"Ja, ich helfe euch." Schließlich stand der Hexer ja hier. "Zusammen kriegen wir Letho."
"Sehr gut." Iorweth hatte die verräterische Schlange gegen den legendären weißen Wolf eingetauscht. Einen besseren Verbündeten konnte sich der Elf nicht wünschen. "Es gibt keine Zeit zu verlieren. Wir holen uns die Gefangenenbarke."
"Mit einer Handvoll Elfen willst du ein Schiff entern. In einer Stadt, die gerade ein Pogrom veranstaltet hat? Ich habe mich geirrt. Du bist nicht anmaßend, sondern schlicht verrückt."
"Das hat meine Mutter auch gesagt", kommentierte der Elf und drehte ab.
Am späten Nachmittag trafen sich Geralt und Iorweth erneut, alles war zum Aufbruch bereit. Der Elf hatte all seine Scoia'taelkrieger aus dem Wald zusammen gerufen. Und der Hexer war mit seinen beiden Freunden dem Zwerg Zoltan Chivay und dem Barden Rittersporn gekommen.
"In der Faktorei ist die Hölle los. Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?" Selten wich der Hexer einem Kampf aus, wenn er nicht gerade den sicheren Tod bedeutete.
"Wir betreten die Stadt gar nicht. Wir trennen uns. Greif du von der Anlegestelle aus an. Nimm unsere besten Späher mit." Iorweth verstand Geralts Zögern nicht, hatte er ihm doch noch vor kurzem Feigheit vorgeworfen. "Ich fahre mit den anderen über den Fluss. Die meisten Wachen dürften sich in der Faktorei aufhalten."
"Das Pogrom passt uns also gut in den Kram?" warf der Hexer ihm angewidert entgegen.
"So ist das nicht gemeint."
"Natürlich nicht. An der Anlegestelle könnte es brenzlich werden."
"Dachtest du, wir machen einen Spaziergang?" Warum zauderte der Hexer, schien dieser Plan so aussichtslos?
"Darum geht es nicht." Geralt war eher praktisch veranlagt. "Greifen wir besser zu einer List, wie bei Letho."
"Beim Anlieger gibt es keinerlei Unterstützung", wandte Iorweth ein. Erneut bewies der Hexer Mut.
"Aber dafür halten uns die Wächter nicht auf. Und auf der Barke haben wir nur eine Handvoll gegen uns."
"Gut, die sind tot, bevor sie ihre Schwerter ziehen können."
"Dann geben wir den anderen ein Signal."
"Diesmal entkommt uns keiner", entgegnete Iorweth bereits siegessicher "Einverstanden. So machen wir es. Scoia'tael em'vennian Vrihedd!"
" Vrihedd !" antworteten ihm seine Krieger.
"Mir nach!"
Wieder gab sich Iorweth als Gefangener des Hexers aus. War ihm ausgeliefert. Doch der Scoia'tael-Anführer vertraute Geralt. Sie näherten sich den Außenbezirk und gingen in Richtung Hafen.
"Ich habe den Dh'oine das Leben zur Hölle gemacht", gestand Iorweth, "war aber noch nie hier."
"Wie gefällt dir die andere Seite der Medaille?" flüsterte Geralt zurück und schob den gefesselten Elf vor sich her.
Einige Bewohner traten neugierig aus ihren ärmlichen Häusern, hielten in ihrer Arbeit inne, als die beiden Männer an ihnen vorbei gingen.
"Sie sehen mich auch zum ersten Mal." In so manchen Augen sprühte ihnen Hass entgegen, als der entstellte Elf erkannt wurde. "Sehen nicht aus, als würde ihr Gewissen sie plagen."
Unerwartet setzte Regen ein.
"Sollte es denn?"
"Wohl nicht", flüsterte Iorweth. "Sie wollen mich sterben sehen. ICH will sie sterben sehen. So ist das eben auf dieser Welt. Die andere Seite der Medaille haben sich die Philosophen in Oxenfurt ausgedacht. Die kennen Orte, wie Flotsam nicht."
"Heute stirbt keiner, Iorweth. Abgesehen von den Söldnern des Kommandanten."
Sie näherten sich einem Engpass in den Straßen, den zwei von Loredos Handlangern bewachten. Der Regen verdichtete sich inzwischen immer mehr und durchnässte jeden bis auf die Haut.
"Halt! Wohin willst du mit dem Elf?" sprach sie der bullig-untersetzte Soldat an.
"Das ist Iorweth. Loredo hat befohlen, ihn auf die Gefängnisbarke zu bringen."
"Meiner Treu, Iorweth, Höchstselbst. Diese Wanze hat meinen Bruder auf dem Gewissen. Würd mich gern mal eben mit ihm unterhalten." Der fette Soldat klopfte an seinen Dolch.
Geralt hatte nicht erwartet, dass es ohne Probleme ablaufen würde. "Dafür ist keine Zeit!"
"Ach, und wieso nicht", blaffte der Soldat ungehalten.
"Mein Befehl lautet, ihn auf die Barke zu bringen." Iorweth beobachtete alles unruhig mit gesenktem Kopf.
"Und du bist wer? Ein Elfenliebchen?" kommentierte der Soldat gereizt.
"Laut Loredo darf niemand mich aufhalten!" sagte Geralt und unterstütze seine Worte mit dem beeinflussenden Axii-Zeichen.
"Oh, ich hab überhaupt nichts gesagt", gab ihnen der Wachposten kleinlaut den Weg zum Hafen frei. Als sie durch waren, verschloss dieser den Durchgang mit einem Karren.
"Dieser miese kleine Dh'oineling hier. Solche töte ich am liebsten. Das ist wie Unkraut jäten." Für einen Elfen legte Iorweth ungewöhnlich viel Hass in seine Stimme.
"Ein schlichtes Danke hätt's auch getan", erwiderte Geralt trocken.
"Du bist doch mein Held."
Am Anlegesteg begegneten ihnen weitere Wachsoldaten von Loredo. Der Tag hatte sich durch den Regen so verdunkelt, dass das Unwetter eine willkommene Deckung abgab.
Auch hier wurde Geralt nach dem "Wohin?" gefragt und der Hexer antwortete mit der Lüge "Befehl von Loredo" und man ließ die beiden Männer problemlos passieren.
Kaum auf der Barke angekommen, flüsterte Geralt Iorweth ins Ohr: "Ich die linke Seite, du die rechte."
Ein dicker Soldat griff sich den gebundenen Elfen und wollte ihn unter Deck in die Verliese bringen, als ihn sich Iorweth auf die Schultern stemmte und über die Reling wuchtete.
Zeitgleich hatte Geralt ein Schwert gezogen und durchbohrte damit einen nächstnäheren Wach-soldaten. Mit einem Kopfstoß befreite er die Waffe aus dem Toten und warf es einem anderen Angreifer in die Brust.
Derweil hatte sich Iorweth von seinen Fesseln befreit und zog das geworfene Schwert aus dem Sterbenden.
Die beiden Kämpfer standen alsbald Rücken an Rücken und stellten sich den verbliebenen sechs Wachsoldaten auf dem Schiff. Der Kampf dauerte nicht lange, die geübten Krieger hatten Loredos Soldaten schnell überwältigt.
Iorweth gab ein Zeichen und aus den Verstecken am Ufer liefen seine Scoia'taelkrieger herbei und töteten die restlichen Soldaten, die am Anlieger patroulierten. Der Regen gab ihnen zudem genügend Deckung, um nicht von der Siedlung gesehen zu werden. Er ließ allmählich nach, als die Elfenkrieger die Barke geentert hatten.
Vom sicheren Hafen aus, hatten einige Bewohner Flotsams den Kampf beobachtet und schwangen wütend die Fäuste - wagten es aber nicht einzugreifen.
Da bemerkten sie das Licht im Zollturm am Hafen.
Loredo stand mit einer Elfin ganz oben und schrie hinunter: "Ich wusste, dass du mit denen paktierst, Mutant. Fühlst dich wohl als Held, nicht wahr. Legt ihr ab, verbrenne ich diese Huren bei lebendigem Leibe."
Iorweth trat neben Geralt an die Reling. "Wir segeln. Unsere Frauen sind bereit zu sterben."
Die Elfen zogen bereits den Anker ein. Loredo stieß die Elfin in den Turm zurück und warf die Fackel, die er bis dahin noch in der Hand gehalten hatte, aufs Dach. Trotz des vorausgegangenen Regens, entzündete sich das feuchte Holz, Schuld war das hartnäckig-brennende Pech, das die spuckende Fackel dort verteilte. Loredo hingegen brachte sich eilig in Sicherheit.
Geralt zögerte, schätzte wohl seine Erfolgschancen ab. "Ich werde das nicht zulassen!" Der Hexer sprang über die Reling auf den Anlegesteg, von dem sich die Barke bereits entfernte.
" Bloéder Dh'oine ", murmelte Iorweth und sah Geralt nach, der zum Turm eilte. Wer ihn unterwegs aufhalten wollte, bekam seinen scharfen Stahl zu spüren.
Iorweth befahl das Schiff zu stoppen. Er wartete und hoffte. Doch vorerst weitete sich das Feuer im Gebälk des Zollturms weiter aus und die ersten Schreie der darin gefangenen Elfenfrauen drangen an ihre spitzen Ohren. Iorweths Griff um das Holz der Reling wurde fester. Minuten des bangen Hoffens vergingen gnadenlos.
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