Lügen und Hochstapelei sei er von dem Gelichter jenseits der Grenzen gewöhnt, erklärte er. Bei ihm verstärke sich der Verdacht, dass die drei ungebetenen Gäste Spione seien, die das Fort auskundschaften wollten.
Er gab deshalb Anweisung, die Fremden in sicheren Gewahrsam zu nehmen. Er würde sie in den nächsten Tagen verhören und ihnen die Wahrheit zwischen den Zähnen herausziehen.
Horsa war über den Verlauf der Unterredung entsetzt. Erregt erklärte er, dass sich das Heimland in großer Gefahr befinde. Er ließ sogar das Wort „Orokòr" fallen, rief damit jedoch nur ein allgemeines Schmunzeln hervor. Inzwischen waren noch andere Soldaten dazu gestoßen und hörten sich die Auseinandersetzung amüsiert an.
„So hört doch“, rief Horsa verzweifelt, „es geht um Leben und Tod!"
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum Hauptgebäude, und heraus trat ein alter, würdiger Erit mit weißem Haar. Er war in Hemdsärmeln und seine Hosenträger baumelten links und rechts an seinen Hüften. Als man seiner ansichtig wurde, verstummten alle.
Der Offizier flüsterte: „Da habt ihr euren General! Ich glaube, ihr werdet bald wünschen, ihn nie gesehen zu haben!"
„Was geht hier vor?" fragte dieser mit hoher Fistelstimme.
„Drei Fremde haben sich eingeschlichen“.
Der Offizier hatte Haltung angenommen und erstattete schnarrend Bericht.
„Sie wurden gestellt und gaben als Entschuldigung an, sie wollten den Herrn General persönlich sprechen. Sie wurden verhört und in Arrest genommen. Es besteht die Gefahr, dass es sich bei den Individuen um Spione handelt. In diesem Fall müsste man ein Kriegsgericht einberufen. Weitere Klärung des Falles wird in den nächsten Tagen durch Verhöre stattfinden. Herr General wird selbstverständlich regelmäßig unterrichtet werden“.
„Sehr gut Dollfuß! Stehen sie bequem!" Der Weißhaarige war gut gelaunt und leutselig. „Ich will es mir nicht nehmen lassen, diese Individuen persönlich in Augenschein zu nehmen“.
Er rief seinen Burschen, der mit einem großen Regenschirm kam und watschelte auf die Gruppe zu. Nachdem er sich vor den Gefährten aufgebaut hatte, fragte er drohend: „Wer seid ihr? Woher kommt ihr? Was wollt ihr? Wer hat euch geschickt?"
Zu dem Offizier gewandt sagte er: „Hört gut zu, damit ihr lernt wie man ein erfolgreiches Verhör führt, Dollfuß“.
Dann wieder zu den Fremden: „Ich will sofort eine Antwort! Also, wird's bald!"
Horsa trat vor und sagte: „Guter alter Weißbart. Kennst du mich nicht mehr? Ich bin es, Horsa, der Sohn deines Grafen. Du hast mich doch früher so oft auf deinen Knien gewiegt“.
Weiter kam er nicht. Der General schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Dabei brüllte er, und seine piepsige Stimme überschlug sich: „Ich lasse nicht zu, dass unser Herr beleidigt wird. Das lasse ich nicht zu! Abführen! Abführen! Ins Loch mit ihnen!"
Der junge Graf war so verdutzt über diese Reaktion, dass er schwieg. Fassungslos wurden er und seine Gefährten von den Soldaten gepackt und weggeschleppt.
Man warf sie in eine dunkle, feuchte Zelle im Keller unter dem Hauptgebäude. Dort standen lediglich eine Holzpritsche und in der Ecke ein Blechkübel für ihre Notdurft.
„Hast du damit gerechnet?" fragte Werhan. Horsa schüttelte den Kopf.
Dann sagte er mit gedrückter Stimme: „Jetzt ist alles verloren!"
Marga mischte sich ein: „Hört auf zu jammern! Überlegt euch lieber, wie wir aus diesem tristen Loch wieder herauskommen“.
„Ganz gleich wie oder wann wir wieder freikommen, es wird zu spät sein“.
„Hat er dich wirklich nicht erkannt?" Marga gab nicht auf.
„Scheinbar nicht. Obgleich ich einen Augenblick lang glaubte, so etwas wie Erinnern und Erkennen in seinen Augen aufblitzen zu sehen. Aber ich muss mich wohl getäuscht haben, sonst säßen wir nicht hier“.
„Gemütlich haben wir es und so sauber“, das Mädchen deutete auf den Eimer. „Besonders für mich als Frau ist es angenehm, mit euch hier meine Zeit zu verbringen. Wehe, wenn ihr euch umdreht, wenn ich jetzt den Eimer benutze“.
Bei diesen Worten formten sich in Horsas Kopf seltsame Bilder, die ihn verlegen machten und von seinen Sorgen ablenkten.
Sie untersuchten sorgfältig die Zelle, rüttelten an dem Eisengitter des Fensters und klopften gegen die Tür. Alles war solide und gut gebaut. An ein Entkommen war nicht zu denken. Dann wurde es dunkel. Drei Personen konnten auf der Pritsche nicht gemeinsam schlafen. So kauerten sie sich auf dem rauen Holz zusammen und versuchten, im Hocken zu dösen.
Es mochte gegen Mitternacht gewesen sein, als ein leises Geräusch sie aufschrecken ließ. Langsam öffnete sich der Zugang zu ihrem Gefängnis. Der Lichtschein einer Windlampe fiel herein, dann schob sich ein Erit durch den Eingang. Es war der alte General. Über die gebeugten Schultern hatte er seinen Armeemantel mit den goldenen Litzen geworfen. Stumm trat er ein, und stumm und verwirrt sahen ihm die Gefangenen entgegen. Er beachtete die beiden Menschen nicht, sondern ging geradewegs auf Horsa zu. Vor dem jungen Grafen fiel er auf die Knie und fasste nach seinen Händen.
„Herr“, sagte er, „ich habe Euch sogleich erkannt“.
Er schwieg eine Weile, und keiner seiner Gefangenen sagte ein Wort, dann fuhr er fort: „Ich verstehe Euren Zorn, aber ich musste Euch gefangen nehmen. Ich folge damit nur dem Auftrag, den Euer Vater mir einst gegeben hat. Ich solle, so sagte er, hier in dieser verlassenen Gegend die Stellung halten, und meine Soldaten möglichst unbeschadet durch alle Wirren der Zeit führen. Diesen Befehl habe ich bisher treu und gewissenhaft ausgeführt, bis Ihr gekommen seid, um uns zu stören. Natürlich weiß ich, dass das Heimland in Gefahr ist. Auch ich habe meine Boten und Spione. Aber was kann ich dagegen unternehmen? Wenn ich eingreife, opfere ich sinnlos das Leben der mir anvertrauten Männer. Kann ich das verantworten? Kann ich zulassen, dass sie sterben? Das können nicht Euer Wille, und auch nicht der Wille Eures Vaters sein! Hätte ich Euch nicht verhaftet, sondern Euch als Herrscher anerkannt, so hätte ich mich Eurem Willen unterwerfen müssen. Den Gehorsam, den ich von meinen Männern verlange, muss ich schließlich auch selbst bringen. Wenn ich Euch vor allen den Befehl verweigert hätte, wenn ich Eure Autorität nicht anerkannt hätte, so hätte ich gleichzeitig die meine untergraben. Auch das kann nicht Euer Wille sein. Ich musste Euch deshalb festsetzen.
Doch warum seid Ihr gekommen? Warum lasst Ihr mich den Auftrag, den ich einst erhalten habe, nicht ordentlich zu Ende bringen? Warum wollt Ihr, dass wir alle sterben? Wenn ich mich Euch widersetze, so handele ich in Eurem eigenen Interesse!"
Der Graf unterbrach den langen Monolog: „Und was ist mit den Orokòr? Ihr wisst, dass sie an unseren Grenzen stehen!"
„Ach ja, die Orokòr! Der Orokòr ist ein gefährliches Wesen. Seine Hautfarbe ist dunkel, und er ist von äußerster Grausamkeit. Der Dunkle Herrscher hat ihn einst für seine bösen Zwecke geschaffen. Der Orokòr lebt in Höhlen und wäscht sich nie. Deshalb ist in seiner Gegenwart ein strenger Geruch anzutreffen. Der Orokòr tritt nur ganz selten alleine auf. Er ist ein Rudelwesen, das sich bedingungslos seinen Führern unterwirft“.
Werhan konnte nicht länger zuhören: „Was soll diese Belehrung über die Orokòr. Zum einen bin ich sicher, dass sich die Orokòr nicht so einfach beschreiben lassen. Auch bei ihnen gibt es Unterschiede. Zum anderen, und das ist viel wichtiger, Orokòr sind im Heimland. Jetzt in diesem Moment töten sie Erit-Frauen und Erit-Männer. Euer Auftrag ist es, Eure Landsleute zu verteidigen. So tut dies gefälligst!"
Er war, während er sprach, zu dem General getreten und hatte ihn an der Schulter gefasst.
Dieser schüttelte die Hand ab und entgegnete wütend: „Ich lasse mich nicht gern unterbrechen und schon gar nicht von einem dahergelaufenen Strolch. Außerdem wüsste ich nicht, wie ich mit meinen paar Männern das Heimland vor den Orokòr retten könnte. Wenn wirklich Orokòr eingedrungen sind, so muss man eben warten, bis sie wieder abziehen. Wenn wir uns bis dahin in Reserve halten, können wir als militärischer Ordnungsfaktor den Aufbau organisieren. Ein Mann in meiner Position muss auch an den Tag danach denken. Er darf sich vom Tagesgeschehen nicht überrollen lassen“.
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