Orlando lachte amüsiert und sah sie danach einfach nur fasziniert an.
Sie blickte ihn etwas verlegen an und lächelte. „Trotzdem werde ich nicht mit Ihnen ausgehen.“, sagte sie, als sie diese Frage von seinem Gesicht hatte ablesen können. Er lachte und steckte sie damit an.
Nachdem das Flugzeug gelandet war und Christina und Orlando gemeinsam ihr Gepäck in Empfang genommen hatten, blieben sie voreinander stehen.
Christina war überrascht, wie gut sich die Unterhaltung mit Aden Hall entwickelt hatte. Er war ein sehr charmanter und humorvoller Mann. Sie hatte sich mit ihm sowohl über Politik, als auch über, ihrer Meinung nach, überflüssige Fernsehsendungen unterhalten können. Niemals zuvor hatte sie sich während eines Fluges so sehr entspannen können. Allerdings hatte ihr niemals zuvor ein Mann schon nach so wenigen Stunden so gut gefallen. Ich könnte mich in ihn verlieben , dachte sie. Um das zu vermeiden, reichte sie ihm nun förmlich die Hand. „Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Aden.“, sagte sie lächelnd.
Er schüttelte ihre Hand und ließ sie danach nicht los. „Mich hat es noch viel mehr gefreut, Christina.“, erwiderte er und lächelte ebenfalls. „Und? Weigern Sie sich noch immer mit mir auszugehen?“
Sie lachte, weil es ihm offensichtlich nicht peinlich war von ihr abgelehnt zu werden und weil er, jedes Mal, wenn er sie um ein Date bat, unheimlich anziehend auf sie wirkte. Er war selbstsicher und seine Selbstsicherheit wirkte selbstverständlich, natürlich. Sie machte ihn mit aus und das gefiel ihr. „Ja, ich muss wirklich weiter.“, lehnte sie dennoch ab. „Zeit ist Geld, Mr. Hall.“, setzte sie grinsend hinzu.
„Dann kann ich nur hoffen, dass der Zufall uns noch ein weiteres Mal zusammen führen wird.“, sagte er und stellte fest, dass es der Wahrheit entsprach. Er wollte sie unbedingt wieder sehen, aber er konnte sie schließlich auch nicht zwingen, sich darauf einzulassen.
„Das würde dann doch eher an Schicksal, als an Zufall erinnern.“, sagte sie und entzog ihm dann ihre Hand, um die Griffe ihrer Tasche aufzunehmen. „Auf Wiedersehen und viel Erfolg auf Ihrer Reise.“
Orlando lächelte. „Ihnen auch. Sofern Spanien nicht Ihre Heimat ist?“, sagte er, weil er nicht sicher war, ob sie privat oder geschäftliche Gründe für ihre Reise hatte.
„Ich habe keine Heimat, Aden. Meine beste Freundin nennt mich die Heimatlose.“, sagte sie und lächelte dabei ohne Reue.
Er erwiderte das Lächeln. „Dann passen Sie auf sich auf, heimatlose Christina, egal wo Sie sind.“ Er schob die Hände in die Hosentaschen und blickte sie an.
Einen Moment lang, glaubte er in ihren Augen eine gewisse Verwunderung zu erkennen, doch dann lächelte sie und nickte ihm leicht zu. Sie drehte sich um und ging zum Ausgangsportal des Gebäudes. Orlando blickte ihr nach und fragte sich, ob sie das wirklich war, heimatlos. Er hatte vielmehr das Gefühl, sie wäre überall auf der Welt Zuhause.
Santander, Spanien, Zwölfter März 2003
Alejandró war zwei Tage nach der Beerdigung wieder Zuhause angekommen. Er hatte mit Wladimir Vostinov Verhandlungen über die Aufteilung von Ristovas Machtbereichen geführt und war mit dem Ergebnis zufrieden. Immerhin hätte der Russe nicht teilen zu brauchen. Er hätte das russische Monopol selbst befehligen können, aber er schien zu wissen, dass er Alejandrós Hilfe nur dann bekäme, wenn er ihm ein verlockendes Angebot unterbreiten konnte. Und so hatte er Alejandró einige der wichtigen Machtgebiete in Europa überlassen, ihm die bestimmten Kontaktmänner in diesen Bereichen genannt und ihm seinen neuen Geschäftspartner Sergej Waczynski vorgestellt. Alles verlief nach Plan, wenngleich er auch Rückschläge hatte hinnehmen müssen.
Am frühen Abend kühlte er sein Gemüt im Pool ab. Er schwamm nicht, sondern trank einen Cocktail, wobei er weiterhin im Wasser saß, als sein Sohn neben ihn trat.
Orlando hockte sich zu ihm herunter.
Alejandró blickte freudig überrascht drein. Er legte seine nassen Hände an Orlandos Wangen und küsste ihn überschwänglich auf beide Seiten. „Na endlich, mein Lieber! Ich hab’ mir schon Sorgen gemacht!“, rief er freudig aus. „Wo hast du so lange gesteckt?“
Orlando zuckte die Schultern. „Das Ganze hat ein wenig mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich erwartet hatte.“, log er ausweichend. Sein Vater durfte nicht wissen, dass er Geschäfte unterhielt, auf die Alejandró selbst nicht den geringsten Einfluss hatte.
Dieser stieg nun aus dem Pool und als er Orlando umarmen wollte, wich dieser schnell zurück.
„Schon gut, Alejandró. Du hast dir Sorgen gemacht. Aber jetzt genug der Liebe.“, sagte er, um nicht erneut von seinem Vater nass gemacht zu werden.
Alejandró lachte verstehend. Er hätte seinem Sohn gern den Arm um die Schultern gelegt, aber dieser überragte ihn um mehr als einen Kopf, sodass es ihm längst unmöglich geworden war. Sie gingen gemeinsam in den Schatten der Veranda. „Du musst mir alles erzählen, ehe ich dir meine neuesten Nachrichten verrate.“, sagte er und klopfte Orlando stolz, aber knapp auf die Schulter.
„Ich geh’ mich erst umziehen.“, erwiderte Orlando. „In England ist es sehr viel kälter als hier.“
Alejandró blickte auf die dickere Kleidung seines Sohnes und nickte verständnisvoll. „Aber dann musst du mir Bericht erstatten, ehe du die Weiber begrüßt.“
Orlando nickte zustimmend und ging dann ins Haus.
Die Villa hatte unzählige Zimmer, für die Alejandró alle eine besondere Verwendung gefunden hatte. Orlando selbst hatte in seinem Elterhaus drei Zimmer, obwohl er nicht einmal mehr hier wohnte. Ein Zimmer diente ihm als Aufenthaltsraum, das zweite als Büro und das dritte als Schlafzimmer, an das sich ein Bad anschloss. Orlando hatte auch noch immer Kleidung hier und ansonsten alles, was er brauchte. Und dennoch fühlte er sich in seinem eigenen Haus, was ums Vielfache kleiner war, wohler. Er hatte eine sonnenüberflutete Terrasse an seinem Schlafzimmer, eine große, offene Küche und ein ganzes Untergeschoss, dass er noch nicht einmal richtig fertig gestellt hatte.
Orlando ging die rechte Treppe von der Eingangshalle aus hinauf und betrat sein Schlafzimmer. Seine 22-jährige Schwester Carmen und seine 20-jährige Schwester Bonita bewohnten den gleichen Trakt der Villa wie er, wenn er denn da war. Seine Schwestern Esmeralda und Sandrine, die 17 und 15 Jahre alt waren, den Trakt der Eltern auf der linken Seite der Villa.
Während Orlando sich in seinem Schlafzimmer sommerliche Kleidung anzog, hörte er Bonita gedämpft sprechen. Er vermutete, dass sie wieder mit einem ihrer männlichen Bekanntschaften telefonierte. Carmen konnte er nicht hören und nahm deshalb an, dass sie beim Tennis war. Sie war eigentlich immer beim Tennis. Während Bonita und Esmeralda nur die Männer im Kopf hatten, waren Carmen und Sandrine auf ihre jeweiligen Sportarten fixiert. Carmen war eine ehrgeizige und auch sehr gute Tennisspielerin und Sandrine liebte den Reitsport und nahm seit ihrem neunten Lebensjahr an Turnieren teil. Orlando selbst war in seiner Jugend in beinahe jeder Sportart gut gewesen, aber je älter er wurde, desto weniger hatte er die Zeit für Sport gefunden. In seiner Schulzeit war er einmal ein sehr guter Schwimmer gewesen und hatte für das Basketballteam der Privatschule gespielt.
Orlando stand im Badezimmer und rasierte sich seine Kopfhaare neuerlich ab und entschied sich während dessen, auch den beginnenden Bart nicht stehen zu lassen. Schon morgen früh wären die Bartstoppeln jedoch wieder deutlich sichtbar, das wusste er aus Erfahrung.
Seine Gedanken waren jedoch nicht auf seine Arbeit gerichtet und so schnitt er sich in die rechte Wange und stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus. Er wusch den Rasierschaum von dem Schnitt und fuhr dann unbeirrt fort. Noch immer hafteten seine Gedanken an der wunderschönen Frau aus London, die sich für heimatlos hielt. Besonders ihre Augen hatten es ihm angetan, sie waren wie Bernsteine und funkelten voll Wärme und Leben. Wann immer er ihr länger in die Augen geblickt hatte, hatte er geglaubt einen Windsturm zu spüren, der ihn direkt in ihre Arme trug, als würde die Gravitation ihn nicht länger zur Erde, sondern zu ihr ziehen. Und ihr Lächeln! Ihre weißen, ebenen Zähne und die kleinen Grübchen, die sich dabei auf ihren Wangen abzeichneten, hatten ihn immer dazu gezwungen, auch zu lächeln. Er war wahrhaftig niemals zuvor einer so schönen, anmutigen Frau begegnet, die ihn dann auch noch ablehnte. Sie war die erste Frau, die ihm unnahbar, unerreichbar erschien und er fragte sich ununterbrochen, ob er sie, wenn sie sich jemals wieder sehen sollten, doch noch von seinen Vorzügen überzeugen könnte. Zwar hatte sie ihm erzählt, dass sie einen Verlobten hätte, den sie schon bald heiraten wollte, aber dies bedeutete ihm nichts. Wenn sie ihn nicht liebte, hätte er vielleicht eine Chance bei ihr. Und wenn dem so wäre, dann wäre eine Ehe mit diesem Arzt ohnehin sinnlos.
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