Vier der Pferde trugen jeweils ein Elfenpaar. Errdil ritt ihnen voraus. Iorweth schaute ihnen traurig nach. Doch Elfen weinten nicht, so waren ihre Gesichter ernst und emotionslos geblieben. Sein Vater, dachte Iorweth, hatte sich mit einem so bestimmenden "Leb wohl, mein Sohn. Und möge mein Opfer am Ende des Weges nicht umsonst sein." - dass er ahnte, seinen Vater nicht mehr lebend wieder zu sehen. Hätte Iorweth geahnt, wie recht er damit behalten würde, vielleicht hätte er doch eine einzelne Träne ihm zum Abschied vergossen?
Er trieb sein falbes Reittier nach Norden auf den Fluss zu. In der Ebene hatte sich eine Hundertschaft Temerische Soldaten gesammelt, die darauf warteten, dass zwanzig Proviantwagen aus dem Inland mit der Fähre übersetzten. Im Süden war Krieg ausgebrochen - Nilfgaard war in Cintra eingefallen und belagerte die gleichnamige Hauptstadt. König Foltest sicherte nun seine südlichen Grenzen zu Brugge und Sodden ab, da es den Nilfgaarder Kaiser weiter in den Norden streben konnte.
"Halt Elf, wohin des Weges?" wurde er schließlich kurz vor dem Ufer von vier emsigen Soldaten aufgehalten.
"Ich bin ein Bürger Wyzimas und wünsche nur nach Hause zu gelangen und hierzu die Fähre zum Übersetzten zu nutzen, um mir einen beschwerlichen Tag langen Ritt um den See zu ersparen." Um seine Harmlosigkeit zu unterstreichen, neigte Iorweth sein Haupt und grüßte mit offener Hand.
"Dann hast du sicher einen Pass oder Geleitbrief, der dich als solcher ausweist?" wandte der Soldat unbeeindruckt ein und legte demonstrativ seine Hand auf den Knauf seines Langschwertes.
Iorweth griff langsam in sein gestepptes Wams und zog ein gefaltetes Pergament hervor und überreichte es dem fleißigen Kontrolleur. Der faltete es auseinander und tat so als lese er es, erkannte dann das überall bekannte Fuggerische Kaufmannssiegel - das ein stilisiertes Schiff zeigte. "Mit was treibt ihr den Handel?" Er gab das Pergament zurück.
"Mit Stoffe, Gewebe und Garn", log Iorweth und steckte den gefälschten Pass ins Wams zurück. "Wenn eure Frau ein neues Kleid wünscht, kommt meinen Herrn Jorvett Gantheim besuchen." Herr Gantheim war tatsächlich ein bekannter Kaufmann in Wyzima und auch das Siegel bewies eine gewisse Echtheit, aber alles andere war geschickte Tarnung, die ihm Coinneach schon vor einiger Zeit besorgt hatte.
Der Soldat winkte ihn zur Seite und widmete sich einem der Proviantwagen. Iorweth setzte mit seinem Pferd und der Fähre über den Fluss. Drüben warteten die letzten drei Proviantwagen auf die Überfahrt.
Der Elf ritt am Ufer Richtung Osten entlang. Ihm gegenüber - vom Fluss getrennt - erstreckten sich die Mauern Wyzimas. Die Burg des Königs glänzte in der Sonne, eine sanfte Brise brachte die unzähligen schwarz-weißen Fahnen zum wehen - weiße Lilien auf schwarzem Grund. Zwei Stunden dauerte der lockere Ritt - denn Iorweth hatte es nicht eilig - als er an eine Brücke kam, die am schmäler werdenden Teil, wo der See in einen Flussarm abzweigte, auf die östliche Bucht unterhalb Wyzimas führte. In diesem fruchtbaren Teil des Umlands lag ein weitläufiges Dorf, wo Landwirtschaft und Fischfang betrieben wurde.
Von dieser Seite führten zwei Brücken auf die Insel, die die Hauptstadt einnahmen. Doch Iorweth betrat sie nicht, er lenkte sein Reittier ein Stück am Ufer entlang und band es dann dort abseits an einem Baum fest. Ihm waren die sechs in Formation reitenden Soldaten in blaugestreiften Lederrüstungen aufgefallen, die über die Brücke am Maliborer Tor auf die Siedlung zugeritten kamen. Zielsicher hielten sie auf ein Lagerhaus zu, um das fünf weitere Hütten am Ufer standen. Ein kräftiger Kerl mit ein paar Fettpolstern zu viel stellte sich ihnen entgegen. Iorweth, der sich bis an den Steg beim Lagerhaus, bis unter ein an Land gezogenes Boot hatte auf Hörweite heranschleichen können, erkannte den Hauptmann Vernon Roche an seiner Stimme wieder. Und den vollschlanken Kerl hatte er einige Male bei Coinneachs Zusammenkünften gesehen: er hieß Haren Brogg - und war wohl der Händler, der auch mit den Scoia’tael Geschäfte machte.
"Lass uns ins Haus gehen und wir besprechen die heiklen Geschäfte bei einem kühlen Bier", erwiderte der Hauptmann und betrat mit Haren Brogg das Lagerhaus.
Iorweth krabbelte unter dem Boot hervor und hastete in dem Moment zur Lagerhausseite, als einer der Soldaten, die draußen warteten, ihm den Rücken gekehrt hatte. Lautlos sprang er auf ein Fass und hangelte sich aufs Dach. Er robbte sich vorsichtig bis ans Fenster und lauschte.
"Wenn du gegen Coinneach Dá Reo aussagst, übersehe ich, dass du bis zu diesem Zeitpunkt mit den Scoia’tael Handel getrieben hast. Wenn wir diesen Elf festsetzen können, bleibst du unbehelligt. Natürlich musst du als Zeichen guten Willens deine Geschäfte einstellen. Viel lieber wäre mir, du nutzest deine Beziehungen, um uns einige Eichhörnchen auszuliefern. Und dann kann darüber verhandelt werden, ob dir eine Belohnung ansteht."
"Ihr habt mir eine Belohnung für Coinneach versprochen." Haren Broggs Stimme zitterte, er hatte Angst.
"Du rettest deine Haut, Brogg! Das muss fürs erste genügen. Je mehr du mir entgegenkommst, umso eher springt auch was für dich dabei heraus. Ich lass nicht mit mir handeln." Einige Minuten tauchten sich in Schweigen.
"Ich will jeden Namen der dir einfällt, der mit diesem Banditenelf kooperiert. Wer gehört zu seinem engsten Kreis? Hast du einen handfesten Beweis, der Dá Reo belastet? Nenn mir seine Verstecke. Jede kleinste Detail!"
Nach einer kurzen Weile begann der Händler Haren Brogg zu erzählen, er nannte einige Namen an die er sich erinnerte; verriet zwei Verstecke, von denen er wusste. Vernon Roche hörte aufmerksam zu und notierte sich etliches. Auch Iorweths Namen wurde so nebenbei erwähnt.
Der Hauptmann Roche verließ allein das Lagerhaus und befahl seinen Männern aufzusitzen. Es war der Name eines Barons von Knappensteinberg gefallen, einer der unzähligen Adligen, die sich am Königshof Foltest bewegen konnte. Der Hauptmann der Spezialeinheit würde nicht wagen dem Edelmann zu drohen, vermutlich würde er ihn mit gesetzten rechtlichen Argumenten zu überzeugen versuchen und an seine Königstreue appellieren.
Iorweth musste Coinneach warnen. Die Schlinge um ihn schien sich zuzuziehen. Der Elf wusste nicht, wie viel Verräter und Beweise der Hauptmann schon gegen den Elf der Unterwelt in der Hand hatte, aber er ahnte, dass es schon ausreichen würde. Er schwang sich vom Dach und rannte unbemerkt zu seinem Falben.
Von den Blauen Streifen war nichts mehr zu sehen, als Iorweth die Brücke zum Maliborer Tor betrat. Konnte er es noch riskieren und offen durch die Straßen Wyzimas reiten? Im Schritt lenkte er sein Pferd zwischen die Handvoll Reisender und kam unbehelligt durch.
Er eilte zum Wohnversteck Coinneach und erfuhr, dass der vom abendlichen Besuch seiner Baronesse Iphingenia noch nicht zurück gekehrt sei. Er konnte nicht ohne weiteres zum Herrenhaus der von Knappensteinbergs reiten, sie würden ihn niemals einlassen. Aber daneben wohnte Iphingenias Freundin die Comtesse Ludamille - ein paarmal hatte er das sexhungrige Mädchen besucht - sie konnte er bitten, Coinneach bei der Baronesse aufzusuchen.
Zu Fuß huschte er durch die Straßen der Oberstadt und betrat durch den Seiteneingang der Diener das Stadthaus des Herzogs von Richthoffer-Bergen. Unbemerkt gelangte er zu den Gemächern der Comtesse Ludamille. Die Sonne stand noch nicht im Zenit und das blonde Mädchen lag noch in ihrem Bett, wie Iorweth vermutet hatte.
Freudig sah sie dem Elf entgegen und klopfte auf die Bettdecken. Ihr spärliches Nachthemdchen bedeckte kaum ihre Rundungen.
"Ich bin nicht deshalb hier", keuchte Iorweth, ein wenig außer Atem. "Du musst mir einen Gefallen tun. Jetzt sofort, es ist dringend. Bitte, es geht um Leben und Tod!"
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