Wenn man von Westen aus über die Vallenberge kam und an deren Ende den berühmten Zengenpass überschritt, dann stand man wenig später am obersten Rand der kahlen Wand, eine 800 Fuß hohe Felswand, die senkrecht in die Wälder abfiel. Und vor einem, oder besser gesagt unter einem, erstreckte sich die große Ebene von Yaldul. Ein prachtvoller Anblick, den man vor der Weiterreise erstmal in vollen Zügen genießen musste. Wie sich Yaldul, der blaue Strom, in Mäandern durch diese warme und imposante Landschaft schwang und sich dessen ozeanblaues Wasser ganz gediegen in das liebliche Tannengrün dieser flachen Gegend schmiegte, ein Gedicht sage ich euch.
Dieses Bild würde euch auf Instagram eine Menge Likes einbringen, viel mehr als euer tägliches Selfie, das kann ich euch garantieren. Und das sogar ohne Filter!
Ganz hinten im Osten, dort wo sich schon langsam wieder die ersten Hügel aus dem grünen Boden erhoben, lag sie: Die Stadt der Kaiser, das Herzstück von Ithrien und für viele sogar von der ganzen Welt.
Wenn man hier oben an der kahlen Wand die große Stadt in der Ferne genau fokussierte, dann konnte man sogar schon einige ihrer markanten Bauten erspähen.
Nein, konnte man nicht, die Stadt war zu weit entfernt, aber so klingt es irgendwie besser. Stellen wir uns einfach vor, dass wir ein extrem gutes Fernrohr dabeihaben, dann könnte das vielleicht funktionieren. Also, wir stehen mit unserem Hightech-Spiegelteleskop am Rand der kahlen Wand und visieren die Kaiserstadt an. Da stach einem natürlich gleich der frappante Tempel der Götter ins Auge, der auf einer kleinen Anhöhe in der Mitte der Stadt thronte. Von der Architektur her erinnerte er stark an eine gotische Kathedrale, nur ohne Türme und dem komischen Christenzeug.
Rund um den Göttertempel befand sich der wohlhabendste Teil der Stadt. Der 1. Bezirk oder die Upper East Side der damaligen Zeit. Hier fand man die besten Gasthöfe des ganzen Landes, die Creme de la Creme der ithrieschen Spitzenköche sorgte hier für kulinarische Orgasmen in den Mäulern ihrer hungrigen und versnobten Gäste. Vorausgesetzt, man konnte sich so ein Festmahl leisten, denn damit Jamie Olivers Urahnen die Pfannen herausholten und ihre Öfen anschmissen, musste man schon einen dicken Beutel voller Nobel auf den Tisch knallen. Nicht leistbar für den primitiven Pöbel, daher traf man bei Tisch nur reiche Geschäftsleute, Adelige und Ganoven, die sich einen schönen Berg an Kapital ergaunerten, also Bankiers, an.
In diesem Viertel gab es eben auch einige Banken sowie luxuriöse Geschäfte. Kleider aus feinster Seide konnte man hier erwerben, feine Kräuter aus den fernen Landen, exquisite Fleischköstlichkeiten wie Einhornleber und teure Einrichtungsgegenstände wie Stühle aus Elfenbein. Es gab alles, was das verwöhnte Oberschichtsherz begehrte. Mit der kaiserlichen Universität gab es hier ein weiteres imposantes Gebäude zu bewundern. Direkt in der Innenstadt lag auch das nobelste Wohnviertel der Stadt, in dem sich die prunkvollen und extravaganten Häuser schon fast überschlugen. Ein Haus stach einem schon von weiter Ferne ins Auge, das Rainer Besener Haus. Hierbei handelte es sich um das erste Hochhaus der Geschichte. Rainer Besener war ein reicher Geschäftsmann und wollte gleich drei Häuser in diesem Viertel bauen, allerdings gab es zu seiner Zeit nur mehr Platz für ein Haus. Deshalb baute er einfach drei Häuser übereinander. Auf die Frage warum er denn unbedingt drei Häuser auf einmal bauen wollte und dies dann sogar übereinander tat, antwortete er stets: „Weil ich es mir leisten kann!“ Rainer Besener war wahrlich wohlhabend, oft stellte er sich auf das Dach seines Hauses und schmiss sein Geld hinunter, einfach weil er so viel davon hatte und nicht wusste, was er sonst damit anstellen sollte.
Ein Stück nördlich vom großen Tempel ragte der Turm der weißen Wacht in den Himmel, das höchste Gebäude der Stadt. Der Koloss aus schneeweißem Stein gehörte zur Kaserne der Stadtwache und warf einen Schlagschatten auf die Suburbs der Kaiserstadt, dass die Wäsche dort nie trocken wurde.
Wie hoch er war, willst du wissen? Schwere Frage, lass mich nachdenken. Naja ich glaube, er war so um die 350 Fuß hoch.
Ein Wunderwerk der damaligen Architektur jedenfalls, sogar die Elfen aus den fernen Landen, die auf ihren Reisen gerne die Kaiserstadt mir ihrer Anwesenheit bereicherten, waren jedes Mal fasziniert von ihm und konnten sich einfach nicht vorstellen, dass dieses Monstrum von Menschen geschaffen wurde. Selbst die besten elfischen Architekten hätten so einen hohen Turm nicht verwirklichen können. Wie japanische Touristen begafften sie ihn, nur hatten die Elfen damals leider noch keine Fotoapparate.
Die Rolle des Gegenspielers vom Turm der weißen Wacht, nahm der schwarze Uhmahr im Süden der Stadt ein. Beim schwarzen Uhmahr handelte es sich um den Gefängnisturm, der aus schwarzem Stein erbaut war. Obwohl Uhmahr ein Stück kleiner, als sein weißer Bruder war, war sein Antlitz genau so mächtig. Oben auf den Zinnen waren Galgen angebracht, an denen noch die Leichen baumelten und als Abschreckung für künftige Verbrechen dienten. Prävention war eben auch schon damals der beste Schutz.
Ein bisschen südöstlicher vom schwarzen Uhmahr, stand der dritte große Turm der Stadt, der exakt dieselbe Höhe wie der dunkle Gefängnisturm hatte. Es war der Glockenturm, ein alleinstehender mächtiger Pfeiler aus Stein und Holz, dessen Glocken nur an einem einzigen Tag im Jahr erschallen durften. An einem ganz speziellen Tag, dem wichtigsten des ganzen Jahres, wir werden später mehr darüber erfahren, ihr dürft gespannt bleiben.
Noch ein Stück weiter südlicher, fast schon am Rande der Stadt, auf einem großen, schroffen Felsen, lag die alte Kaiserfeste. Bis Quirin an die Macht kam, residierten hier die Staatsoberhäupter. Quirin wollte aber lieber etwas Geräumigeres haben und ließ eine neue erbauen. Die alte war jedenfalls ein richtiges Schmuckstück und noch sehr gut erhalten, denn in ihr lebte der Fürst der Kaiserprovinz. Sie sah wie eine Ritterburg aus dem Bilderbuch aus, so wie die aus Lego, die ihr sicher früher zu Weihnachten bekommen habt. Genau, mit Wehrgang, Falltür und Zugbrücke und dem ganzen Schnick und Schnack, richtig kitschig eben.
Ganz im Osten lag dann die neue Kaiserfeste, die mindestens doppelt so groß, wie ihre Vorgängerin war, ihr aber in vielen Belangen sehr ähnlich sah. Weitläufige, dicke steinerne Mauern, spitze Türme in einem schlichten Grau, die Dächer in Purpur und deren Spitzen in Gold. Auch wenn das jetzt alles wie aus einem Disneyfilm klingt, die Kaiserfeste wirkte bedrohlich und monströs. All die Zinnen und Zacken und das große schwarze Tor, da wusste ein jeder, dass hier ein mächtiger Herrscher nistet.
Der Hafen lag ebenfalls im Osten der Stadt. Dieser war der größte Binnenhafen der damaligen Zeit und für den Handel von immenser Bedeutung. Das Hafenviertel war ein äußerst entzückender Ort, all die betrunkenen Seemänner, die großen Schiffe und die vielen Lokale, die immer mit den exzellentesten Fischgerichten aufwarteten, herrlich.
Den großen Markt will ich euch auch nicht vorenthalten. Er befand sich am westlichen Rand der Innenstadt und war eine Quelle des quirligen Großstadtlebens. Hier gab es nichts, was es nicht gab. Händler aus aller Welt schlugen ihre Stände auf und verkauften dabei die ungewöhnlichsten Sachen. Kräuter, Getränke, Tabak, Früchte, Tee, seltene Tiere, Stoffe, Drogen, Edelsteine, kein Wunsch blieb unerfüllt. Der Lärmpegel am großen Markt war selbstverständlich extrem hoch. Die ganzen Leute, die Marktschreier, die unzufriedenen Kunden, die vom Händler übers Ohr gehauen wurden und dann randalierten, Ruhe und Stille fand man hier nie. Die weiße Wacht war am riesigen Marktplatz besonders präsent. Dauernd kam es zu Raufereien zwischen den unzufriedenen Kunden und den Händlern und für die Taschendiebe war es das reinste Paradies, da durfte die Wache keinen Winkel aus den Augen verlieren.
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