6
Die Elfenkriegerin Toruviel hatte Iorweths Gesichtswunden zusammen genäht, dick mit einem antiseptischen Kräutersud bestrichen und fast den ganzen Kopf mit sauberen Leinenstreifen umwickelt. Nur das linke Augen, ein Teil der Nase und die linke Mundseite blieben frei. Gegen die höllischen Schmerzen hatte man ihm eine betäubende Droge eingeflößt - gegen seinen Willen. Nun lief Iorweth wie ein Betrunkener an Riordain's Seite, der ihm half. Alle drei Elfen waren in dunkelgrüne Umhänge gekleidet, die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen.
"Wieso bringen wir ihn nicht in den Brokilon?" wollte der Halbelf wissen.
"Weil es zu weit ist. Das würde er nicht überleben. Wir bleiben erst mal im Umland. Nahe der Schwarzschwalbeninsel im Süden des Sees gibt es einen Scoia’tael-Unterschlupf. Aber erst müssen wir aus dieser verfluchten Stadt heraus!"
Es war nach Mitternacht, die Nacht war kühl und finster. Nahe dem Wohnhaus von Coinneach waren die drei aus den Kloaken aufgetaucht. Vereinzelt brennende Pechfackeln an Hauswänden spendeten notdürftig Licht. Sie betraten das Haus, durch die bereits von einem anderen Stiefelpaar eingetretene Tür. Das Innere war ein heilloses Durcheinander von verstreuten Utensilien und umgeworfenen Möbeln. Hier war nichts mehr zu holen, alles Brauchbare war entweder bereits gestohlen oder kaputt gehauen worden.
"Haben sie Coinneach gefangen?" fragte Iorweth.
" Neén . Er entkam", antwortete ihm die Elfe, die am Fenster neben der Tür stand und nach draußen blickte. "Die Patrouille ist vorbei gegangen. Wohin nun?"
Iorweth hielt sich den verbunden Kopf und versuchte sich in seinem benebelten Zustand zu konzentrieren. "Zum Osttor, dort gibt es einen Ausgang. Dann entweder schwimmen oder wir hangeln uns unter der Brücke ans andere Ufer."
Vor dem unscheinbaren Ausgang stand ein Wachsoldat. Auf den hohen Wehrmauern darüber patrouillierten weitere Soldaten. "Verdammt", flüsterte Iorweth, "es wimmelt ja nur noch von Wachen."
Jetzt half nur eine List. Toruviel schlich sich auf die Gegenseite des Wächters am Ausgang heran, so nah es ging. Iorweth blieb rechts und schaffte es bis an das Stadthaus neben der bewachten Tür. Er stand wartend im Schatten der Türnische, sah den Wachsoldaten selbst nicht. Da rollte klirrend ein alter Krug auf die Straße. Kurz darauf tauchte der Wachsoldat auf, die Hellebarde vorgestreckt. Der Elf schüttelte sich die schwindelnde Trägheit ab und stürzte vor. Ergriff den Wächter am Hals, schloss ihm den Mund bevor er schreien konnte und zog ihn an die Mauer zurück. Schon war die Elfin herbei und rammte dem verwunderten Wachsoldaten die Klinge in die Brust. Geschickt fing sie die Hellebarde auf, bevor irgendwelcher Lärm weitere Wachposten alarmieren konnte.
Riordain half Iorweth den toten Wachsoldaten in einer dunklen Ecke an der Rückseite des Hauses zu verstauen. Mit einem Dietrich schaffte es der verbundene Elf nach in ewig sich hinziehenden Minuten, den verschlossenen Ausgang zu öffnen. Die drei schlüpften nach draußen. Tasteten sich an der Mauer entlang, bis zu einer kleinen Biegung, hinter der sie gerade noch Deckung fanden. Vor ihnen lag die östliche Brücke - zwei Soldaten schoben davor Wache.
Ein kurzer felsiger Abhang führte hinunter zum Seeufer. Iorweth legte sich auf den Bauch und rollte sich - jegliches Geräusch vermeidend - hinunter. Riordain folgte ihm, war aber nicht ganz so leise. Ab und an rollten Kiesel unter seiner Bewegung weg.
Von der Brücke bewegte sich einer der Wachsoldaten in ihre Richtung. Toruviel hielt schon ihr Sihil in der Hand.
Ein lautes Platschen kam unerwartet von der anderen Seite der Brücke und lenkte die Soldaten von den Elfen ab. Der Wachsoldat rannte zurück, seinem brüllendem Kollegen entgegen: "Patty komm schnell her, dort kommt was großes aus'm Wasser!" - "Was kommt da, Muth?" - "Ich kann es nicht richtig sehen, aber es könnte ein ertrunkener Untoter sein!" - "Schon wieder? Wir brauchen hier dringend mal einen Hexer!"
Toruviel sprang den Abhang hinunter und riss Riordain mit sich. Sie nutzten die Ablenkung und stolperten zur Brücke. Die schwere Holzkonstruktion bot einen schmalen Balkenabsatz darunter, die eine trainierte Person in angemessener Zeit bis ans andere Ufer durchklettern konnte. Iorweth ging voraus, aber seine Betäubung und die Kopfverletzung ließen ihn zusehends müder werden. Toruviel musste dem Halbelf helfen und so dauerte ihre Kletterei zwischen den Balken und Säulen doppelt so lange, als sie es gedacht hatten. Denn nachdem wohl doch kein Untoter aus den Fluten gestiegen war, und die Wachsoldaten wieder ihren Posten vor dem Tor eingenommen hatten, mussten die Elfen auch verdächtige Geräusche vermeiden. Der Morgen dämmerte bereits, als sie am Festland ankamen.
Das weitläufige Dorf und Felder lagen frei vor ihnen. Der sie schützende Wald war noch eine Laufstunde von ihnen entfernt, das erkannten auch die Elfen.
"Eilen wir uns", brachte Iorweth ein und lief im leichten Laufschritt weiter nach Osten.
Den Hauptbereich des Dorfes hatten sie passiert, als die Sonne am Horizont auftauchte. Wo es ging suchten sie Deckung und wären fast mit dem Mann zusammen gestoßen, der am vorletzten Bauernhof dastand und den Sonnenaufgang beobachtete.
Er trug einen Lederwanst mit blauen Streifen und sein Ruf lockte weitere Soldaten der Spezialeinheit herbei. "Scoia’tael!" Ein Kampfbeil lag in seiner Hand und unvermittelt schlug er damit nach der vordersten Gestalt im Elfenumhang.
Iorweth schoss Adrenalin durch die Blutbahn, als der Kerl mit seiner Axt nach ihm hieb. Er tauchte unter dem Schlag ab und warf sich zu Boden. Hinter ihm tauchte Toruviel auf und ließ ihre beiden Elfensihile kreisen. Während Iorweth mit hämmernden Schädel wieder auf die Beine taumelte, sah er drei weitere "Blaue Streifen" auf sich zu reiten. Zu viele Angreifer, ausgeruht und auf Pferden, dachte er, während er nach seinem Schwert griff, und ich bin unerträglich müde.
Der erste Reiter erreichte ihn, Iorweth musste erneut aus dem Weg springen, bevor ihn das Pferd überrannte. Den nächsten Soldaten zu Pferde konnte er mit seinem Sihil blocken, aber er merkte, er hatte nicht mehr viel Kraft, um dessen harten Schläge mit dem Breitschwert zu parieren. Toruviel benötigte auch zu viel Zeit für den Kerl mit dem Beil und der erste Reiter hatte Riordain gestellt.
Doch da nahte unerwartet Rettung. Pfeile flogen durch die Luft und töteten den dritten Reiter, bevor der sich einem seiner Kumpane anschließen konnte. Über das abgeerntete Stoppelfeld fegten drei Reiter in wallenden grünen Umhängen und kunstvollen Elfenbogen in Händen. Ihre Pfeile spickten nun die Soldaten.
Iorweth zog den Söldner aus dem Sattel, ein Pfeil steckte in dessen Hals, ein weiterer am Oberarm. Er griff nach den Zügeln und schwang sich nun selbst in den Sattel. Er preschte auf den Reiter zu, der Riordain bedrängt hatte. Sein Schwertarm hob sich unsagbar langsam, ihm wurde ein Wurfmesser entgegen geworfen. Im letzten Augenblick gelang ihm eine Drehung mit dem Oberkörper und das Messer flog an ihm vorbei.
Drei Pfeile ragten dem Söldner aus dem gesteppten Wams, die er wutentbrannt abbrach. Iorweth drängte ihn mit wuchtigen Hieben fort von Riordain. Toruviel hatte den Kerl mit Beil erschlagen und versuchte das Pferd des letzten Soldaten einzufangen. Vom Dorf näherten sich weitere Reiter, diesmal sieben an der Zahl, alle gutbewaffnete blaugestreifte Söldner.
Ein flätiger Fluch ging ungehört über seine Lippen, als er ihre Chancen zu entkommen abschätzte. Iorweth stieß seinem Reittier die Fersen in die Flanken, als er bemerkte, wie Toruviel - nun auch beritten - den jungen Halbelf aufs Pferd zog. Eine weitere Pfeilflut hielt seinen Angreifer erst mal auf Abstand. Nun galt es alles aus den Pferden herauszuholen und es bis zum dichteren Wald zu schaffen, bevor die acht Söldner, die sofort die Verfolgung aufnahmen, sie einholen konnten.
Читать дальше