von den Eltern, es gibt nur eine Neuigkeit, eine traurige Neuigkeit. Jeanette hatte eine Totgeburt. Sie wäre beinahe verblutet. Mutter wusste noch, dass es ein Mädchen war. Jeanettes ganze Kraft ist jetzt ihr kleiner Hugo.
Diesmal fiel uns der Abschied schwerer als noch Ende März. Victor wird noch einmal einen ganzen Monat fort sein. Ich bin froh, dass es keine zwei Monate sind, wie es anfangs geplant war. Die Garnison wird bald von anderen Offizieren übernommen, die dann ständig auf Nuku Hiva bleiben. Victor ist für die Versorgung der Basis verantwortlich. Er wird sicherlich noch mehrmals reisen müssen, aber dann nicht mehr für so eine lange Zeit. Ich werde jetzt jeden Tag bis zu seiner Rückkehr zählen.
Aliette hat am 17. Mai einen Jungen zur Welt gebracht, sie nennen ihn Robert. Aliette schreibt, dass es nicht ganz leicht war und dass sie sich noch immer nicht ganz von der Geburt erholt habe. Ich muss die Reise nach Tutuila jetzt unbedingt planen.
Die Kreuz des Südens hat heute nur einen Brief von Victor gebracht, obwohl wir ihn ja eigentlich selbst zurückerwartet haben. Sein Aufenthalt auf Nuku Hiva verlängert sich noch einmal um zwei Wochen. Ende Juni wird er aber ganz bestimmt mit der Jérôme zurück nach Tahiti kommen.
Die Post ist heute auf See gegangen. Ich muss wieder die lange Beförderungszeit einplanen und habe dem Brief natürlich unsere Glückwünsche zu Vaters Geburtstag hinzugefügt. Im Juli muss ich dann auch mit Mutters Geburtstag in gleicher Weise verfahren. Es muss alles im Voraus geplant werden, damit es rechtzeitig ankommt.
Victor ist seit einer Woche endgültig wieder zurück von den Marquesas. Die Trennung hat mich schon sehr belastet. Das nächste Mal begleiten die Kinder und ich ihn. Thérèse und Julie sind jetzt eigentlich alt genug für ein solches Abenteuer. Es lässt sich schon beobachten, dass Julie die unternehmungslustigere von den beiden ist. Während Thérèse oft im Garten nur bis zum nächsten Stuhl läuft, ist Julie viel ausdauernder. Sie läuft, fällt, steht wieder auf und läuft weiter, fast bis zur Erschöpfung. Ich suche immer nach Anzeichen, wie sie sich unterscheiden, noch lässt sich wenig über ihren Charakter sagen, aber dieser Ansatz von Wildheit bei Julie scheint bei Thérèse nicht ganz so vorhanden zu sein.
Die Annexion der Hawaii-Inseln durch die Vereinigten Staaten ist hier derzeit Gesprächsthema. Diese Inselgruppe liegt wie Tahiti im Pazifischen Ozean, aber bei Weitem nicht in unserer Nachbarschaft. Ich habe wieder den Atlas bemüht. Es sind immer so schrecklich große Entfernungen. Die Hawaii-Inseln wären sicherlich auch ein lohnendes Reiseziel, aber wohl unerreichbar, sie liegen auf halbem Wege nach Japan, wir wären wochenlang unterwegs.
Manchmal würde ich die Mädchen gerne anbinden, so flink sind sie fort. In der Stadt dürfen wir sie nicht von der Hand lassen. Im Garten ist es nicht so schlimm, aber nur wenn das Tor auch gut verschlossen ist. Ich bin froh, dass noch keine von ihnen ausgebüchst ist. Victor meint, es sei nicht so tragisch, wenn es doch einmal geschieht. Wir würden sie schnell wieder einfangen, er würde eine Mannschaft schicken, die uns bei der Suche hilft. Gefährlich ist es in unserer Nachbarschaft nicht, aber ich hätte trotzdem Angst, dass sie in einen Bach stürzen könnten. Wir haben sogar unsere Regentonne fest verschlossen, weil jemand meinte, es sei für die Kinder gefährlich.
Dieser Tage habe ich mich über Post von den Eltern gefreut. Es hatte sich wieder einiges ereignet, über das Mutter berichten konnte. Es gab Schönes und sogar Schreckliches. Ich beginne mit dem Unglück, das mich sehr berührt hat. In Paris hat sich in der Rue Jean-Goujon, auf dem Bazar de la Charité eine verheerende Feuerkatastrophe zugetragen. Ich habe hier bei mir einen silbernen Kerzenhalter, den ich einmal auf dem Basar gekauft habe. Ich kann mich noch sehr gut an das bunte Treiben erinnern. Diese schlimme Geschichte wird noch schrecklicher, weil Mutter es nicht versäumt hat, ihrem Brief ein Exemplar des Petit Journals beizulegen. Das Journal ist wie immer gnadenlos, denn es ist wieder einmal alles sehr detailliert beschrieben und mit Bildern verdeutlicht. Auf dem Basar ist es am Nachmittag des 4. Mai zu einem Brand gekommen, ausgelöst durch ein offenes Licht und es hat so unvorstellbar viele Todesopfer gegeben, dass ich ihre Zahl hier nicht auch noch nennen möchte. Der Basar existiert nicht mehr und wird wohl auch nie mehr wiedereröffnet. Der gute Gedanke, die Wohltätigkeit, ist mit ein Opfer der Flammen geworden. Nach dieser tragischen Geschichte gab es nur noch heitere Nachrichten. Mutter hat sich einen großen Wunsch erfüllt und Vater und sie waren Ende Juni in London, um dem Diamantenen Thronjubiläum der Königin beizuwohnen. Dieses Mal hat Mutter die Queen auch tatsächlich leibhaftig gesehen. Die Kutsche fuhr ganz nah an ihnen vorbei. Die Eltern hatten zusammen mit vielen Hundert anderen Menschen in der Nähe der Londoner Saint Paul's Cathedral gewartet und es hat sich gelohnt. Eine weitere Angelegenheit, über die Mutter schreibt, hat mich etwas verwundert. Mutter hegt anscheinend Sympathie für die Suffragettenbewegung, wo sie doch eher konservativ eingestellt ist und eine Monarchie der Republik vorzieht. Aber schließlich ist Queen Victoria ja auch eine Frau und somit das beste Beispiel, dass den Frauen mit der Zeit mehr und mehr Rechte zugestanden werden müssen. Mutter engagiert sich zwar nicht für die Frauenrechtlerinnen, aber sie liest begeistert über deren Angelegenheiten und über die Damen, die stellvertretend für die Frauenrechte in England kämpfen.
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