Jonas sah sehr müde aus. Seine dritte Reise war anstrengender. Die Vorherigen gingen leichter. Jonas ging zu seiner Mutter und umklammerte ihre Taille. Das sah schon sehr komisch aus. Ein kleiner Junge, aus der Zukunft, mit einem Bewusstsein eines 15-jährigen, nimmt seine Mutter liebevoll in den Arm.
»Mama, ich habe Angst. Diesmal war es anders als beim ersten und zweiten Mal. Es war sehr merkwürdig. Ich hatte das Gefühl, ich schaffe es nicht und bleibe in der Zeit stecken.«
Angst ist ein großes Hindernis menschlicher Entwicklung. Es gibt zwei angeborene Ängste, die vor dem Fallen und die vor Lautstärke. Beide erzeugt beim Geburtsvorgang. Erstens: Heraus fallen, aus der warmen, behaglichen Fruchthülle und zweitens: Lärm. An den Beinen aufgehängt, gibt es einen Klaps auf den Po, damit wir einen Schrei von uns geben. Um das erste Mal, mit den eigenen Lungen, atmen zu können. Es sind überlebenswichtige Urängste.
Edith drückte Jonas fest an sich und fing an zu weinen. Die unvorstellbaren Ereignisse hatte beide überwältigt.
»Alles wird gut, Jonas. Ich stehe dir bei, egal was geschieht. Wir machen uns das heute richtig gemütlich. Und morgen sieht die Welt anders aus, dann sehen wir weiter. Vielleicht ist es ja doch nur ein Traum«, beruhigte sie sich.
Jonas und seine Mutter verbrachten einen schönen Tag, letztendlich als Ablenkung, ein Verdrängen der wundersamen Geschehnissen, die ihre Zeit durcheinander brachte.
Außer dem etwas angebrannten Apfelkuchen und der Tatsache, dass Jonas keine autistischen Züge mehr hatte und dass er aus der Zukunft zu Besuch war, verlief der Tag ganz gewöhnlich.
Gegen Abend erwischte sich Edith dabei, wie sie Jonas die Zu-Bett-gehen-Karte zeigen wollte, tat es aber nicht. Sie konnte ihre Routine nicht einfach loswerden. Der Umgang mit einem Sohn, der nicht mehr autistisch reagiert, war ihr immer noch fremd.
»Jonas, es ist Zeit Schlafen zu gehen. Ich bin sehr gespannt auf den morgigen Tag. Papa ist erst in 2 Tagen zuhause. Er ist beruflich auf einem Seminar, mit seinen Biologie Kollegen und hält da einen Vortrag. Das war ja ein sehr aufregender Tag. Ich bin richtig müde.«
»Krieg ich keine Karte gezeigt?«, fragte Jonas schmunzelnd, als wenn er Ediths Gedanken gelesen hätte.
»Mama, ich bin auch sehr erschöpft. Ich habe ein bisschen das Gefühl, das morgen wirklich wieder alles gut ist«.
»Ja, das hoffe ich. vielleicht ist das ja doch nur alles ein böser Traum«, seufzte Edith.
Jonas zog sich seinen Pyjama an und legte sich in sein Bett. Er war froh, nach diesem Tag, zur Ruhe zu kommen.
»Nacht Mama!«
»Gute Nacht Jonas, schlaf gut.« Edith gab ihrem kleinen, mutigen Jonas noch einen dicken Gutenachtkuss auf die Wange.
Jonas war alleine in seinem Zimmer. Er schaute aus dem Fenster und betrachtete die Abenddämmerung. Dabei gingen ihm sehr viele Fragen durch seinen Kopf:
Mein Zimmer ist so klein. Es hat eine Länge, eine Breite, eine Höhe. Wie war es nur möglich, dass ich durch die vierte Dimension, durch die Zeit, reisen kann? Und das nur mithilfe meiner Gedanken und meiner Tonfigur. Was hatte denn mein Sponk damit zu tun? Ich bin hier nur zu Besuch! Wohin soll ich denn zurückreisen? Kann ich vielleicht auch in die Zukunft gehen ?
Jonas wurde schläfrig, von seinen vielen Fragezeichen. Er schlief trotzdem sehr schlecht ein. Edith ging ins Arbeitszimmer. Das Geschehene konnte sie nicht so einfach stehen lassen. Sie googelte im Internet herum.
Wieso kann mein Sohn in der Zeit reisen? Was soll oder muss ich tun? Diese Fragen beschäftigten sie die halbe Nacht, bis sie vor Müdigkeit aufgab.
Und die Zeit der Menschen tickt, unruhig.
Gut oder Böse?
Keywords-Handlung:
Seelenreise durchs Fegefeuer, Gewissensfragen,
Bekanntschaft Thessa, Erklärung Zeitreisen, Gefühle.
Am nächsten Morgen wachte Jonas früh auf. Seine Mutter ging in seinem Zimmer gerade ihrer Routine nach. Sie stellte seinen Kalender auf das aktuelle Datum. Es war schon hell draußen, doch er öffnete seine Augenlider, mit Absicht, noch nicht.
Was habe ich da nur für einen seltsamen Traum gehabt , sagte er sich entschlossen.
Ich habe geträumt, ich bin der Zeit gereist und war wieder 7 Jahre alt. Aber, mit meinem Bewusstsein, eines 15-Jährigen !
Seinen ersten Blick wandte er seinem Tisch zu, auf dem immer noch der Sponk, die Fernsehzeitung, das Krankenhausbild und sein Brief an Edith lag.
Oh nein, ich habe nicht geträumt !, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
Jonas guckte auf seinen Kalender. Der rote Rahmen umschloss die 6. Heute, das war für Jonas der 06.04.2007.
»Moin Jonas. Wir müssen nach dem Frühstück, ausführlich über unsere Situation reden. Ich habe fast die ganze Nacht wach gelegen und nachgedacht.«
Jonas folgte dem mütterlichen Befehl.
»Ja Mama, ich steh jetzt auf.«
Im Badezimmer guckte Jonas, beim Zähneputzen, sein Gesicht im Spiegel an. Seine Gedanken passten gar nicht zu dem, was er da sah.
Ein 15 jähriger Junge im Körper eines 7-Jährigen. Zurück im Zimmer, sah er sich sein Bild genauer an. Er hatte das Gefühl, das die Farben etwas blasser waren.
Wird sich das Bild allmählich auflösen? Jonas kratzte sich, nachdenklich und immer noch verschlafen, am Kopf.
»Ich fühle mich wie das Bild. Löse ich mich etwa auch in Luft auf? Ich muss mir heute genau überlegen, wie das weitergehen soll«, plante Jonas strategisch, im Selbstgespräch.
In der Küche gab es frisches Obst, warmen Kakao und Vollkornbrötchen. Auf Muttern war, wie immer, verlass.
»Jonas, was sollen wir machen? Oder besser, was können wir machen? Oder sollen wir so tun, als wenn nichts wäre? Es ist sehr schön, dass ich jetzt ganz normal mit dir reden kann. Aber, so ganz wirklich ist das nicht. Oder?«
»Ich fühle mich in meinem Körper auch nicht richtig Zuhause. Da passt was nicht.« erwiderte Jonas.
»Als ich mich heute Morgen im Spiegel ansah, kam mir das sehr komisch vor, wie Fischbrötchen auf dem Münchner Oktoberfest. So soll das nicht bleiben!«
Jonas und Edith wägten alle für und wider, einer erneuten Zeitreise, ab. Einerseits war Jonas in der Vergangenheit nicht mehr autistisch. Andererseits passte Jonas Körper dann nicht zu seinem gefühlten Ich .
Eins stand also mindestens fest: Jonas befand sich im Jahr 2007, obwohl er nicht dahin gehört.
Ich denke, also bin ich
René Descartes
...traf hier nicht richtig zu. Da hatte der Philosoph René Descartes, der das im Jahre 1641 formulierte, bei Jonas, nicht so ganz Recht.
Zumindest, befand sich Jonas zugleich, an verschiedenen Orten. Einmal in seiner Gegenwart und als 7-Jähriger, in seiner Vergangenheit.
Weiterhin schrieb Descartes, in seinen Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, über einen möglichen bösartigen Dämon, durch den Sinne und Wahrnehmung getäuscht werden könnten.
War das bei ihm der Fall?
Jonas und Edith hatten darauf keine, plausible Antwort. Was geschieht da, mit Jonas?
Aber eins wussten sie genau: Täuschend echt, ist ganz falsch. Sie beschlossen deshalb den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Eine kleine Befürchtung blieb. Sie waren ja dabei, den Verlauf ihres Lebens zu verändern: Wenn Jonas Vater nicht stirbt, wie wird sich das auf seine eigentliche Gegenwart, das Jahr 2015, auswirken?
»OK Mama, ich werde mich nachher auf die Reise begeben«, sagte Jonas voller Zuversicht.
»Gut, aber da möchte ich jedoch nicht dabei sein. Das macht mir Angst.«
»Ist schon gut, ich schaffe das schon.«
Die Entdeckung und Gewissheit, dass er in der Zeit reisen konnte machten ihn, trotz der Ungewissheiten, besonders mutig.
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