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Ich bin stocksauer! Das darf ja wohl nicht wahr sein, was bildet der sich ein? Ruft mich morgens um sieben an und macht mich zur Sau! Und wie! Schreit wie eine Furie und lässt mich kaum zu Wort kommen! Aber so nicht, mein Freund! Nicht mit mir! Denn mittlerweile bin ich schlauer! Als ich gestern nach Hause kam, habe ich noch im Internet recherchiert und nun weiß ich, was ein Bottom ist und auch, was einen Top ausmacht. Bin ich wirklich einer? Naja, wenn ich so darüber nachdenke, habe ich mir nie von irgendjemanden was sagen oder gefallen lassen und wenn mir einer blöd kam, dann habe ich ihm gezeigt, wo der Hammer hängt! Das war schon in der Schule so und meine Mitschüler haben mich dafür respektiert. Ich war jahrelang Klassensprecher und später sogar Vertrauensschüler in der Schülervertretung. Auch in meinen Beziehungen hatte immer ich die Hosen an. Es ging eigentlich immer alles nach mir, ich habe stets die Richtung vorgegeben und meinen Partnern gesagt, wo es langgeht. Das hat mir einer meiner Verflossenen auch mal vorgeworfen, er hat behauptet, dass immer alles nach meinem Kopf gehen müsse und das war letztendlich auch der Grund warum unsere Beziehung auseinanderging. Das war vor Mario, denke ich seufzend. Mario war anders, er wollte von mir mental dominiert werden, hat sich immer gefügt und mir so gut wie nie widersprochen. Ich habe ihn wirklich geliebt und wenn ich ehrlich bin, kann ich bis heute nicht begreifen, wie er mir das antun konnte! Nie im Leben, hätte ich damit gerechnet und seitdem mache ich grundsätzlich einen großen Bogen, um Bi`s. Sicher, eine Beziehung kann immer scheitern und auch bei einem rein schwulen Pärchen kann einer fremdgehen. Trotzdem, dann muss man wenigstens nicht an zwei Fronten kämpfen und als dann seine Freundin schwanger wurde… Tja, was hätte ich da schon dagegenhalten können? Nichts! Männer können nun mal keine Kinder bekommen! Ich verscheuche die Gedanken an Mario und schweife zurück zu Nathaniel. Was nun? Welche Art von Bottom ist er? Steht er nur darauf zu tun, was ich ihm sage, also ähnlich wie Mario, oder ist er einer von denen, die mehr wollen… Seufz! Das werden wir wohl klären müssen, wobei wir wieder beim Thema sind! Oh ja, das werden wir und noch viel mehr! Ich werde jetzt zu ihm fahren und ihm gehörig den Marsch blasen, darauf kann er sich gefasst machen!
Eine Stunde später stehe ich erneut vor seinem Haus. Und jetzt? Wenn ich klingle, macht er womöglich nicht auf und ich kann mir die Füße in den Bauch stehen! Da! Da kommt jemand! Eine junge Frau mit Kinderwagen öffnet von innen mühselig die Tür und ich ergreife die Gelegenheit! „Warten Sie!“, rufe ich, „ich helfe Ihnen!“ Ich drücke gegen die schwere Tür, sie nickt, zieht den Kinderwagen zurück und ich halte für sie die Tür auf. „Danke!“, sagt sie lächelnd, schiebt ihr Baby an mir vorbei und ich trete selbstbewusst grinsend in das Treppenhaus. Mit dem Aufzug fahre ich nach oben und läute an Nathaniels Wohnungstür, dann klopfe ich einfach. Er öffnet und bleibt wie zur Salzsäule erstarrt stehen. Tja, mein Lieber, damit hast du nicht gerechnet! Ich sehe ihn einen Momentlang einfach nur streng an, frage ihn ob ich eintreten darf und er macht mir tatsächlich Platz. Sofort fahre ich ihn an und frage ihn, was er sich dabei gedacht hat, so mit mir umzugehen! Er sinkt förmlich in sich zusammen und ich spiele den Trumpf mit dem von wegen, ich wäre sein Top, aus. Das hat gesessen! Er nickt nur mit gesenktem Blick, aber ich will, dass er antwortet und das tut er dann auch, mit einem zaghaften Ja. Ich stoße die Tür zu, gehe an ihm vorbei ins Wohnzimmer und er folgt mir brav. Geht doch! So, und jetzt werde ich dir gehörig den Kopf waschen! „Du wirst mir jetzt zuhören!“, fahre ich ihn an und baue mich mit verschränkten Armen vor ihm auf. „Ich wollte gestern lediglich noch einmal mit dir reden! Ich habe mir Sorgen um dich gemacht und wollte das, was vorher zwischen uns abgelaufen ist, nicht einfach so stehen lassen! Ich wollte zu dir! Kapiert?! Das dann dein Bruder mir die Tür geöffnet hat, dafür kann ich nichts und ich konnte es auch nicht ahnen! Aber egal, es ist, wie es ist und ich hatte niemals vor, mich in irgendetwas einzumischen oder gar, Alex gegen dich aufbringen, wie du es mir vorgeworfen hast! Was denkst du denn? Ich habe auch erst einmal Bauklötze gestaunt, als ich plötzlich einen jungen Mann vor mir sah! Ich dachte, dein Bruder wäre noch ein kleiner Junge und nicht ein fast Erwachsener! Warum hast du es mir nicht einfach gesagt? Stattdessen lügst du mich an, dass die Balken sich biegen!“, sage ich energisch, aber auch ruhig und sachlich. Nathaniel steht mit hängenden Schultern vor mir und wagt es noch immer nicht, mich anzusehen. „Ich, er ist“, sagt er leise. „Du bist still!“, donnere ich ihn an und er zuckt zusammen. „Ich bin noch nicht fertig! Du wirst mir jetzt zuhören und wage es nicht, mich nochmals zu unterbrechen! Danach, bist du dran! Verstanden?“ Er nickt kurz und ich schnaufe tief durch. „Gut! Also, ich kann verstehen, dass du mir die Sache mit Alex Zustand verschwiegen hast und im Grunde genommen, ist er wohl auch noch wie ein kleines Kind und ich verstehe jetzt auch, warum du dir solche Sorgen um ihn machst, aber ich verstehe nicht, warum du mich deshalb abserviert hast! Es würde sich doch nichts ändern, zwischen euch beiden, nur eben, dass ich auch noch da wäre, um dich zu unterstützen! Denkst du wirklich, ich hätte kein Verständnis dafür gehabt? Auch, was deine Eltern betrifft, warum hast du mir nicht gesagt, dass sie tot sind?“, frage ich betont sanfter und sehe, wie er förmlich zusammenschrumpft. Er hat jetzt wohl auch seine Augen geschlossen und sein hübsches Gesicht hat einen bitteren Ausdruck angenommen. „Ich erwarte jetzt eigentlich eine Antwort“, sage ich auffordernd, doch er zuckt nur die Schultern. Ok, war wohl doch ein wenig zu heavy, für ihn. Vielleicht sollten wir uns setzen! „Nathaniel“, sage ich ruhig, „komm zu mir!“ Ich strecke ihm meine Hand hin, er macht einige kleine Schrittchen auf mich zu und nimmt sie zögerlich. „Komm“, wiederhole ich, ziehe ihn sanft heran und bugsiere ihn zur Couch. „Setz dich“, fordere ich ihn auf und beide setzen wir uns beinahe gleichzeitig. Dabei lasse ich seine Hand nicht los, die sich ziemlich feucht und kalt anfühlt. „Und?“, frage ich, aber er schweigt. „Ich wollte dich nicht vor Alex outen, aber es hat sich einfach so ergeben“, versuche ich es erklärend, „er wollte wissen, wer ich bin und ich habe es ihm gesagt, nämlich, dass wir beide zusammen sind. Genauso, wie wir es am Abend zuvor, ausgemacht hatten“, sage ich nun ein wenig hilflos. Warum sagt er nichts? „Nathaniel, sag doch was“, raune ich ihm erneut zu. „Es geht nicht“, antwortet er leise. Was geht nicht? „Nathaniel, was geht nicht, was meinst du?“, frage ich vorsichtig. „Ich möchte, dass du gehst“, sagt er monoton und sein Blick ist dabei auf irgendeinem Punkt in der Wohnung gerichtet. Ich kann nicht fassen, was ich eben gehört habe und schon gar nicht begreifen. „Warum?“, frage ich ungläubig. Er zieht seine Hand zurück, steht auf und sieht mich endlich an. „Wir können nicht zusammen sein, es gibt keinen Platz für dich, in unserem Leben!“, sagt er sachlich. „Wie bitte? Nathaniel! Warum nicht?“, fahre ich auf. „Du würdest es nicht verstehen. Ich muss für ihn da sein, er braucht mich“, antwortet er ohne Regung. „Das darf doch nicht wahr sein“, raune ich wie zu mir selbst und fasse mir an den Kopf. „Stimmt! Du hast recht, ich verstehe es nicht! Willst du dich hier mit ihm einsperren und dich für den Rest deines Lebens um deinen schwachsinnigen Bruder kümmern?“, sage ich verständnislos und sehe wie sich seine Augen verengen. „Raus hier!“, zischt er mich böse an, „Alex ist nicht schwachsinnig! Er ist hochintelligent, also nenne ihn nie wieder so!“ „Hochintelligent?“, wiederhole ich höhnisch schnaubend und lache kurz. „Entschuldige, aber den Eindruck hat er nicht gerade auf mich gemacht! Er hat sich im Gegenteil sogar, wie ein geistig zurückgebliebener benommen! Wirklich, wie ein höchstens Siebenjähriger!“ „Du kennst ihn nicht!“, schreit Nathaniel mich plötzlich an. „Er ist nicht geistig zurückgeblieben! Er ist einfach nur anders! Er leidet am Asperger-Syndrom und das hat nichts mit Schwachsinn zu tun! Und jetzt, hau ab!“, brüllt er, dass sich seine Stimme überschlägt. „Das werde ich nicht!“, erwidere ich bestimmt und sehe, wie er sich aufbläst. Wow, entweder knallt er mir jetzt eine oder er platzt gleich! „Warum erklärst du es mir nicht einfach?“, sage ich eiskalt und lehne mich gelassen zurück. „Bei einer schönen Tasse Kaffee, zum Beispiel?“, lege ich noch nach und Nathaniel holt noch tiefer Luft. Er platzt jetzt echt bald, wenn er nicht langsam ausatmet! Endlich, er lässt die Luft ab! „Zum letzten Mal, raus hier“, faucht er zornig. „Nein! Ich gehe nicht eher, bevor du es mir erklärt hast!“, erwidere ich stur. Er schließt kurz seine Augen, dann erklärt er mir die Symptome von Alex `Krankheit´. Ich höre ihm aufmerksam zu und hebe fragend beide Hände. „Und was hat das mit uns zu tun?“, möchte ich wissen. „Denkst du, ich würde nicht damit klar kommen?“ Das würde ich, ganz sicher! Immerhin lief es doch ganz gut gestern, zwischen uns. „Das ist es nicht“, meint er ruhiger. „Was ist es dann?“, frage ich genervt. „Ich will dich einfach nicht mehr sehen!“, knallt er mir an den Kopf. „Ich, ich habe mich eben getäuscht! Du, bist nicht das, oder der, nach dem ich gesucht habe! Du kannst mir nichts bieten!“ Bieten? Was meint er denn jetzt wieder? Keine Ahnung und genauso sehe ich ihn auch an. „Das glaube ich dir nicht“, antworte ich, doch ich spüre langsam, wie ich immer unsicherer werde. „Dann werde ich es dir erklären!“, erwidert er hochnäsig. „Schau dich doch einmal um“, sagt er und deutet mit einer ausladenden Geste seiner Hände durch den Raum. Was meint er, die teure Einrichtung? Ist das sein Ernst? „Und nun vergleiche es mit der Bude, in der du mit deiner kleinen Lena wohnst, nein haust! Mit euren billigen SB-Möbeln oder sind die vom Sperrmüll?“ Wow! Ich bin echt schockiert und anscheinend sieht er mir das an. „Ich bin diesen Luxus gewöhnt und Alex auch“, fährt er fort, „außerdem möchte er nach dem Abitur studieren und das kostet Geld, viel Geld! Was denkst du wohl, woher das kommt?“ Ich sehe ihn einfach nur fassungslos an. Was will er damit andeuten? „Wahrscheinlich nicht von deinem Job bei dieser Sicherheitsfirma“, antworte ich ziemlich matt. „Alex hat mir erzählt, dass du als Bodyguard arbeitest, stimmt das?“ Er blinzelt kurz, dann nickt er. „Ja, ich arbeite sozusagen als Personenschützer“, bestätigt er, ohne mich anzusehen. Lügt er wieder einmal? „Ganz ehrlich? Ich habe erst einmal einen Lachflash bekommen“, sage ich spöttisch. „Wen könntest du schon beschützen?! Du bist doch nur eine halbe Portion und man könnte dich glatt wegpusten!“ „Genau das, denken alle, wenn sie mich sehen!“, kontert er gelassen, „schon mal was von Karate gehört, oder einer professionellen Kampfausbildung? Was denkst du, warum so viele Frauen beim Personenschutz eingesetzt werden, hm? Die fallen weniger auf, genau wie solche halben Portionen, wie ich!“ Das gibt mir zu denken und ich stimme ihm insgeheim zu. „Ok“, raune ich, „aber anscheinend ist die Bezahlung nicht gerade der Hit, oder was meintest du vorhin?“ Er nickt und verschränkt seine Arme vor seiner aufgeblähten Brust. „Genauso ist es! Kannst du dich noch an den Mann erinnern, mit dem ich in der Galerie war? Meinen vermeintlichen Vater?“, fragt er mich herausfordernd, „er ist mein Lover und stinkreich! Er bezahlt meine Rechnungen und ist auch bereit, Alex zu unterstützen!“, sagt er sowas von überheblich grinsend, dass ich drauf und dran bin, ihm jetzt eine zu ballern. „Kannst du das? Kannst du uns dieses Leben bieten?“, fügt er noch hämisch hinzu und mir reicht es nun endgültig. „Ich kann das nicht glauben“, raune ich dennoch kopfschüttelnd, „ich nehme dir das nicht ab! Ist dir das alles“, jetzt deute ich um mich herum, „wichtiger, als unsere Liebe?“ „Liebe“, wiederholt er zynisch schnaubend, „von Liebe, kann ich mir nichts kaufen und Alex erst recht nicht! Er wird an der besten Universität studieren, vielleicht sogar im Ausland und dieser Mann, wird es uns ermöglichen!“ Ich habe genug gehört, nicke und stehe auf. „Na dann, leb wohl und viel Spaß, beim Geldausgeben“, sage ich noch und gehe langsam an ihm vorbei. Irgendwie habe ich doch noch die Hoffnung, dass er irgendetwas erwidert, mich vielleicht doch nicht einfach so gehen lässt, doch er schweigt nur. Als ich das Haus verlassen habe, setze ich mich erst einmal auf eine nahegelegene Parkbank und lasse mir alles noch einmal durch den Kopf gehen. Ich kann es immer noch nicht begreifen, ist er wirklich nur auf Geld aus? Dann fällt mir wieder ein, was er zu mir gesagt hat. Dass er es manchmal so satthätte und sich einfach nur jemanden wünschen würde, der für ihn da ist, ihn liebt und festhält! Also doch, er lässt sich von diesem alten Kerl aushalten, wird mir endgültig klar und ich lehne mich verbittert zurück. Während ich noch meinen Gedanken nachhänge, sehe ich, wie Nathaniel plötzlich den Wohnblock verlässt. Wo er wohl hingeht? Vielleicht zu diesem Kerl? Ich stehe auf und hänge mich tatsächlich an seine Fersen. Ist das schon Stalking? Egal! Ich will einfach wissen, wohin er geht! Er biegt um die nächste Ecke, ich warte kurz und haste ihm hinterher. Zwei Straßen weiter, sehe ich wie er einen kleineren Supermarkt ansteuert und betritt. Er geht also nur einkaufen! Oh Mann, was ist bloß in mich gefahren? Dennoch warte ich, bis er wieder herauskommt und verfolge ihn wieder zurück zu seiner Wohnung, sehe ihm nach, wie er in dem exklusiven Wohnblock verschwindet und mache mich dann selbst auf den Weg nach Hause.
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