Zurück im Kloster, beriet sich Usui mit seinem Freund, wie er nun weiter vorgehen könne. Sie beschlossen, Usui solle in die Vorstädte Tokios gehen, um dort den Armen und Kranken zu helfen. Das tat er, und die Leute ließen sich die Behandlungen gefallen. Doch nach einiger Zeit funktionierte die Heilung nicht mehr so recht. Die Menschen fielen in ihre alten Lebensformen zurück und Usui musste erkennen, dass irgendetwas nicht stimmte. So ging er wieder in Klausur mit sich selbst und dachte nach. Er hatte die Menschen ohne Nachfrage behandelt und vorausgesetzt, dass sie das auch wünschten und sich weiterentwickeln wollten. Aber dem war nicht so. Er kam zu der Erkenntnis, dass er zu ungestüm, zu missionarisch gehandelt hatte. Er verließ die Vorstädte, ging in die Stadt, eröffnete eine Praxis und stellte sich zur Verfügung. Nun konnte ihn jeder, wenn er denn wollte, anrufen, anfragen, zu ihm kommen oder ihn bitten herauszukommen. Es zeigte sich, dass mehr Menschen seine Dienste in Anspruch nahmen, die sich bewusst dafür entschieden hatten, geheilt zu werden an Körper, Geist und Seele. Sie hatten das, was Hayashi später „Reikibewusstsein“ nannte.
Zu Usui kam in dieser Zeit ein Mann, der sich Chujiro Hayashi nannte und Marineoffizier und Arzt war. Er lernte von und mit Usui und entdeckte dabei seine Leidenschaft für Reiki. Gemeinsam mit Usui entwickelte Hayashi die Praxis von Reiki weiter.
Später leitete er eine Klinik in Tokio und eröffnete eine weitere Reikiklinik in Kioto. Von Usui heißt es, er sei wieder auf Wanderschaft gegangen. Von Dorf zu Dorf. Tagsüber habe er sich auf den Marktplatz eines Dorfes gestellt, eine brennende Fackel in der Hand. Die Leute hätten sich über ihn lustig gemacht: „Alter Mann, was machst du denn mit der Fackel in der Hand, es ist doch helllichter Tag?“ Usui habe ihnen zur Antwort gegeben: „Wenn ihr das wahre Licht sehen wollt, dann kommt heute Abend wieder, und ich zeige es euch!“
So soll er die Menschen neugierig gemacht haben auf Reiki, und ich stelle mir gerne vor, dass auf diese Weise die ersten Initiationen gegeben wurden.
Usui starb am 9. März 1926. Der Überlieferung nach an einem Schlaganfall, während er unterrichtete.
Von Usui wissen wir heute, dass er sein Leben nach seiner Erleuchtungserfahrung auf dem Berg Kurama im Jahr 1922 zu 100 Prozent seiner Reikipraxis gewidmet hat. Zum Schluss habe er sogar mit Händen und Füßen gleichzeitig Reiki gegeben, um effizienter zu arbeiten – so steht es auf seinem monumentalen Gedenkstein. Auf diesem wird Mikao Usui als Begründer jener Methode geehrt, die die Energie des Universums nutzt, um Körper und Geist zu heilen.
Er wird als führende Persönlichkeit der Geisteswissenschaften anerkannt und „Großer Meister“ geehrt.
Usuis Gedenkstein und Samadhi, seine Grabstätte, befinden sich auf einem kleinen, beschaulichen zen-buddhistischen Friedhof am Stadtrand Tokios.
Usuis Grab- und Gedenkstein
Vom Wesen her war Hayashi sesshafter als Usui. Er fand Erfüllung darin, die Kliniken zu führen, zu forschen und Reiki an Ort und Stelle weiterzuentwickeln. Er war einer der Lehrer, die von Usui angeleitet und ausgebildet wurden. Schon bald wurde er von ihm zum „Shihan“ ernannt und durfte somit selbst Lehrer ausbilden. Hayashi hatte, wie schon erwähnt, als Marineoffizier gearbeitet, bevor er Reiki kennenlernte. Seitdem war es ihm nicht mehr vorstellbar, in den Krieg zu ziehen. Er war durch und durch Pazifist geworden.
Als er Ende der 1930er Jahre erkannte, dass Japan in den Zweiten Weltkrieg verwickelt werden würde und es für ihn an der Zeit war, Dienst als Offizier zu leisten, plante er seinen Freitod. Er sah keinen anderen Weg, da es in Japan zu dieser Zeit undenkbar war, den Kriegsdienst zu verweigern. Nicht nur er, auch seine ganze Familie wäre in Ungnade gefallen und hätte starke Repressalien zu erwarten gehabt. Also bereitete er sein Ende gut vor. Er führte Hawayo Takata, eine begeisterte und lernbegierige Schülerin, in die Hintergründe des Usui-Systems der natürlichen Heilung ein und ließ sie an seinen 15 Jahren Erfahrung mit Reiki teilhaben. Nachdem er dies getan hatte, versammelte er seine Familie und Freunde um sich, verabschiedete sich bei allen und verließ seinen Körper.
Hawayo Takata wurde am 24.12.1900 als Tochter japanischer Auswanderer auf Hawaii geboren. Sie wuchs in einfachen Verhältnissen auf und musste neben der Schule auf einer Plantage arbeiten, um ihren Anteil zum Lebensunterhalt beizutragen. Doch sie war klein und zierlich und die Arbeit zu hart für sie. So suchte sie nach einer Beschäftigung, die sie leisten konnte, und fand eine Anstellung bei einer reichen Plantagenbesitzerin. Bei ihr lernte sie einen jungen Mann kennen, der dort als Buchhalter lebte. Sie heirateten und bekamen zwei Kinder. Ihr Mann war ein fortschrittlich denkender Mann, und er sagte zu ihr, sie solle nicht betrübt sein, wenn er einmal sterben werde. Sie solle lächeln und sich darüber im Klaren sein, dass er bei ihr sei. Auch wolle er kein Grab. Sie solle frei sein, sich nicht um die Grabpflege kümmern zu müssen.
Das war im Oktober 1930 – und noch am selben Tag starb ihr Mann. Takata war also mit 29 Jahren bereits Witwe und trotz der guten Worte ihres verstorbenen Mannes todunglücklich. Außerdem war sie überfordert mit ihrer Arbeit und den zwei kleinen Kindern. Die nächsten 5 Jahre wurde sie immer müder und kränker, bis sie schließlich in einer Kirche beim Gebet zusammenbrach. Da hörte sie zum ersten Mal eine innere Stimme, die zu ihr sprach: „Du musst jetzt erst mal deinen Körper heilen.“ Takata war erschrocken und erstaunt, hörte diese Stimme aber dreimal sehr deutlich.
In dieser Zeit starb auch noch eine ihrer Schwestern, und es war Takatas Aufgabe, diese Nachricht den Eltern zu überbringen, die wieder nach Japan zurückgegangen waren. Also machte sie sich auf die Reise nach Tokio. Dort angekommen, besuchte sie auch eine Klinik, um sich heilen zu lassen. Man stellte völlige Erschöpfung bei ihr fest, eine Blinddarmentzündung, Gallensteine und einen Tumor. Als die erste Operation vorbereitet wurde und Takata bereits auf dem Behandlungstisch lag, hörte sie erneut die Stimme: „Die Operation ist nicht nötig.“ Takata war verwirrt, was sonst sollte sie denn tun?
Sie fragte ihren Arzt nach einer Alternative zur Operation. Ob sie Zeit habe, lautete die Gegenfrage. Da Takata ohnehin 2 Jahre in Japan bleiben wollte und ihr die geplanten Reisen weniger wichtig erschienen als ihre Heilung, bejahte sie das. Der Arzt gab ihr daraufhin 3 Wochen Zeit. Falls bis dahin keine wesentliche Besserung zu erkennen wäre, müsse er unbedingt operieren. Dann machte er sie mit Doktor Hayashi bekannt. Takata ging fortan in dessen Klinik. Dort wurde sie täglich von ihm und zweien seiner Schüler behandelt. Sie legten die Hände auf und sprachen miteinander: „Oh, ihre Galle reagiert stark, sie muss hier Schmerzen haben. Und hier scheint ein Tumor zu sein...“ Die Hände wurden an den kranken Stellen heiß und Takatas Körper ebenso. Sie fragte sich, woher die Männer die betroffenen Stellen kennen konnten. Weder hatte sie einen Bericht vom Krankenhaus mitgebracht noch etwas erzählt. Bei der zweiten Behandlung sprang sie nach 10 Minuten auf, um unter den Tisch und in Hayashis Kitteltasche zu schauen. Sie suchte eine Batterie oder eine Maschine, die diese starken Empfindungen hätte auslösen können. Es gab keine. Hayashi und seine Schüler lachten herzlich und erklärten ihr, dass sie tatsächlich einfach nur die Hände auflegten. Nach 3 Wochen intensiver Behandlung war Takata nicht nur frei von Tumor, Gallensteinen, Blinddarmentzündung und Schmerzen, sondern auch eine leidenschaftliche Reikianhängerin. Sie fragte Hayashi, ob sie an einem Training teilnehmen dürfe.
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