„Nehmen Sie Ihre Finger von mir.“, fuhr sie Orlando, der ihr beim Aufstehen geholfen hatte und seine Finger dabei über ihren Rücken hatten streichen lassen, ärgerlich an. Als sie auf ihrem Platz saß, stellte sie fest, dass sie ihren Fensterplatz eingebüßt hatte. Sie hasste das Fliegen und das schon, wenn sie am Fenster, ihrem bevorzugten Platz, saß. Nun jedoch schien es ihr unerträglich. „Ich habe einen Fensterplatz gebucht.“, sagte sie, nicht ganz ohne Verlegenheit, zu Orlando. Die beiden unterhielten sich wieder auf Spanisch. „Würden Sie mich also bitte dorthin lassen?“ Es klang mehr nach einer Forderung, denn nach einer Bitte.
„Wegen Ihrer Flugangst?“, fragte er, um sie zusätzlich zu provozieren.
Sie wandte sich zu ihm herum und hielt ihm drohend den Zeigefinger vors Gesicht. „Reizen Sie mich nicht.“, brachte sie ärgerlich hervor. „Ich bin mit Ihrem Vater fertig geworden und ich werde auch nicht an Ihnen verzweifeln.“
Orlando grinste amüsiert. Wenn sie sich aufregte, war sie umwerfend. Ihre Wangen röteten sich dabei ein wenig und ihre Augen funkelten. Er sah sie gerne so. „Bitten Sie mich doch einfach höflich darum, die Plätze zu tauschen, da Sie enorme Flugangst haben und es Ihnen leichter fällt damit umzugehen, wenn Sie am Fenster sitzen.“, forderte er sie auf.
Christina wünschte sich augenblicklich, sie hätte weniger Stolz gehabt. Doch anstelle ihn zu bitten, drehte sie sich im Sitz zurecht und legte sich den Gurt um. Vor ihm würde sie kein bisschen nachgeben, besonders dann nicht, wenn er so selbstgerecht war. „So ein Arschloch.“, murmelte sie ärgerlich auf Deutsch. „ Was denkt er, wer er ist? Nur weil er ein Don ist, glaubt er, sich alles herausnehmen zu können. “
Orlando musste lachen. „ Aus Ihrem Mund klingt sogar eine Beleidigung reizend .“, sagte er, ebenfalls auf Deutsch.
Sie blickte ihn empört an. Hatte er ihr überhaupt je die Wahrheit gesagt? Er hatte behauptet, nur zwei Sprachen zu sprechen und selbst dabei hatte er gelogen! Christina fing an auf seinen Oberkörper einzuschlagen, bis eine Stewardess an sie heran trat und sie aufforderte, sich ruhig zu verhalten und für den Start vorzubereiten.
„Welche Sprachen beherrschen Sie noch, he?“, fragte Christina ihn ärgerlich. Sie war wieder ins Spanische zurück gefallen. „Ich hätte es besser wissen müssen, als ich heraus gefunden habe, was für ein elender Lügner Sie sind.“
„Meine Lügen sind schlimm, aber Ihre weniger?“, fragte er neugierig. „Ich habe mit meinem Namen gelogen und Sie taten dies ebenfalls. Sagen Sie es mir, falls ich mich irre, Miss Montalli.“
„Sie irren sich!“, fuhr sie ihn an. Ihr Atem ging schneller und ihre Wangen waren vor Wut gerötet. „Als Sie mich nach meinem Namen gefragt haben, da habe ich Ihnen die Wahrheit gesagt.“ Im nächsten Moment wurde ihr bewusst, dass sie mit diesem Satz ein Eingeständnis gemacht hatte. Dass sie ihn mochte, war nun kein Geheimnis mehr.
Orlandos amüsiertes Lachen, wurde zu einem sanften Lächeln. Also hieß sie tatsächlich Christina. „Verzeihen Sie mir, Sie haben Recht.“, lenkte er ein. „Ich hätte Ihnen die Wahrheit sagen sollen.“
„Nun ist es zu spät, Orlando.“, erwiderte sie verunsichert und wandte daraufhin den Blick ab.
Er lehnte sich zu ihr herüber. „Als Sie mir Ihren wahren Namen genannt haben, haben Sie das absichtlich getan? Oder haben Sie es danach bereits bereut und sich geärgert, ehrlich gewesen zu sein?“, wollte er wissen.
Sie dachte nur einen kurzen Moment darüber nach und sah ihn dann lächelnd an. „Ich habe mich geärgert, weil ich nicht gelogen habe.“, gestand sie und musste dann lachen.
Orlando öffnete seinen Gurt und erhob sich. „Kommen Sie, setzen Sie sich ans Fenster.“
„Sir, bitte nehmen Sie augenblicklich Ihren Platz wieder ein!“, fuhr die Stewardess sofort dazwischen. „Auf der Stelle!“
„Einen kleinen Moment noch, bitte.“, sagte Orlando, ungeachtet der Hektik in ihrer Stimme.
Christina musste über seine Frechheit grinsen, beeilte sich, ihren eigenen Gurt zu öffnen und erhob sich dann. Einen Moment lang drückte ihr Körper gegen Orlandos, da der Gang in den Platzreihen zu schmal war, als dass sie unberührt aneinander hätten vorbei gehen können. Während er ihr half, sich an ihm vorbei zu schieben, glitt seine Hand neuerlich sanft über ihre Hüfte und einen Moment lang trafen sich ihre Blicke mit einer solchen Intensität, dass keiner von beiden sich weiterhin bewegte.
Die Stewardess drängte sie mit einem erneuten Ausruf, sich zu beeilen und der Moment zwischen ihnen war vergangen. Die Verwirrung blieb jedoch bei beiden gleichermaßen.
Christina schnallte sich an und atmete tief durch. „Danke.“, sagte sie leise.
„Jederzeit.“, erwiderte er lächelnd. Dann blickte er sie verstohlen an, bis sie seinem Blick mit ihrem begegnete. „Soll ich wieder Ihre Hand halten?“
„Macht es Ihnen Spaß, sich über die Ängste anderer zu amüsieren?“, fragte sie, sofort wieder verärgert. Er hatte so eine Art an sich, die sie provozierte.
Orlando lächelte sanft. „Über Sie würde ich mich niemals lustig machen.“, sagte er und meinte es so. „Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass ich in Ihren Augen ein Arschloch bin und Sie mich hassen.“
Sie grinste. „Ich hasse Sie nicht.“, entgegnete sie. „Ich mag Sie nur nicht sonderlich.“
Er lachte. „Und hilft es Ihnen über die Flugangst hinweg?“
„Nur ein bisschen.“, antwortete sie lachend. Gleich darauf begannen die Motoren des Flugzeuges aufzuheulen und die Maschine setzte sich langsam in Bewegung.
Orlando hielt ihr seine Hand hin und lächelte ihr aufmunternd zu. Sie betrachtete seine Hand zögerlich, betrachtete sein Gesicht und legte ihre Hand schließlich seufzend in seine. Als sie seinen starken Griff um ihre Hand fühlte, spürte sie, wie sich eine erotische Gänsehaut auf ihrem Rücken ausbreitete und sie verlegen werden ließ. Dennoch wollte und konnte sie ihm ihre Hand nicht entziehen. Stattdessen faltete sie ihre dünnen Finger in seine kräftigen, schloss die Augen und versuchte, ihre Angst zu unterdrücken, indem sie sich auf das Gefühl, das seine Unterstützung ihr gab, konzentrierte.
Orlando war verwundert über ihre plötzliche Zuwendung und überrascht von der Sanftheit dieser kleinen, scheinbar unbedeutenden Berührung. Als er sie ansah, hätte er sie am liebsten auf sich gezogen und sie in den Armen gehalten. Niemals zuvor hatte es eine Frau geschafft, ihn mit einer so harmlosen Berührung so sehr aus der Fassung zu bringen. Vielleicht lag es an ihrer Angst, dass sie ihm nun näher gekommen war, doch in jedem Fall war es das erste Mal, dass sie ihn ihrerseits berührte. Er versteckte nicht, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, doch sie war bislang immer abweisend gewesen und hatte sich distanziert, wenn er ihr näher gekommen war.
Als das Flugzeug ruhig dahin glitt, löste Christina ihre Hand aus seiner und blickte ihn sowohl forschend, als auch verlegen an. „Wieso reisen Sie in den Irak?“, wollte sie wissen.
„Das kann ich Ihnen nicht verraten, es sei denn, Sie ärgern sich nicht über weitere Lügen.“, antwortete er ehrlich.
Sie lächelte leicht. „Werden Sie in Bagdad bleiben oder von dort aus weiter reisen?“
Er wandte sich ihr zu und blickte ihr direkt in die Augen. „Wird das ein Verhör?“, fragte er lächelnd. „Wissen Sie, das schüchtert mich ein wenig ein, da ich Sie, bei unserer ersten Begegnung für eine Agentin gehalten habe.“
Christina lachte amüsiert auf. „Niemals.“, sagte sie entschieden.
Er grinste. „Doch dann wurde mir klar, dass Sie auch nur eine Kriminelle sind.“, fuhr er schulterzuckend fort. „Sie sind mir ähnlicher als Sie ahnen.“
Christina blickte ihn ernst an. „Und Sie sind größenwahnsinnig, wenn Sie annehmen, dass Sie viel über mich wüssten.“, sagte sie. „Sie haben ja keine Ahnung.“
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