Horsa presste trotzig die Lippen zusammen. Konnte er diesen daher gelaufenen Gestalten wirklich vertrauen?
„Es wäre besser, du würdest reden“, drängte Werhan. „Wir haben nicht mehr viel Zeit“.
„Es gibt nichts zu reden“.
„Nun gut, du wirst deine Gründe dafür haben, dass du mir nicht die Wahrheit sagst. Für jetzt gebe ich mich damit zufrieden. Ich werde dir, wenn wir auf die Soldaten treffen, helfen. Aber merke dir, du kannst auf mich nur einmal rechnen und dann nie wieder, wenn du nicht mit deiner Geschichte herausrückst“. Nach einer Pause fügte er hinzu: „Noch etwas! Wenn die Soldaten kommen, lass mich reden. Sage nichts, auch wenn du direkt angesprochen wirst. Es hängt alles davon ab, dass du dich nicht einmischst. Dein Bündel versteckst du übrigens besser in einem unserer Wagen“.
Gejagt
Es verging keine halbe Stunde, da sahen sie Reiter. Es war ein gutes Dutzend. Alle in glänzenden Uniformen und bis an die Zähne bewaffnet. Horsa überlegte, ob diese Männer zu der Garnison in Steinbruch gehörten. Dann könnte er sich zu erkennen geben, bräuchte nicht weiter Versteck zu spielen und wäre bereits am Ziel seiner Wanderung angelangt. Schon wollte er vortreten und seinen Namen sagen, aber eine innere Stimme warnte ihn. Es war besser, kein Risiko einzugehen. So hielt er sich für den Moment noch zurück.
Die Schar kreiste den Flüchtlingstreck ein, und ihr Anführer fragte barsch nach Herkommen und Ziel. Wahrheitsgetreu gaben die Menschen Auskunft. Horsa verbarg sich bei der Befragung hinter einem Planwagen und hoffte, übersehen zu werden. Aber weit gefehlt. Der Hauptmann hatte ihn erspäht und rief erstaunt: „Was will dieser Erit bei euch?"
Ohne zu zögern antwortete Werhan, und seine Stimme hatte einen so servilen Ton, dass es den Grafensohn schauderte: „Ach, das ist nur Käsbein. Er ist ein wenig blöd im Kopf. Wir sollen ihn in Lindendorf abliefern. Dort ist er einem Bauern als Knecht verdingt. Allein konnte man ihn nicht auf den Weg schicken. Deshalb haben uns die Seinen Geld gegeben und gebeten, ihn mitzunehmen. Schließlich ziehen wir auch nach Lindendorf, und seine Familie spart sich so einen weiten Weg“.
„So, er ist ein bisschen blöd?" mischte sich nun der zweite Offizier ein. „Wenn man mit Flüchtlingen durch die Gegend walzt, muss man in der Tat sehr blöd sein. Mit einem Gesindel wie euch würde ich nicht einmal eine Meile gehen, ohne zu kotzen. Schließlich stinkt ihr und klaut wie die Raben“.
„Sehr wohl, Herr Offizier“, antwortete Werhan noch unterwürfiger, „wir stinken. Aber wir würden es niemals wagen, Euer Ehren, einen Erit zu bestehlen. Wir haben die allergrößte Ehrfurcht vor Erits. Der Ruhm der Erits ist bis an die Grenzen von Centratur gedrungen“.
Nun trägt er zu dick auf, dachte sich Horsa. Aber es schien der richtige Ton zu sein, denn der Soldat zeigte sich befriedigt und wechselte das Thema.
„Gut genährte Ponys habt ihr“, sagte er mit einem misstrauischen Ton in der Stimme. „Wie kommen arme Flüchtlinge zu solchen Tieren?"
„Ja, den Tieren ging es bisher gut, wenngleich sie schon alt und ein wenig struppig sind. Aber Euer Hochwohlgeboren haben natürlich sogleich erkannt, dass uns Flüchtlingen solche Tiere nicht zustehen. Da sieht man wieder den guten Blick, den Euer Ehren haben. Natürlich können dies nicht unsere Tiere sein, und es sind auch nicht unsere Tiere. Wir haben diese Ponys in Kommission genommen. Wir sollen sie zusammen mit dem Blödel in Lindendorf abliefern“.
Als er erneut blöd genannt wurde, zuckte Horsa zusammen. Dieser ungezogene Bengel verletzte ständig seine Ehre. Zwar verstand er die Taktik, die Werhan verfolgte, aber er musste sehr an sich halten, um nicht laut zu protestieren. Er presste seine Hände zu Fäusten, bis seine Fingernägel tief ins Fleisch drangen. Der Schmerz half ihm, die Fassung zu bewahren.
„In seiner Familie ist der Blödel mit seiner Blödheit scheinbar nicht allein. Leute, die einem Gelichter wie euch zwei Pferde anvertrauen, müssen selbst ganz schön blöd sein. Nun macht aber, dass ihr weiterkommt und haltet uns nicht mehr auf. Wir haben es eilig und haben durch euch Pack schon viel Zeit verloren“.
Die Reiter gaben ihren Pferden die Sporen, und die Kavalkade brauste davon.
„Na, ist das nicht gut gegangen?" wandte sich Werhan triumphierend an Horsa. Er wollte gelobt werden, aber dieser knirschte nur mit den Zähnen und sagte gepresst: „Wenn du mich noch ein einziges Mal blöd oder Blödel nennst, schlage ich dir die Zähne ein“.
Der junge Mann war noch immer gut gelaunt und ging auf die Drohung nicht weiter ein. Er sagte nur: „Sieh da, sieh da, unser Gast leistet sich den Luxus und hat Ehrgefühle. So etwas gewöhnt man sich als Flüchtling rasch ab. Wenn du bei uns bleiben willst, mein Lieber, musst du lernen noch mehr wegzustecken“.
„Ich will aber nicht bei euch bleiben, verdammt noch mal“, schrie der Markgraf.
Die anderen Mitglieder des Trecks hatten bisher kein Wort gesprochen, sondern dem Streit der beiden jungen Männer nur zugehört. Jetzt sagte eine der Frauen: „Ich glaube, wir müssen weiter“.
„Und ob wir weiter müssen“, erklärte Werhan ruhig. „Bei diesem Tempo brauchen die Reiter knapp drei Stunden, bis sie die Toten finden. Sie werden dann sofort umkehren, um Jagd auf uns zu machen. Ihre Pferde sind dann jedoch schon müde. Das bedeutet, dass sie für den Rückweg vier Stunden benötigen. Wir haben also insgesamt sieben Stunden, um zu verschwinden. Wenn sie uns erwischen, werden sie kurzen Prozess mit uns machen“.
Dies war eine nüchterne Situationsbeschreibung und traf den Sachverhalt genau. Horsa wurde bewusst, in welche Lage er diese armen Menschen gebracht hatte. Wenn sie durch die Soldaten umgebracht würden, so wäre es seine Schuld. Aber warum hatten sie ihm geholfen? Warum hatten sie ihn aufgenommen? Sie schienen doch genau über seinen Mord im Bilde zu sein.
Werhan fuhr fort: „Wir müssen herunter von der Straße. Hier werden sie uns zuerst suchen. Östlich von hier fließt der Erfstrom. Dort wollen wir ein Versteck suchen“.
Es begann ein Wettlauf mit der Zeit. Die Wagen wurden ohne weiteren Disput quer feldein nach Osten gelenkt. Sie fuhren durch staubige Felder und zogen eine große Dreckwolke hinter sich her. Damit sie schneller liefen, gab man den Pferden kräftig die Peitsche. Die einfachen Karren holperten und rumpelten, und die Menschen stolperten hinterher.
„Wir hinterlassen einen großen Wegweiser“, keuchte Horsa zu Werhan und deutete auf die Staubwolke am Himmel. Sie waren seit zwei Stunden unterwegs und kamen trotz aller Anstrengungen nur mühsam voran. Immer wieder gruben sich die Wagenräder in den lockeren Boden, und alle mussten helfen, die Karren wieder flott zu machen.
„Die Soldaten werden schon nicht zurückblicken. Wir müssen über diese Felder, wenn wir entkommen wollen“.
„Aber die ganzen Anstrengungen sind doch sinnlos. Unsere Spur ist unübersehbar, und die Soldaten brauchen ihr nur zu folgen. Eine bessere Fährte kann man kaum legen“.
„Daran haben wir natürlich gedacht“. Werhan lachte. „Blöd sind wir nämlich nicht“.
Als das Wort 'blöd' fiel, hätte der Markgraf diesem daher gelaufenen Flüchtling am liebsten ins Gesicht geschlagen.
„Also blöd sind wir nicht“, wiederholte dieser noch einmal, „deshalb sind einige von uns zurückgeblieben und verwischen mit Ästen die Spuren“.
Horsa wusste nichts zu entgegnen und schwieg. Die Umsicht, mit der diese Menschen seine Probleme lösten, nötigte ihm Hochachtung ab. Es war beinahe dunkel, als sie endlich das Rauschen des großen Stromes vernahmen. Die Leute waren zu müde, um noch ein Lager aufzuschlagen. Jeder ließ sich niederfallen, wo er gerade stand und schlief ein. Nicht einmal Wachen stellten sie auf. Beim ersten Morgengrauen wurde Horsa an der Schulter gerüttelt. Es war Werhan, der ihn weckte. Müde und zerschlagen erhob sich der Graf. Da sah er Marga, die schon wartete. Gemeinsam gingen sie hinunter zum Fluss und setzen sich dort wortlos ins feuchte Gras. Das Mädchen begann zu pfeifen und zu trällern, und die Vögel antworteten.
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