Als er wieder in der Zentrale war nahm er wahr, dass die Bordroutine richtig angelaufen war, und die Männer ruhig und konzentriert an ihren Plätzen arbeiteten. Die gefährliche landnahe Zone lag jetzt hinter ihnen und es war zu vermuten, dass sie ab jetzt mit keiner Bedrohung aus der Luft zu rechnen hatten.
„Zeit für das Mittagessen“ sagte der Kommandant, er, Haberkorn und der I WO gingen in die O-Messe.
Der Schmutt hatte aufgebackt, es gab Kartoffeln, Rotkraut und Roulade. Haberkorn war erstaunt, was der Koch in seiner kleinen Kombüse zustande brachte, immerhin hatte er das Essen für fast 50 Männer zuzubereiten. Noch gab es einige frische Lebensmittel an Bord, aber bald würde die Kost vor allem aus Fertigprodukten bestehen. Die Männer wussten, dass sie nach einiger Zeit der Reise dann den Schimmel vom Brot abschneiden mussten, der sich auch auf der Wurst niedergeschlagen hatte. Um dem Vitaminmangel vorzubeugen waren stets größere Mengen an Zitronen an Bord, die auf verschiedenste Arten verzehrt wurden. Manche der Männer bissen einfach in das Fruchtfleisch hinein, andere pressten die Zitronen aus. Auch im Kujambelwasser war Zitrone enthalten. Als abgebackt war tranken die drei Offiziere noch einen Kaffee, dann gingen der Kommandant und Haberkorn wieder in die Zentrale zurück.
„So meine Herren“ sagte der Kommandant „wir halten jetzt mal Kriegsrat. Unser Operationsgebiet liegt im Bereich der Großquadrate BF bis BI. Obersteuermann, zeigen Sie uns das mal auf der Karte. Gut, hier müssen wir also hin. Das sind …“
„Zirka 800 Seemeilen, Herr Kaleun.“
„Nehmen wir mal an, unser Etmal beträgt so um die 200 Meilen, dann müssten wir in 4 Tagen dort sein. Wenn uns unterwegs was vor die Rohre läuft kann es natürlich länger dauern. Aber das wäre mir egal, Hauptsache wir haben mal wieder Erfolg. Diese Pechsträhne muss doch endlich mal vorbei sein!“
Haberkorn verstand den Kommandanten gut. Auf den letzten Reisen hatte es keine Versenkungen gegeben, und diese waren das Maß für die Anerkennung in der U-Bootwaffe. Die in der Anfangszeit des Krieges sensationellen Versenkungserfolge einzelner Boote waren heute nur noch schwer zu wiederholen. Vielmehr hatten die Alliierten schnell dazugelernt, und die Abwehrmaßnahmen waren deutlich stärker geworden. Dem versuchten die Deutschen mit ihrer Rudeltaktik zu begegnen, um die Geleitzüge so mit mehreren Booten gleichzeitig zu bedrängen und um die Abwehr zu zersplittern. Auch Haberkorns Boot sollte sich in einem Suchstreifen mit den anderen bewegen, und sobald ein Geleit entdeckt worden wäre, würden alle dorthin dirigiert werden. Dann käme es darauf an, von verschiedenen Positionen aus die Dampfer anzugreifen. Während des Anmarsches sollten die Boote den Funkverkehr auf das Nötigste beschränken, obwohl sie alle die Enigma an Bord hatten. Haberkorn war in der Seefahrtschule in die grundlegenden Funktionen und den Aufbau dieser Rotor-Schlüsselmaschine eingewiesen worden. Rein technisch verstand er einiges, was aber die kryptographischen Dinge anbetraf tappte er ziemlich im Dunkeln. Was eine polyalphabetische Substitution war begriff er noch, auch dass die sich drehenden Walzen die Grundlage dafür waren. Alles Weitere wäre mehr eine Sache für Günther Weber gewesen, der in Mathematik der Klassenbeste gewesen war. Als das Boot noch in Brest in der Werft lag hatte er Post von ihm bekommen. Sein Schulfreund hatte ihm mitgeteilt, dass er bis Ende Mai noch in der Junkerschule wäre, und dann wieder zur Truppe zurückkehren würde. Haberkorn war über den Tonfall in Webers Brief verwundert gewesen, denn dessen typischer Optimismus klang diesmal nicht durch. Auch Fred Beyer hatte ihm geschrieben. Er berichtete begeistert von dem neuen Panzer, und dass er bereits wieder an der Ostfront wäre. Von ihm trennten Haberkorn jetzt tausende von Kilometern und mit jedem weiteren Tag würde die Entfernung noch zunehmen, denn ihr Operationsgebiet lag dort im Nordatlantik, wo Geleitzuglinien vermutet wurden. Nach der äußerst erfolgreichen Phase des „Unternehmens Paukenschlag“ Anfang des Jahres hatten sich die Amerikaner etwas gefangen und die U-Bootabwehr hatte sich jetzt besser eingespielt. Haberkorn wusste, dass das Überraschungsmoment voll auf Seiten der Deutschen gelegen hatte, und die überwiegende Anzahl der Schiffe mit den Bordkanonen versenkt worden war. Auch sie hatten noch die 8,8 Zentimeter L45 Waffe auf dem Vordeck, aber sie war kaum noch zum Einsatz gekommen. Sollte ein Einzelfahrer ihren Kurs kreuzen wäre es möglich, ihn mit dem Geschütz zu attackieren, bei Geleitzügen mit Bewachern war das vollkommen ausgeschlossen. Eigentlich war das ein weiterer Beleg dafür, dass die Boote bei Weitem noch keine reinen Tauchboote waren, sondern die überwiegende Zeit über Wasser operierten. Das machte sie verwundbar und Haberkorn hoffte, irgendwann auf einen von der Außenluft unabhängigen Boot fahren zu können. Ob sich das erfüllen würde stand nicht fest, jede seiner Feindfahrten konnte die letzte für ihn sein.
Fred Beyer, 29. Mai 1942, Russland
Der Plan der Deutschen hatte funktioniert. Die Panzerkompanie hatte im Verbund mit einem Infanteriebataillon mit knapp 300 Soldaten Stellungen in einem Waldgebiet südlich und westlich von Jelna bezogen. Eine motorisierte und mit knapp 20 Panzern II ausgerüstete Einheit sollte von Westen her auf die russischen Kavallerietruppen vorstoßen. Diese leichten und schnellen Fahrzeuge konnten wegen ihrer klaren Unterlegenheit an der Front nicht mehr eingesetzt werden, aber für Einsätze im Hinterland waren sie durchaus noch geeignet. Ihnen, und einer deutschen SS-Kavallerie-Brigade sollte die Aufgabe zukommen, die russischen Einheiten von Westen her auf die südlichen deutschen Positionen hinzutreiben, wo die Panzer standen, und damit einen Kessel zu bilden, der im Osten und Norden durch andere Truppen geschlossen werden würde. Die Aufklärung hatte gemeldet, dass es sich beim Gegner ausschließlich um Reitertruppen in einer Stärke von geschätzt 300 Mann handeln würde, die in den vergangenen Tagen etliche kleinere Dörfer angegriffen, und die dort befindlichen deutschen Sicherungskräfte liquidiert hatten.
Die deutschen Panzer hatten ihre Kampfsätze aufgefüllt, aber diesmal überwiegend Sprenggranaten in den Munitionsbehältern verstaut, und die MG-Munition auf fast 3.200 Schuss 7,92 Millimeter Patronen ergänzt. Die Kampffahrzeuge trugen ein gelb-braun-grünes Tarnmuster und zusätzlich waren noch mit Laub versehene Äste an ihnen festgemacht worden. Der Abstand zwischen den Panzern betrug ungefähr 100 Meter, damit war ein breites Schussfeld für alle möglich. Zwischen den Panzern hatte ein dünner Infanterieschleier mit MG 34 Stellung bezogen. Man war davon ausgegangen, dass die Kavallerie in breiter Front vorgehen würde, und dass das konzentrische Feuer aus den Kampfwagenkanonen und den MG für erhebliche Verluste sorgen würde. Vor einigen Minuten war ein Funkspruch eingegangen, dass die Operation begonnen hätte und die deutschen Einheiten westlich von Jelna angetreten wären. Fred Beyer ragte aus dem Turm und beobachtete mit dem Fernglas die Gegend. Er wusste, dass in der nächsten Zeit noch nichts passieren würde, da die gegnerischen Einheiten noch mindestens 20 Kilometer entfernt waren. Ein Aufklärungsflugzeug vom Typ FW 189 würde ständig Kontakt mit den Kavallerieeinheiten halten und fortlaufend deren Position an die deutschen Truppen melden, so dass sich diese vorbereiten konnten. Die Maschine war zwar mit 360 Kilometern pro Stunde nicht sonderlich schnell, aber ausgesprochen wendig und verfügte über eine wirksame Abwehrbewaffnung, so dass sie relativ unbedrängt über dem Gebiet operieren konnte. Jetzt würde es darauf ankommen, dass die schnellen deutschen Truppen die Russen so unter Druck setzten, dass diese sich in Richtung der Stellungen der Panzer und Infanterie absetzen würden. Bergner gab fortlaufend Lagemeldungen an Beyer wieder und dann wurde klar, dass die Reitereinheiten in die gestellte Falle tappen würden.
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