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BMW 2002 turbo: Angesichts der Ölkrise wurden sportliche Automobile nicht mehr nur positiv gesehen. Die eigentliche technische Sensation, das erste Serienfahrzeug mit Benzinmotor und Abgasturbolader auf den Markt gebracht zu haben, fiel dabei fast unter den Tisch. (Bild: Lothar Spurzem / Wikimedia Commons)
Geprägt wurde das Jahr 1973 durch die im Herbst beginnende Ölkrise, bei der die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) die Fördermengen drosselte, um die westlichen Länder politisch unter Druck zu setzen. Die dadurch steigenden Energiepreise verursachten eine Schwächung der Konjunktur und führten die westlichen Länder in eine Wirtschaftskrise, von der alle wichtigen Industrienationen betroffen waren.
Parallel dazu verschärfte der steigende Ölpreis die Inflation, wodurch die US-Wirtschaft sogar in eine Stagflation (wirtschaftliche Stagnation gepaart mit Inflation) geriet. In Deutschland markierte die Ölkrise das Ende des Wirtschaftswunders. Bereits im März 1972 war die Höchstgeschwindigkeit auf Bundes- und Landstraßen auf 100 km/h beschränkt worden, während der Ölkrise wurde auch auf Autobahnen eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h verordnet.
Angesichts der Ölkrise und der zahlreichen Unfallopfer im Straßenverkehr wurde das von BMW geförderte Image der Sportlichkeit nicht mehr nur positiv gesehen. Öffentlich wurden Stimmen laut, die insbesondere die zum aggressiven Fahren animierende Werbung von BMW kritisierten. Vor allem der BMW 2002 turbo mit seinem spiegelverkehrt auf dem voluminösen Frontspoiler angebrachten »Turbo-2002«-Schriftzug wurde von der Öffentlichkeit als angeberisch und vulgär wahrgenommen. Die eigentliche technische Sensation, das erste Serienfahrzeug mit Benzinmotor und Abgasturbolader auf den Markt gebracht zu haben, fiel dabei fast unter den Tisch.
Zum unzeitgemäßen Auftritt des BMW 2002 turbo schrieb das Fachmagazin AUTO BILD: »Fortan galten Turboautos als Untersätze für Halbstarke. Ihr Rufwar grundlegend ruiniert. Auch weil BMW noch dick „2002 turbo“ drauf schrieb, in Spiegelschrift! Das war nicht gerade sensibel und politisch unkorrekt. Damals gab es nicht nur Diskussionen wegen des Benzinverbrauchs, sondern auch über die Verkehrssicherheit. Der peinliche Spoiler führte gar zu einer Anfrage im Bundestag, worauf BMWden Schriftzug flugs wieder entfernte und in der Versenkung verschwinden ließ – den größten Druck-Fehler der BMW-Geschichte.«{34}
Parallel dazu rückte die BMW-Werbung immer stärker in das öffentliche Bewusstsein. Selbst unter BMW-Aktionären wurde die hauseigene Fahrzeugwerbung und -positionierung mittlerweile in einer Weise für unangemessen gehalten, dass diese Angelegenheit auf der BMW-Hauptversammlung zum Thema wurde. Schon wurden erste Stimmen laut, die glaubten, dass der gerade erst zu BMW gekommene Verkaufschef Bob Lutz wohl schon bald seinen Hut nehmen müsse. Aus Stuttgart kam bereits das Gerücht, dass die Verantwortlichen nur noch mit einer Schamfrist für den Abgang von Bob Lutz rechneten. Von anderer Seite kam der hämische Kommentar, dass sich der ehemalige Kampfjetpilot ja bestens mit Schleudersitzen auskenne ...
Ende des Jahres 1973 wurde bei BMW eine neue Mitarbeiterzeitschrift eingeführt. Unter dem Titel BAYERNMOTOR wurden den Mitarbeitern im Boulevardstil in schlichtem Layout mit fetten Schlagzeilen, kurzen Sätzen und dick unterstrichenen Schlagworten BMW-interne Themen auf wenigen Seiten nähergebracht. Damit unterschied sich die BAYERNMOTOR in jeder Hinsicht vom anspruchsvollen hauseigenen BMW JOURNAL FÜR MEHR FREUDE AM FAHREN, das von BMW seit 1962 herausgegeben wurde.
BMW »Vierzylinder«: Der BMW-Turm ist das Hauptverwaltungsgebäude und Wahrzeichen von BMW in München. Baubeginn war im Jahr 1968, eingeweiht wurde das Hochhaus am 18. Mai 1973. (Bild: Herbert Ziegelmeier jun. / PIXELIO)
Die Ölkrise des Jahres 1973 mit ihrem Tempolimit von 100 km/h und den autofreien Sonntagen hatte die gesellschaftliche Einstellung zum Auto verändert – große, schwere Fahrzeuge mit großen Motoren waren ebenso wenig gefragt wie leistungsstarke Sportwagen. Bei BMW wurde die Belegschaft auf ein schweres neues Jahr eingeschworen. Insgesamt waren die wichtigen Kennzahlen wie Umsatz und Produktionszahlen moderat gestiegen, wobei der Jahresüberschuss nahezu unverändert geblieben war. Stärker vom Abschwung betroffen war das Motorradgeschäft, das in den letzten Monaten so jäh zurückgegangen war, dass unterm Strich ein Verlust stand.{35}
Das Jahr 1974 begann entsprechend schwierig, Eberhard von Kuenheim rechnete übers Jahr gesehen mit einem Absatzrückgang von 10 bis 25 Prozent: »eine restriktive Konjunkturpolitik, Benzinverteuerung, Tempobeschränkung, vorübergehendes Sonntagsfahrverbot, höhere Versicherungsprämien und Reparaturkosten«, so definierte der BMW-Vorsitzende im Gespräch mit einem Redakteur des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL die Faktoren der Krise. Im Februar standen bei BMW für zwei Wochen alle Bänder still. Etwas Hoffnung lag in stabilen Exportzahlen, auf die der Chef hoffte.
Interessant war die Kehrtwende in der Außendarstellung der Marke BMW, die vom Redakteur angesprochen wurde. Nach dem abrupten Ende der Werbestrategie von Bob Lutz, die durch ihre Betonung von Sportlichkeit und schnellem Fahren als zu aggressiv und nicht zeitgemäß kritisiert worden war, verfolgte das Marketing von BMW nun eine andere Linie. Auf dieses neue gewünschte Image von BMW angesprochen, erklärte Eberhard von Kuenheim relativierend: »Uns geht es wie einem Schauspieler, der früher einmal eine bestimmte Rolle gespielt hat und von dem das Publikum erwartet, daß er diese Rolle immer weiterspielt. Wir haben schon vor Jahren diese Rolle abgelegt. Wir haben Sportlichkeit im Sinne von Raserei nie herausgestellt.«{36}
Mittlerweile war das Tempolimit von 100 km/h einer Richtgeschwindigkeit von 130 km/h gewichen. Diese Regelung wurde von allen Seiten begrüßt, so auch vom BMW-Management, das in der Hauspostille BAYERNMOTOR unter der Titelzeile »Tempo 130 geht uns alle an« nachdrücklich an seine Mitarbeiter appellierte: »Sollte die Zahl der Unfälle auf den Autobahnen in den nächsten Monaten deutlich ansteigen, wird die Diskussion um Geschwindigkeitsbegrenzungen, die der Automobilindustrie in der jüngsten Vergangenheit schweren Schaden zufügte, erneut anheben. Wir richten an alle Betriebsangehörigen den nachdrücklichen Appell, sowohl im eigenen Fahrzeug wie auch beim Einsatz auf Werkswagen selbst vorbildliches Verhalten an den Tag zu legen, d. h. also, sich weitestgehend an die vorgeschriebene Richtgeschwindigkeit von 130 km/h zu halten.«{37}
Augenfällig war, dass insbesondere die deutschen Marken Mercedes-Benz, BMW und vor allem Porsche unter der Situation litten. Auch der kleine Schwelmer Sportwagenhersteller Erich Bitter, der Opel-Technik mit italienisch eleganten Karosserien einkleidete, hatte sein 1973 präsentiertes Sportcoupé Bitter CD zur Unzeit auf den Markt gebracht. Die von den Wissenschaftlern des Club of Rome prognostizierten »Grenzen des Wachstums«, schienen erreicht – der Trend zum sparsamen Kleinwagen oder zumindest zu kleineren Wagen mit verbrauchsgünstigeren Motoren war unverkennbar.
Die Planer bei BMW reagierten schnell und rüsteten den 5er mit einem kleineren Motor aus. Der so entstandene BMW 518 war bereits ab Mai 1974 verfügbar und leistete gerade einmal 90 PS (66 kW) bei 5.500 U/min. Mehr als 160 km/h Höchstgeschwindigkeit war damit kaum möglich. Diese schnelle Reaktion war ungemein wichtig, denn von den Dingolfinger Bändern rollten bislang täglich gerade einmal 140 Fahrzeuge der 5er-Baureihe. Fortan wurde der 5er nur noch im neuen Werk in Dingolfing gebaut, in München standen die frei gewordenen Kapazitäten nun einer neuen Modellreihe zur Verfügung.
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