“Fein.”
Und zu Thomas gewandt fügte Ramírez hinzu: “Da sage noch einer, ich würde Sie nicht zuvorkommend behandeln, Dr. McNamara. Sie haben Ihr eigenes Bett und eine privatärztliche Versorgung. Also, werden Sie nicht zu krank, denn ich habe ja noch paar andere Sachen mit Ihnen vor.”
Der Amerikaner erwiderte nichts.
“In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch eine gute Nacht, Dr. McNamara”, befand Miguel grinsend, “und für den Rest der Welt gibt es jetzt ein bisschen Late-Night Reality-TV.”
Damit verließ der Drogenbaron das Zimmer und wies die Krankenschwester an, Thomas’ restliche Kleidung mitzunehmen und zu entsorgen.
Miguel und Caín zogen sich nun ins Kaminzimmer zurück, um auf die gelungene Entführungsaktion anzustoßen und weitere Pläne zu schmieden. Ramírez goss seinem Stellvertreter und sich einen sehr teuren und seltenen Whisky ein und prostete ihm dann zu. Anschließend schüttete er ihn auf Ex herunter und stellte sein Glas demonstrativ vor sich auf dem Couchtisch ab.
“Das hast du wirklich gut gemacht, Caín”, eröffnete Miguel die Unterhaltung, “mein Kompliment. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein Genuss das für mich war, McNamara fertigmachen zu können.”
“Doch, in gewisser Weise kann ich mir das schon vorstellen”, entgegnete Caín, “und wenn ich bedenke, dass ich mich völlig unnötigerweise verplappert habe, dann könnte ich mich jetzt noch dafür ohrfeigen. Wie kann man nur so blöd sein und seinem Feind den Beweis seiner Unschuld auf Band sprechen. Ich wüsste nur zu gern, wer der Mittelsmann war, der das Gespräch aufgenommen hat. So ein Mist, dass dieser Philip unsere beiden Jungs überwältigen und töten konnte. Sonst hätten wir über den bestimmt etwas herausfinden können.”
“Nun, das ist doch inzwischen gar nicht mehr ausschlaggebend”, meinte Miguel lächelnd, “im Gegenteil. Wir haben den Herrn Doktor persönlich, was ich viel besser finde. Und glaub mir, der kennt alle Zusammenhänge, da brauchen wir uns nicht erst mit diesem Philip abzugeben, auch wenn der sein Vertrauter war. Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob Philip überhaupt irgendetwas wusste. Es ist zwar nur ein Bauchgefühl, aber ich habe den Eindruck, dass McNamara in seinem engsten Umfeld niemanden hatte, der von der Aktion wusste.”
Caín zog die Augenbrauen hoch und sah seinen Boss irritiert an.
“Die Behörden haben wirklich alles auf den Kopf gestellt, was in irgendeinem Zusammenhang mit dem Herrn Doktor stand und haben nichts gefunden, auch bei Philip Banks nicht. Alle in McNamaras Umfeld waren geschockt, als plötzlich die Hetzjagd auf ihn begann, weil man ihn den Freund eines Drogenbarons nannte. Diese Nachricht traf sie aus heiterem Himmel, sie waren völlig kopflos, was im Umkehrschluss bedeutet, dass es eine andere Verbindung geben musste, von der niemand weiß. Das ist eine satte Leistung, so etwas zu arrangieren und über eine wer weiß wie lange Zeit gemeinsam zu operieren.”
Miguel verzog grimmig den Mund und sah Caín dabei an. Der schnaufte verärgert und nickte.
“Und auch wenn ich zunächst ziemlich sauer auf dich war, weil du dich verplappert hast”, fügte der Drogenbaron an, “eröffnete sich dann in genialer Weise die Möglichkeit, dass wir uns den Herrn Doktor persönlich vorknöpfen können. Außerdem haben wir jetzt den Vorteil, dass die Amis nicht versuchen werden, ihren Bundesrichter zu befreien, weil er ja ein Doppelleben geführt hat. Und es gibt keine Möglichkeit, das zu widerlegen, es sei denn, ich sage, dass es eine Lüge war.”
“Und du meinst wirklich, dass die Behörden in Amerika nichts unternehmen werden, um ihren Juristen herauszuhauen?”, befand Caín ziemlich skeptisch, “schon allein deshalb, um ihm selbst den Prozess zu machen?!”
“Theoretisch ja”, entgegnete Miguel ruhig, “aber es wäre sehr aufwendig und risikoreich für die Staatsgewalt, McNamara zu befreien. Das könnte zu einem hübschen Politikum werden à la warum die eigenen Leute gefährden, wenn ein Verbrecher mit dem anderen abrechnet.”
“Hm.”
“Und außerdem muss ich mich eigentlich noch bei dir bedanken”, fügte der Drogenbaron an, “dass du McNamara in einer absolut dreisten Art und Weise einkassiert und verschleppt hast. Das ist richtig Balsam für meine Seele und schenkt mir eine wunderbare Beruhigung. Du hattest es mir zwar als kleine Wiedergutmachung für den Patzer mit dem Verplappern angeboten, sprich, du hast mir sein Leben für dein Leben geschenkt. Aber durch die dreiste Entführungsaktion hast du zum einen deine Cleverness bewiesen und zum anderen meine Ehre wieder hergestellt.”
“Gern geschehen”, meinte Caín lächelnd.
“Und noch eins muss ich dir lassen”, befand Miguel, “deine Idee, die Entführung auf Video aufnehmen, war genial. Wie hast du das nur hingekriegt, dass sogar schon die Szene, wo ihr aus dem Gericht herauskommt, aufgezeichnet wurde?”
“Ganz einfach”, erklärte Caín, “wir hatten noch einen Mann, der wie ein Tourist Aufnahmen machte. Weil niemand dachte, dass er uns filmt, fiel er gar nicht auf. Na ja, den Rest aufzunehmen, war ja einfach. Welche Szene gefällt dir denn am besten?!”
“Schwer zu sagen”, befand Miguel nachdenklich, “alles ist gut. Es freut mich nämlich am meisten, dass wir den ganzen Hergang komplett dokumentiert haben. Die Gesamtheit der Szenen verleiht der Sache eine gewisse Würze und flößt dem Betrachter mächtig Respekt ein.”
Caín nickte schmunzelnd und freute sich über das Kompliment.
“Schade nur”, befand er, “dass wir die entsetzten Gesichter der Zuschauer bei der ersten Folge von unserer Reality-Serie nicht sehen können.”
“Ich fass es nicht! Das ist einfach sagenhaft!”
Maggie umarmte ihren Mann stürmisch und drückte ihm einen dicken Kuss auf die Wange.
Jerry war mit ihr auf einen Kurzurlaub nach San Juan de las Galdonas gefahren, um sie seinen Freunden von damals vorzustellen. Eugenio hatte ihn nämlich angerufen und gemeint, er solle doch mal in seiner “alten Heimat” vorbeischauen, seine “Familie” würden ihn so schrecklich vermissen. Und außerdem hätte er läuten hören, dass Solimár endlich die Frau fürs Leben gefunden hätte. Das machte Jerry natürlich überglücklich, weil er befürchtet hatte, dass seine alten Freunde nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten wegen dieser Nummer mit Thomas. Als er Eugenio daraufhin ansprach, entgegnete dieser, dass Angelo und all die anderen zunächst ziemlich durch den Wind waren und Jerrys Reaktion nicht einordnen konnten. Aber wenn der kleine Bruder sich so für den verhassten großen einsetzen würde, müsste der sich sehr sicher gewesen sein, dass man Thomas eine Falle gestellt hatte. Vor so einer Leistung hätten sie große Hochachtung, und es gäbe keinen Grund, ihm etwas anzulasten. Im Gegenteil, es würde sich umso deutlicher zeigen, was für einen großartigen Charakter ihr Solimár hätte.
Das Wiedersehen war dann einfach phänomenal gewesen. Und obendrein hatte man Jerrys kleine Hütte am Strand komplett renoviert. Du bist und bleibst einer von uns, Solimár, das hatten sie ihm sogar schriftlich gegeben in einem Brief, den sie ihm auf den Küchentisch gelegt hatten.
Am Abend bereiteten sie Maggie und ihm eine rauschende Willkommensparty in Josés Kneipe. Nicht nur Jerry war überwältigt davon, Maggie ging es genauso, weshalb sie ihn jetzt auch so stürmisch umarmte. Überhaupt empfand Maggie die Atmosphäre hier als ausgesprochen angenehm. Sie hätte sich früher nie vorstellen können, dass ihr das karibische Lebensgefühl mal gefallen würde. Das Einzige, was sie noch nicht so gut beherrschte, war Spanisch. Aber da sie fleißig übte und Jerry sie sehr unterstützte, klappte es schon recht gut.
Gegen Mitternacht schlug die Stimmung so hohe Wellen, dass niemand mehr dem Fernseher Aufmerksamkeit schenkte, der in der Kneipe stets eingeschaltet war. Weil José in der Steckdose seiner Kaffeemaschine plötzlich einen Kurzschluss hatte, benötigte er dringend eine andere und wollte den Fernseher ausschalten. Bei der Suche nach der Fernbedienung wurde Angelo fündig. Er warf sie José herüber, der mit halbem Auge mehr beiläufig auf den Bildschirm blickte. Allerdings zuckte der plötzlich wie elektrisiert zusammen und starrte wie gebannt auf den Fernseher. Deshalb flog die Fernbedienung wie ein Geschoss mitten in die Gläser hinter der Theke, die natürlich umstürzten und mit einem fürchterlichen Gepolter zu Boden gingen. Die anderen im Raum bekamen einen großen Schrecken und sahen ihn besorgt an. Aber José nahm von all dem gar nichts wahr. Statt dessen rief er in heller Aufregung: “Santísima virgen Maria! Mira allá! Ese hombre, es tu hermano, Solimár, no es cierto?” (Heilige Jungfrau Maria! Seht mal da! Dieser Mann dort, der ist dein Bruder, Solimár, nicht wahr?)
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