Das Essen begeisterte Haberkorn erneut. Der kleine Gastraum war nur schwach besetzt und er und Marie hatten einen Tisch mit zwei Stühlen an einer Wand gefunden. Marie wurde von der Kellnerin freundlich begrüßt, Haberkorn nickte sie freundlich zu und nahm die Bestellungen entgegen.
„Sie sprechen ganz gut Französisch“ sagte sie anerkennend „wo haben Sie die Sprache gelernt?“
„An Bord, in meinen Freiwachen.“
„Gefällt Ihnen die Bretagne?“
„Ja, sehr. Ich liebe diese raue Landschaft mit ihren schroffen Felslandschaften. Auf der anderen Seite habe ich auch stille Buchten gesehen, da kann man im Sommer sicher gut baden. Und was ich nicht verschweigen will, ich bin ein großer Freund der bretonischen Küche. Erst hier habe ich erkannt, wie vielfältig das Angebot an Meerestieren sein kann. Insgesamt finde ich diesen Landstrich sehr schön.“
„Aber Sie werden bald wieder an Bord gehen“ sagte Marie „freuen Sie sich darauf?“
„Freuen ist das falsche Wort. Ich bin gern auf dem Boot, aber ich habe es Ihnen schon gesagt, lieber würde ich im Frieden auf einem Dampfer fahren. Aber es sind nun eben andere Zeiten.“
Die beiden verbrachten noch einen angenehmen Abend miteinander und unterhielten sich über alle möglichen Themen, bloß nicht über den Krieg. Am Morgen darauf fuhr Martin Haberkorn mit dem LKW und den Ersatzteilen zurück zum Stützpunkt. Sie wollten sich Briefe schreiben.
Bei der Reparatur des Bootes hatte es doch noch erhebliche Probleme gegeben, so dass statt der geplanten 4 Wochen fast 6 vergingen. Vor allem der Austausch der Batterieanlage war kompliziert gewesen und offensichtlich von den französischen Werftarbeitern, mit Vorsatz oder aus Unkenntnis, auch nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden. Falsche Polungen, locker eingesetzte Batteriezellen, die Liste der Mängel war lang und führte zu erheblichen Nacharbeiten. Am 25. Mai lief das Boot zur Abnahmefahrt aus. Der Tieftauchversuch verlief ohne Beanstandungen. Haberkorn achtete genau auf die Reaktionen des Bootes und lauschte auf verdächtige Geräusche. Bei 180 Metern fing der Druckkörper an sirrende Klänge zu erzeugen und ein Knacken drang durch das Boot. Er wusste, dass dies nur die Reaktionen der hölzernen Einbauten waren. Als das Boot langsam wieder stieg war die Erleichterung der Männer deutlich zu spüren. Allen war bekannt, dass sie in dieser Tiefe noch nichts befürchten mussten, oft waren sie bei Verfolgungen schon tiefer gewesen. Haberkorn war immer noch beeindruckt, dass der nur 2 Zentimeter dicke Druckkörper diesen enormen Belastungen in der Tiefe standhielt. In 40 Meter pendelte er das Boot durch und der Horcher überprüfte das Gruppenhorchgerät. Alles funktionierte tadellos. Dann befahl der Kommandant, eine 2 Meilen Strecke mit E-Maschinen Höchstfahrt zu laufen.
„Mal sehen, ob die neue Batterie uns ein bisschen schneller macht“ sagte er.
Der Fahrtmesser zeigte 8,4 Knoten an, 7,6 waren der Normwert.
„Fast einen Knoten schneller als üblich“ stellte Haberkorn fest „aber es sind ja auch die Schalttafeln und die E-Maschinen gründlich überholt worden.“
„Gibt es sonst noch etwas zu bemängeln?“
„Paar Kleinigkeiten. Der Funkpeiler leckt leicht, eine Abgasklappe muss justiert werden. Dürfte die Werft in einem halben Tag geschafft haben.“
„Dann könnten wir übermorgen ausrüsten?“
„Wenn alles nach Plan läuft, ja.“
Am 26. Mai 1942 legte das Boot am frühen Vormittag voll ausgerüstet ab und begann den Marsch in das Operationsgebiet. Wegen der immer mehr zunehmenden Luftbedrohung ließ der Kommandant sofort nach Erreichen der Tiefwasserlinie tauchen. Mit halber E-Maschinenfahrt und damit knapp 4 Knoten Geschwindigkeit, also ungefähr 7,5 Kilometer pro Stunde, bewegte sich das Boot langsam unter Wasser vorwärts.
„Wie lange bleiben wir unten, Obersteuermann“ fragte der Kommandant.
„5 Stunden würde ich sagen. Dann haben wir 20 Seemeilen geschafft. Das dürfte reichen, um aus der unsicheren Zone herauszukommen.“
„Na gut. Schmutt, mal ne Kanne Negerschweiß aufsetzen. Da können wir uns ja jetzt mal n Weilchen in die Messe zurückziehen. I WO, Sie fahren.“
Der Kommandant, Haberkorn und der II WO saßen an der Back und tranken Kaffee. In der Geborgenheit der Tiefe waren die Männer entspannt und plauderten über dies und das. Haberkorn war nicht ganz bei der Sache, er musste an Marie denken. Dass er 40 Meter unter der Wasseroberfläche in einer Stahlröhre saß und vor kurzem darin Kaffee getrunken hatte, nahm er gar nicht mehr wahr.
Fred Beyer, 27. Mai 1942, Russland
Die Panzerkompanie hatte Stellungen westlich von Suchinitschi bezogen und war in den letzten Tagen nicht in Gefechte verwickelt gewesen. Andere motorisierte deutsche Einheiten hatten einen Vorstoß auf Kirow unternommen, und waren gut vorangekommen. Die zwischen Wjasma und Spas Demenskoje eingeschlossenen Kavalleriedivisionen der Russen waren von Norden und Süden her erfolgreich angegriffen worden und den Deutschen fielen mehrere Orte in die Hand. Das zum Teil unwegsame Gelände sowie das wechselhafte Wetter mit Regenschauern an diesem Frontabschnitt begünstigten den Einsatz von Kavallerie, und die oft vollkommen unberechenbaren Vorstöße der Russen ließen auch hinter der Front der Deutschen keine Ruhe aufkommen. Demzufolge lag momentan ein Schwerpunkt der deutschen Handlungen in der Vernichtung dieser Kräfte, und die offensiven Bemühungen weiter nach Osten vorzudringen, mussten dem Rechnung tragen, und wurden weitestgehend zurückgestellt. Beide Seiten tasteten sich nur mit örtlich begrenzten Aktionen ab. Fred Beyer und seine Männer hatten die relativ ereignislosen letzten Tage dafür genutzt, ihre persönliche Ausrüstung auf Vordermann zu bringen und sich auszuruhen. Gestern waren aber Gerüchte aufgekommen, dass die Panzerkompanie südlich von Wjasma unterstützend bei der Einkesselung der russischen Kavallerieeinheiten mithelfen sollte, um diese unschädlich zu machen.
„Panzer gegen Pferde“ hatte Bergner gemault „was soll der Unfug? Die sind doch x-Mal schneller als wir. Die können wir doch gar nicht kriegen.“
„Du musst da schon ein bisschen weiterdenken“ erwiderte Lahmann „wir werden doch nicht allein mit den Panzern antreten. Unsere eigenen Reiter werden die Iwans treiben und wir haben die Aufgabe, zusammen mit anderen Infanterieeinheiten und den motorisierten Verbänden den Sack dann zu zumachen.“
„Kavallerie“ meinte Müller „die ist doch vollkommen überholt. Damit konnte man früher sicher was ausrichten, aber heute?“
„Täusch dich mal nicht“ sagte Beyer „ist unsere Infanterie durchgehend motorisiert? Überhaupt nicht. Da stehen wir erst ganz am Anfang, und deswegen brauchen wir auch noch Unmassen an Pferden. Und auch taktisch haben berittene Einheiten ihren Sinn. Sie sind viel schneller und beweglicher als die Fußlatscher. Die zukünftige Kriegsführung wird aber auf Motorisierung setzen. Wenn wir mit unseren Panzern vorpreschen bleibt die Infanterie doch meist zurück, weil sich die Männer zu Fuß bewegen müssen. Ich stelle mir vor, dass die Infanterie in leicht gepanzerten Fahrzeugen den beweglichen schweren Waffen folgt und damit unterstützen kann, wenn es erforderlich ist. Die jetzt noch wenigen Halbkettenfahrzeuge sind der Anfang dafür. Aber unsere Industrie liefert einfach zu wenig.“
„Das können die Russen besser“ erwiderte Müller „wir schießen Massen an T 34 ab, aber die ersetzen die im Nu. Vielleicht hat die Führung die ganze Sache doch ein wenig unterschätzt.“
„Selbst wenn so sein sollte, wir werden und müssen sie schlagen“ war Bergners Entgegnung „denn falls wir scheitern würden kann sich doch wohl jeder vorstellen, was dann mit Deutschland passieren würde.“
Die Männer saßen vor ihren Zelten auf dem Boden und rauchten. Es waren angenehme 18 Grad und der Boden war vom letzten Regen gut abgetrocknet. Die Panzer standen rechts und links neben einem durch den Wald führenden Weg und waren durch das dichte Blätterdach gut getarnt. Insgesamt machte alles fast einen friedensmäßigen Eindruck. Der Tross hatte ebenfalls Deckung im Wald gesucht und die Männer konnten an der Feldküche warmes Essen fassen. Eine Latrine war gegraben worden und Fred Beyer machte sich auf den Weg dorthin. Eigentlich kannte er es seit Beginn des Krieges gar nicht mehr anders, als seine Notdurft im Freien zu verrichten. Auch an das Schlafen in allen möglichen und unmöglichen Quartieren oder im Zelt hatte er sich gewöhnt, es war selbstverständlich geworden, dass sie meist nie lange an einem Ort blieben. Wir sind moderne Nomaden dachte er sich, immer in Bewegung, Sesshaftigkeit kennen wir gar nicht mehr. Sein Lebensrhythmus und der der anderen Männer war an verschiedenen Tagen sehr unterschiedlich. Wenn sie im Gefecht standen waren alle angespannt, schließlich konnten sie getötet oder verwundet werden. Dann gab es aber Phasen, in denen sie in einem Bereitstellungsraum oder einer Stellung herumsaßen und viel Zeit hatten, die sie versuchten einigermaßen sinnvoll zu füllen. Früher in der Kaserne hatten die Männer gebastelt oder gelesen. Jetzt nutzten sie die Zeit, um Briefe zu schreiben oder Karten zu spielen. Gerade dieser Gegensatz zwischen höchster Nervenanspannung und relativer Ruhe rief bei einigen Soldaten bestimmte Marotten hervor, weil sie zwischen diesen sehr unterschiedlichen Zuständen nicht schnell genug wieder umschalten konnten. Beyer sah es bei seinen Männern deutlich. Müller, der Fahrer, hatte kein Interesse am Kartenspiel und schrieb nur aller 2 Wochen nach Hause. Auch heute hatte er wieder am Panzer dieses und jenes unter die Lupe genommen und einen Auspufftopf gerichtet. Er musste sich wie zwanghaft dauernd beschäftigen, und was lag da näher, als sich um das Fahrzeug zu kümmern, auch wenn eigentlich gar nichts zu tun war. Lange richtig ruhig sitzen konnten die anderen auch nicht, nur Anton Häber schien in sich zu ruhen. Beyer hatte den schweigsamen und knorrigen Mann immer mehr schätzen gelernt, denn er erfüllte seine Aufgaben ohne viel Aufhebens. Wenn sie im Kampf standen konnte Beyer, da er links und erhöht von Häber saß erkennen, wie scheinbar mühelos der Mann die 7,5 Zentimeter Granaten in das Rohr schob. Immerhin wog so ein Geschoß fast 7 Kilogramm und auch wenn sie das Fahrzeug aufmunitionierten zeigte der Ladeschütze keine Schwäche.
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