Sie schob die lästigen Gedanken beiseite und wischte sich erneut über die Wangen. Sie hatte aufgehört zu weinen, wenngleich ihre Augen noch immer brannten. Erst einmal würde sie nach Spanien fliegen und dabei hatte weder ihre Trauer um Sally, noch ihre Sorge um die Zukunft ihrer Beziehung einen Platz einzunehmen. Sie würde nach Spanien fliegen und dort einen Mann treffen, der der Hilfsorganisation Verpflegung für die Iraker sicherte. Christina arbeitete schon länger mit ihm zusammen und war sicher, dass seine Arbeit nur in den seltensten Fällen legal war. Aber er ermöglichte es ihr, günstiger an Medikamente zu kommen und beschaffte ihr auch sonst, was auch immer sie wollte.
Sie blickte auf als sich jemand neben sie setzte und erkannte den Mann, den sie viele Minuten zuvor angerempelt hatte. „Oh, Sie schon wieder.“, brachte sie überrascht hervor, obwohl sie dachte, dass dies ein wirklich komischer Zufall war.
Der Mann setzte sich und griff ihre Hand. „Freut mich sehr, Sie wieder zu sehen.“, sagte er und lächelte geheimnisvoll. Er betrachtete ihre wunderschönen braunen Augen, die ihn mit den langen, geschwungenen Wimpern an die von Rehen erinnerten und dennoch sah er neben der Liebenswürdigkeit in ihnen auch Leidenschaft und Kampfgeist. Sie war eine schlanke Frau und sie war nicht klein, obgleich sie ihm nur bis zur Brust reichte. Aber er war etwas über zwei Meter groß und deshalb war das nicht verwunderlich. Sie konnte ihm dennoch leichter in die Augen sehen, wenn sie vor ihm stand, als die meisten anderen Frauen, die er kannte. Ihm gefiel die Art wie sie sich kleidete: Eine enge hellblaue Jeans und ein enger Kapuzenpullover der ihren Brüsten schmeichelte. Sie war nicht geschminkt und trug ihre langen rotblonden Locken zum einfachen Zopf gebunden. Sie musste nichts aus sich machen und war immer noch außergewöhnlich schön. Alles in ihrem Gesicht schien perfekt zueinander zu passen, wirkte harmonisch und anziehend zugleich.
Christina bemerkte seinen musternden Blick und betrachtete ihn dann ihrerseits. Er war groß und hatte eine kräftige Statur, obwohl sie sehen konnte, dass es Muskeln waren und nicht Fett, die dies bewirkten. Einen Moment lang schätzte sie, dass er ein beruflicher Boxer oder Ähnliches war, aber dann änderte sie ihre Meinung, da sein Gesicht zu unberührt wirkte, mit Ausnahme der kleinen Narbe über seiner linken Augenbraue. Seine Augen waren von einem ungewöhnlichen Braun, was vielmehr an ein dunkles Grau oder gar Schwarz erinnerte. Sie versuchte über seine Augen etwas über ihn heraus zu finden, stellte jedoch nur einmal mehr fest, dass nichts als eine geheimnisvolle Aura von ihm ausging. Sein Gesicht war sehr maskulin, was durch die Bartstoppeln nur verstärkt wurde. Seine Nase war kräftig, aber wohlgeformt, seine Stirn gehoben, ohne dabei arrogant zu wirken und seine Lippen waren nicht zu schmal, sodass sie keine Kälte ausstrahlten. Und während er sich im Sitz zurecht rückte, konnte sie sehen, dass sein Hemd seine Tätowierungen kaum zu verbergen vermochte. Sally hatte Recht gehabt, er war sehr attraktiv.
Aber Christina fand auch, dass er, im Gegenteil zu Damian, eher gefährlich wirkte und dies in vielerlei Hinsicht. Vermutlich konnte er sogar ihr gefährlich werden, wenn sie bereit gewesen wäre, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Doch das war sie nicht. Sie wäre bald eine verheiratete Frau und musste sich daran gewöhnen, nur noch einen Mann zu begehren. Und doch fand sie es seltsam, dass die Möglichkeit, die sie absichtlich hatte verstreichen lassen, nun zu ihr zurückkehrte.
Christina wandte den Blick ab und nahm ein Buch hervor.
Er betrachtete sie beim Lesen und fand Gefallen daran, ihre Augen dabei zu betrachten, wie sie über das Papier huschten. Manchmal kräuselte sie die Stirn oder biss sich gedankenversunken auf die Unterlippe oder den Fingernagel ihres Zeigefingers. Wenn sie das tat, musste er lächeln. Er konnte sich nicht erinnern, ob er jemals einer so faszinierenden Frau begegnet war, aber er glaubte, dass er sich daran erinnert hätte. Sie war schön, aber vielmehr ging ein Licht von ihr aus, dem er sich nicht entziehen konnte. Es war, als strahle sie von Innen heraus. Als sei sie ganz mit sich selbst im Einklang und wenn sie ihn ansah, kam es ihm so vor, als würde ihr Licht seine inneren Schatten vertreiben. Ihr Licht war das Gegenteil zu seinem Dunkel, seinen Erinnerungen, seinen Dämonen. Und je länger er darüber nachdachte, desto verrückter fand er selbst diese Überlegung. Es war nur ein Gefühl und er vertraute lieber auf seinen Verstand.
„Also schön.“, sagte Christina nach einer Weile ärgerlich. Sie klappte ihr Buch zu, ließ jedoch einen Finger auf der aufgeschlagenen Seite und blickte ihn an. „Sie beobachten mich die ganze Zeit und ich kann mich dabei nur schwerlich konzentrieren. Würden Sie das also unterlassen, bitte?“
„Sie fühlen sich durch meine bloßen Blicke belästigt?“, fragte er und ärgerte sie damit absichtlich. „Bedeutet das, dass Sie sich zu mir hingezogen fühlen?“, setzte er grinsend hinzu.
Christina musste sich ein Lächeln verkneifen, weil er nicht wissen musste, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Stattdessen versuchte sie verärgert auszusehen. „Es bedeutet, dass ich mich lieber meinem Buch widme, als Ihrem unsinnigen Gerede weiter Beachtung zu schenken.“, erwiderte sie.
„Sie sind schlagfertig, das gefällt mir.“, sagte er lächelnd. „Und das obwohl Sie offensichtlich andere Dinge im Kopf haben.“
Sie blickte ihn verwundert an, nicht sicher, worauf er anspielte. „Was meinen Sie damit?“, fragte sie widerwillig.
„Ich bin nicht sicher.“, antwortete er. „Aber Sie haben geweint, das verraten Ihre Augen.“
Sie wandte einen Moment lang verlegen den Blick ab. Es war ihr unangenehm, dass er dies bemerkt hatte und sie ärgerte sich, dass er es ihr so dreist ins Gesicht sagte. „Sie sind frech.“, sagte sie und blickte ihn nun doch wieder an. Er hatte etwas in seinen Augen, das sie immer wieder dazu bewog. „Sie wissen überhaupt nichts von mir, also hüten Sie vielleicht besser Ihre Zunge.“
„Sie wollen mir drohen?“, fragte er amüsiert. Dann beugte er sich zu ihr herüber. „Aber Sie haben Recht, ich weiß nichts von Ihnen. Allerdings ließe sich das ändern. Würden Sie nach der Landung mit mir ausgehen?“
Wie auf sein Stichwort hin, setzte sich das Flugzeug in Bewegung. Christina hielt den Atem an, denn sie hasste das Fliegen. Leider musste sie häufiger als andere darauf zurück greifen. Es war der schnellste Weg Distanzen zu überbrücken und deshalb hatte sie diesbezüglich keine Wahl. Um gegen ihre Angst anzukämpfen, schloss sie die Augen, drückte sich in den Sitz und umklammerte die Lehnen. Es war furchtbar für sie, nicht die Kontrolle zu haben.
Er bemerkte ihre Angst sofort. Während er sich selbst bequem hinsetzte, griff er ihre Hand und hielt sie fest umschlossen.
Sie blickte ihn irritiert an, doch er lächelte nur und machte keine Anstalten, ihre Hand loszulassen.
„Sie brauchen sich nicht zu fürchten.“, sagte er entspannt. „Es ist nur ein kurzer Flug.“
„Ich fürchte mich nicht.“, protestierte sie affektiv.
Er wandte den Kopf und blickte sie amüsiert an. „Gut.“, sagte er. „Dann schlage ich vor, dass Sie wieder anfangen zu atmen.“
Christina wollte etwas ebenso Freches erwidern, aber da er Recht hatte, musste sie lachen. Während sie lachte, löste sich ihre Anspannung und sie dachte nicht mehr über die Gefahren eines Fluges nach.
Als sie in der Luft waren und das Flugzeug leicht dahin schwebte, entzog sie ihm ihre Hand.
Er blickte sie an. „Verraten Sie mir Ihren Namen?“, fragte er.
„Habe ich einen Grund dazu?“, erwiderte sie und versuchte wieder kühl und unnahbar zu wirken. Dass er ihr so sympathisch war, machte es ihr nicht leichter, sich auf ein endgültiges Leben mit Damian zu freuen. Und nun, da sie dem Fremden in die ungewöhnlichen Augen sah, erkannte sie, dass sie sich genau davor fürchtete: Das es endgültig sein könnte.
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