In der „Reikiszene“ hat es sehr viel davon gegeben. Die verschiedenen Entwicklungen innerhalb der Heilmethode haben für Missverständnisse und Konfusion gesorgt. Die unterschiedlichen Ideen von Reiki, von der Nutzung des Systems, der Symbole, die Usui fand, von der Praxis, der Unterweisung und einigem mehr. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir sinnvoll, für Entwirrung zu sorgen, soweit es geht, und gründlich herauszuarbeiten, was Reiki eigentlich ist und wie es wirkt.
Das Wort „Reiki“ haben wir ja schon geklärt, es bedeutet „universelle Lebensenergie“. Aber was ist das eigentlich? Das Usui-System beschreibt die Energie als eine Kraft, die im Kosmos existiert – samt uns auf der Erde mittendrin –, die uns nährt und für uns lebenswichtig ist.
Im alten Indien sagt man zu dieser universellen Energie „Prana“. In der indischen Medizin, dem Ayurveda, ist Prana ein grundlegender Aspekt. Eine zentrale Rolle spielt es auch im Yoga. Prana wird bereits in den Upanishaden erwähnt und beschreibt den Vorgang des Atmens, also die Luftzufuhr, als Mittel, Prana aus dem Äther im Körper zu manifestieren. Das Prana zirkuliert dann durch circa 70.000 im Körper vorhandene Nadis, auch Energieleitbahnen genannt, und versorgt auf diesem Wege Organe und Drüsen mit Kraft und Energie. Gereinigt und aktiviert werden diese Nadis zum Beispiel durch spezifische Atemübungen im Yoga. Die traditionelle chinesische Medizin spricht von dieser universellen Energie, die wir im Usui-System nutzen, als Qi oder Chi‘i. Im alten China wird das Qi als eine aus dem Kosmos kommende, alles durchdringende, vitale Lebensenergie gesehen. Qi wird beschrieben als einzige konstante Energie in einer sich ständig wandelnden Wirklichkeit.
Durch Akupunktur oder Akupressur wird das Qi in den Körper gelenkt, um Energieblockaden zu lösen. Über die Meridiane wird der Körper gewissermaßen mit Qi geflutet. In diesem Konzept befinden sich die Energiebahnen außerhalb des Körpers, anders also als in der indischen Lehre.
In Japan nennt man diese Energie Ki. Außer im Reiki kennt man Ki auch im Aikido, einer japanischen Kampfkunst.
Es ist auffällig, dass die universelle Energie im asiatischen Raum umfangreicher erklärt und weniger in Frage gestellt wird. Doch auch im europäischen Bereich kennen wir diese Kraft. Wilhelm Reich nannte sie „Orgon“. Wir sprechen auch von Odem, dem Lebenshauch.
Diese Energie oder Kraft können wir zwar nicht sehen, hören oder schmecken, wir können sie jedoch erfahrbar machen und für uns nutzen, etwa durch das Auflegen der Hände.
Vielleicht können Sie die Hypothese, dass es eine universelle Energie gibt und diese eine wichtige Auswirkung auf uns Menschen hat, für die Dauer des Buches einmal übernehmen. Wenn ich in diesem Zusammenhang von Reiki spreche, meine ich damit das System, das Konzept, das Usui auf seiner Suche auf dem Berg gefunden und weiterentwickelt hat, also das Usui-System der natürlichen Heilung. Der Volksmund hat sich angewöhnt, dieses Reiki zu nennen, da es leichter zu merken ist und sich hübscher spricht.
Das Usui-System der natürlichen Heilung zeigt uns, wie wir die universelle Lebensenergie optimal für uns nutzen, kanalisieren und weitergeben können.
Usui hat dieses Konzept vor gut 100 Jahren entwickelt. Es ist
also noch genauso jung wie beispielsweise die heutige Form der Schulmedizin.
Es gibt viel ältere Heilsysteme, wie das indische Ayurveda, das vor etwa 3000 Jahren seinen Anfang nahm, oder die traditionelle chinesische Medizin, die wir in 2000 Jahre alten Schriften finden können. Doch soweit wir wissen, haben Menschen schon immer ihre Hände benutzt, um Heilung zu fördern. Die älteste bekannte Heilung mit den Händen wird bei den Schamanen vermutet, etwa 40 000 Jahre zurückliegend.
Ich persönlich denke, dass Menschen die Heilkraft der Hände kennen und nutzen, seit sie sich mit Leiden und deren Heilung beschäftigen. Ich halte das Geben von Reiki für eine Praktik, die so alt ist wie die Menschheit und immer wieder in leicht veränderter Form aufgetaucht ist – und wohl auch weiterhin auftauchen wird.
Seit Mitte der 1980er Jahre ist die derzeit wohl beliebteste Form
des Heilens mit den Händen hier im Westen also „Reiki“ oder „das Usui-System der natürlichen Heilung“.
Reiki zu geben, ist unkompliziert und für jeden möglich. Gerade diese Einfachheit macht es vielen – zumal uns westlich denkenden Menschen – so schwer, dieser Behandlungsmethode eine echte Chance zu geben. Es könnte längst viel mehr Anerkennung genießen und mit größerer Selbstverständlichkeit im medizinischen Bereich angewandt werden, würden wir unseren Erfahrungen mehr trauen als unseren Ideen. Uns faszinieren hochkomplizierte Vorgänge. Einfachheit scheint nicht gut zu sein, eher uninteressant. Und schon gar nicht effektiv.
Ich persönlich habe gelernt, dass gerade die einfach oder unspektakulär erscheinenden Dinge – wie beispielsweise die Behandlungsmethode Reiki – viel zu bieten haben und sich ein zweiter Blick unbedingt lohnt.
Das soll keine Aufforderung dazu sein, sich vor kniffligen Aufgaben zu drücken, Herausforderungen aus dem Weg zu gehen. Ich möchte auch nicht Ignoranz, Faulheit und Lethargie Vorschub leisten. Gemeint ist eine gesunde Einfachheit, eine natürliche Vereinfachung des Lebens.
Ist das Leben an sich nicht kompliziert genug? Eine wirklich komplexe Angelegenheit? Das Usui-System der natürlichen Heilung bietet uns eine effektive Praxis, das Leben zu vereinfachen, es besser zu verstehen. Eine Praxis, wie sie ähnlich wohl auch hinter dem besagten buddhistischen Banner angewandt wird, wenn Klarheit und Weisheit die Bedürfnisse sind.
Reiki ist also gut dazu geeignet, die „Verwirrung“ in ein bisschen „Weisheit“ zu verwandeln und die natürliche Ordnung herzustellen. Das erscheint mir als zentrale Aufgabe und Folge der Reikipraxis auf der geistigen Ebene.
Reiki tut auch einiges für den Körper: Es stärkt das Immunsystem. Bei kompletter Gesundheit kann Reiki diesen Zustand stabilisieren und festigen. Ist der Körper aus der Balance geraten, wie stark auch immer, kann Reiki unterstützend wirken, Symptome lindern oder beseitigen. Reiki kann aber auch Symptome zunächst verstärken; wir kennen diese Erstverschlimmerung aus der Homöopathie. Das ist zwar nicht schön oder gewollt, zeigt aber deutlich, dass der Körper reagiert. In der Regel ist ein Prozess der Heilung in Gang gesetzt.
Wissenschaft, Medizin und unser gesunder Menschenverstand wissen: Die Heilkraft des eigenen Körpers ist ein ganz wichtiger Aspekt, um gesund zu bleiben oder zu werden. Ein schwaches Immunsystem lässt tiefgreifende Heilung kaum zu.
Angewandtes Reiki kann die Selbstheilungskräfte wiederherstellen, aktivieren und erhalten. Das ist seine Hauptaufgabe auf körperlicher Ebene. Außerdem kann es den Körper entgiften. Es erhöht die körperliche Vitalkraft. Und es führt in eine Tiefenentspannung, die Reikispezifisch ist. In dieser tiefen Entspannung kann der Körper schnell und gut regenerieren.
Stopp!
Spätestens an dieser Stelle wäre bei mir – sowohl als ich Reiki kennenlernte als auch noch eine ganze Zeit später – Grummeln aufgekommen: „Das kann ja jeder behaupten, das sagen doch alle. Glaube kein Wort, so ein Blödsinn. Und einfach soll es auch noch sein. Das wäre ja zu schön, um wahr zu sein…“
Ich habe eine starke innere Skeptikerin und Zweiflerin. Die hat mich jahrelang, vor allem in Kinder- und Jugendtagen, beschützt und darauf aufgepasst, dass ich nicht in die Irre geführt, betrogen oder verletzt werde. Sie hat gute Arbeit geleistet, keine Frage. Sie war die Wächterin meines Herzens. Im Erwachsenenalter merkte ich aber, dass sie mich nicht nur vor schlechten Einflüssen beschützt, sondern auch vor guten abschirmt. Ich begann mit ihr zu sprechen, das tue ich bis heute. Sie ist meine Drachenfrau. Meine starke Lieblingsfeindin, kraftvolles Gegenüber. Ich höre sie an und diskutiere mit ihr.
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