»Denkst auch nur du!« Blitzschnell griff er nach ihr und zog sie ins Bett.
Als sie später gut gelaunt mit Viktoria und deren Freund Ketu am Frühstückstisch saßen, spürte Anna die Gedanken ihres Bruders. Jens hatte wohl schon am Abend zuvor versucht, sie zu erreichen, doch da war sie halt anderweitig beschäftigt gewesen.
… Jens berichtete ihr von Lena und deren Jetzt-Ex-Freund. Anna hatte diesen Marius von Anfang an nicht so richtig leiden können, wusste aber nicht, wieso. Es war vielmehr ein Bauchgefühl. Nun ärgerte sie sich, ihrer Schwester nicht sofort davon erzählt zu haben. Nur war Lena damals so überglücklich gewesen, als sie ihn kennengelernte, dass Anna es einfach nicht übers Herz gebracht hatte. Zudem war sie in der Zeit nach den schrecklichen Ereignissen um Loana, Sistra, Aedama und Durell reichlich abgelenkt gewesen. Dann kam Weihnachten und, und, und …
Sie schob ihre Selbstanklage beiseite. Jetzt war es eh zu spät.
»Jens hat mir gerade ein paar Neuigkeiten übermittelt«, erzählte sie den anderen am Tisch. »Lena hat Schluss mit Marius. Aber das scheint sie recht gut verdaut zu haben, ebenso wie die Märchenstunde.«
»Märchenstunde?«, fragte Viktoria.
»Meine Schwester halt«, erläuterte Anna. »Sie hat das so genannt, als wir sie über die Elfen aufgeklärt haben. Na, jedenfalls geht es ihr soweit ganz gut, trotz Marius und Märchenstunde. Und, was noch besser ist, sie freut sich total über die Einladung zur Hochzeit und ebenfalls über die Brautjungferngeschichte. Ach ja, Silvi übrigens auch.« Sie kicherte. »Okay, bei Silvi war es wohl erheblich schwieriger. Behauptet Jens zumindest. Als er ihr von der ganzen Elfensache erzählt hat, ist sie vor Schreck umgefallen und Jens konnte seine Herzallerliebste nur noch mit seiner speziellen Mund-zu-Mund-Beatmung beruhigen.«
Anna runzelte die Stirn. »Wozu erzähl ich euch das überhaupt? Ihr habt das doch bestimmt mitgekriegt.«
»Ein bisschen vielleicht«, bestätigte Viktoria. »Aber das meiste hast du ziemlich gut verborgen gehalten. Du machst dich, Anna. Nun aber zum Hochzeitsthema. Das wird nämlich einfach toll. Ich bin so froh, dass Lena und Silvi endlich Bescheid wissen und mit dabei sein können. Das gibt sicher ein superschönes Bild: Zwei Dunkelhaarige und zwei Blonde.« Sie strahlte vor Freude. »Wir müssen Lena natürlich dazu überreden, blond zu bleiben. Was hat sie eigentlich für eine Naturhaarfarbe?«
»Die sehen in natura fast genauso aus wie meine. – Ich weiß auch nicht, warum sie andauernd mit ihren Haaren herumexperimentiert«, fügte sie hinzu, als Viktoria fragend eine Braue hob. »Muss am Beruf liegen. Aber das Argument mit zwei zu zwei könnte ziehen. Auf so was steht sie. Die ist bestimmt so richtig aus dem Häuschen.«
»Genau wie Vitus.« Ketus ernstes Gesicht nahm einen leicht belustigten Zug an. »Ich habe gestern mitbekommen, wie er sich mit Bitris, dem Schlossgärtner, unterhalten oder eher gestritten hat. Der war wohl ein bisschen kritisch wegen Loanas Wunsch, zur Kirschblüte zu heiraten. Schließlich stehen im Schlosspark ja extra verschiedene Kirschsorten, um eine möglichst lange Blütezeit vorzugeben. Vitus will aber, dass zur Hochzeit alle Kirschen gleichzeitig blühen, also die Schnee- und Winterkirschen zusammen mit den Frühlingskirschen, die auf der kleinen Allee stehen.«
Ketu schüttelte den Kopf. »Der arme Gärtner hatte ohnehin keine Chance. Nach einer knappen Debatte über Blütenwachstum, Jahreszeiten und mehr hat Vitus ihn einfach stehen lassen und kurzerhand damit begonnen, die Bäume wettertechnisch zu beeinflussen. Er will unbedingt, dass die Hochzeit am zwanzigsten März stattfindet. Also wird er dafür sorgen, dass Loana ihre Blüten an diesem Tag bekommt.«
»Ach.« Anna griff sich ans Herz. »Ich finde das soo romantisch.« Dann dachte sie nach. »Wieso eigentlich der zwanzigste März?«
»Frühlingserwachen«, antwortete Viktoria. »Das ist im Elfenreich ein wichtiger Feiertag, ungefähr so wie Silvester und Neujahr bei den Menschen. Der Winter vergeht und der neue Lebenszyklus beginnt.« Auch Viktoria seufzte. »Er ist echt romantisch, unser Vater.«
»Du bist wirklich der festen Überzeugung, dieser Sentran könnte der Richtige sein?«
»Oh ja, Vitus, das bin ich«, bestätigte Estra. »Er ist genau der Mann, den du suchst.«
»Hhm-hhm.« Vitus zog genüsslich an seiner dicken Zigarre, genehmigte sich zudem ein Schlückchen vom Verdauungsobstler.
Loana und er waren bei Estra in den Bergen des westlichen Elfenreiches zu Besuch und hatten gerade erst, gemeinsam mit Estras Frau Isinis und den Kindern Panu, Mainio und Iltrana, fürstlich zu Mittag gespeist.
Die beiden Frauen vertraten sich nun die Beine im herrlichen Park, direkt vor dem riesigen hochherrschaftlichen Haus, während es sich die beiden Brüder im Wintergarten gemütlich machten. Sie saßen in bequemen Ledersesseln, die baren Füße auf einem Hocker abgelegt.
Hamo, Estras junger Bediensteter, der noch nicht lange für ihn tätig war, trat ein und fragte, ob er noch etwas bringen sollte. Sie verneinten fast zur gleichen Zeit und lächelten, weil sie beide dasselbe gesagt hatten: »Nein, der Obstler reicht.«
Bevor er wieder hinausging, hatte Hamo sie mit einem Ausdruck im Gesicht angestarrt, der Vitus nur allzu bekannt war. Es lag an seiner großen Ähnlichkeit mit Estra, die selbst Freunde und Bekannte ab und an verwirrte. Aber auch Fremde sahen sofort, dass sie Brüder waren:
Sie waren beide sehr groß, Estra sogar noch etwas größer, und von schlanker, muskulöser Statur, hatten glattes rabenschwarzes Haar, das ihnen bis auf die Schultern fiel, und ein attraktives Gesicht mit scharf geschnittenen Zügen. Vielleicht war Estras Nase nicht ganz so groß und ausgeprägt und sein Mund dafür einen Tick breiter. Auch zierte Estras Kinn kein Grübchen und seine Augen waren nicht meergrün, sondern braun wie Milchschokolade. Dennoch, ihre Ähnlichkeit war enorm. Besonders, wenn sie lachten und Grübchen auf ihren Wangen erschienen.
Eine weitere Gemeinsamkeit stellte ihre Abneigung gegen Schuhe dar. Beide hassten Schuhe, selbst Socken. Das kam bei Elfen allerdings häufig vor, speziell bei den männlichen. Viele von ihnen zogen es vor, weitestgehend barfuß durchs Leben zu schreiten, weil sie selbst den unangenehmen Schmerz spitzer Dinge unter ihren Füßen dem dafür freien und kühlen Gefühl liebend gern den Vorzug gaben.
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