Margarete Gautier.«
Die letzten Worte waren in der Tat kaum lesbar.
Ich gab Armand den Brief zurück, den er ohne Zweifel in Gedanken gelesen hatte, während ich ihn auf dem Papier las, denn er sagte zu mir, indem er den Brief zurücknahm:
»Wer hätte wohl glauben können, daß eine fille entretenue dies geschrieben?«
Durch seine Erinnerungen fortgerissen, betrachtete er eine Weile die Schriftzüge des Briefes, den er zuletzt an seine Lippen drückte,
»Die unglücklichen Mädchen!« sagte ich; »man würde sie oft ganz anders beurteilen, wenn man mit ihrer Lebensgeschichte bekannt wäre.«
»Ja wohl,« erwiderte Armand; »man hat keine Ahnung, welche aufopfernde Hingebung und aufrichtige Zuneigung man oft bei diesen Geschöpfen findet. Und wenn ich bedenke, daß diese gestorben ist, ohne daß ich sie wiedersehen konnte und daß ich sie nie wiedersehen werde; wenn ich bedenke, daß sie für mich getan, was eine Schwester nicht getan haben würde, so kann ich mir nicht verzeihen, daß ich sie so sterben ließ Tot! tot! und in ihren letzten Augenblicken hat sie an mich gedacht und geschrieben und meinen Namen genannt. Arme Margarete!«
Armand ließ nun seinen Gedanken und Tränen freien Lauf; er reichte mir die Hand und fuhr fort:
»Man würde mich sehr kindisch finden, wenn man Zeuge meiner Trauer über den Tod einer Buhlerin wäre. Man weiß aber nicht wie viel Schmerz ich ihr gemacht und wie gut und voll Ergebung sie gewesen ist. Ich glaubte, es komme mir zu, ihr zu verzeihen, und jetzt fühle ich mich der Verzeihung, die sie mir zuteil werden läßt, nicht würdig. Oh, ich würde zehn Jahre meines Lebens geben, um eine Stunde zu ihren Füßen weinen zu können!«
Es ist immer schwer, einen Schmerz zu trösten, den man nicht kennt und dennoch nahm ich einen so warmen Anteil an der Trauer des jungen Mannes, der mit mir in gleichem Alter war, und er zeigte sich so aufrichtig gegen mich, daß ich glaubte, ein Wort des Trostes von mir werde ihm nicht gleichgiltig sein und ich sagte zu ihm:
»Haben Sie denn keine Verwandten, keine Freunde? Fassen Sie Mut, suchen Sie teilnehmende Menschen auf, die Sie verstehen und Sie werden Trost finden, denn ich kann Sie nur bedauern.«
»Es ist wahr,« sagte er aufstehend und mit starken Schritten im Zimmer auf und ab gehend, »ich langweile Sie. Entschuldigen Sie mich, ich habe nicht bedacht, daß Ihnen an meinem Schmerze nur wenig liegen kann und daß ich Sie schon lange mit einer Angelegenheit belästige, die gar kein Interesse für Sie haben kann.«
»Sie mißdeuten den Sinn meiner Worte,« erwiderte ich; »ich stehe Ihnen ganz zu Diensten und bedauere nur, daß ich nicht imstande bin, Ihren Kummer zu mildern. Wenn der Umgang teilnehmender Freunde, unter welche Sie auch mich zählen dürfen, Sie zu zerstreuen vermag und wenn ich Ihnen in irgend etwas nützlich sein kann, so kann ich Sie im voraus meiner wärmsten Zuneigung und größten Bereitwilligkeit versichern.«
»Verzeihen Sie mir,« sagte er, »der Schmerz steigert die Empfindlichkeit. Lassen Sie mich noch einige Minuten bleiben, damit die neugierigen Schwätzer mich nicht angaffen. Sie haben mir durch die Zurückgabe dieses Buches eine große Freude gemacht; ich weiß in der Tat nicht, wie ich meine Schuld abtragen soll.«
»Dadurch, daß Sie mir etwas von Ihrer Freundschaft schenken,« sagte ich zu Armand, »und daß Sie mir die Ursache Ihres Schmerzes sagen. Es ist ein Trost, wenn man seinen Kummer mitteilt.«
»Sie haben recht; aber heute besitze ich noch nicht Fassung genug, und ich würde Ihnen nur Worte ohne Zusammenhang sagen. Ein anderesmal werde ich Ihnen alles erzählen und Sie werden sehen, ob ich Ursache habe, das arme Mädchen zu bedauern... Und nun,« setzte er hinzu, indem er sich noch einmal die Augen trocknete und vor den Spiegel trat, »sagen Sie mir, daß Sie mich nicht zu abgeschmackt finden und erlauben Sie mir wieder zu kommen.«
Armand hatte mich in dieser ersten Unterredung so sehr für sich eingenommen, daß ich ihn hätte küssen mögen. Es schien mir, als ob ich ihn wie einen Bruder liebte.
Er fing an wieder weich zu werden, er sah, daß ich es bemerkte und wendete sich ab,
»Nur Mut gefaßt!« sagte ich zu ihm.
»Adieu!« sagte er, mir die Hand reichend. ,
Er unterdrückte seine Tränen und eilte zum Zimmer hinaus.
Ich hob den Fenstervorhang auf und sah ihn in das vor dem Hause haltende Kabriolett steigen, aber kaum saß er darin, so drückte er das Schnupftuch auf das Gesicht.
Es verging eine ziemlich lange Zeit, ohne daß ich von Armand etwas hörte; dagegen aber war von Margarete ziemlich oft die Rede gewesen.
Es genügt oft, den Namen einer Person, die uns unbekannt oder wenigstens gleichgültig bleiben zu sollen schien, nennen zu hören, um nach und nach mit allen Verhältnissen, die sich an diesen Namen knüpfen, bekannt zu werden und um im Kreise der Freunde von Dingen reden zu hören, welche sonst nie zur Sprache gekommen wären. Wir finden dann, daß diese Person uns beinahe berührte, wir machen die Entdeckung, daß sie gar oft unbemerkt auf unsern Lebensweg trat, und wir sehen in den Ereignissen, die man uns erzählt, ein wirkliches Zusammentreffen mit manchen unserer eigenen Erlebnisse. Dies war nicht gerade mit Margarete der Fall, denn ich hatte sie ziemlich oft gesehen und kannte sie vom Ansehen; aber seit der Versteigerung ihres Nachlasses war mir ihr Name so oft zu Ohren gekommen, und infolge der im letzten Kapitel erzählten Umstände war dieser Name mit einer so tiefen Trauer vermischt, daß meine Neugier über die Urheberin dieses Kummers nur noch größer wurde.
Die Folge davon war, daß ich meine Freunde, mit denen ich sonst nie von Margarete gesprochen hatte, stets mit den Worten anredete:
»Haben Sie eine gewisse Margarete Gautier gekannt?«
»Die Dame mit den Kamelien?«
»Ganz recht.«
»Oh! sehr gut.«
Dieses »sehr gut« war zuweilen von einem Lächeln begleitet, dessen Bedeutung nicht zweifelhaft sein konnte.
»Ein liebes, gutes Kind – und sehr hübsch,« pflegte der Berichterstatter hinzuzusetzen.
»Weiter nichts?«
»Mein Gott, nein; etwas mehr Geist und vielleicht etwas mehr wahres Gefühl, als man bei ihren Kolleginnen findet.«
»Wissen Sie nichts Näheres von ihr?«
»Sie hat den Baron G** ruiniert.«
»Sonst niemanden?«
»Sie ist die Geliebte des Herzogs von *** gewesen.«
»War sie wirklich seine Geliebte?« »Man sagt es; gewiß ist, daß er ihr viel Geld gegeben hat.«
Auf diese Weise erfuhr ich die allgemeinen Umstände, die ich am Anfang dieser Geschichte erzählt habe. Ich war jedoch begierig, etwas über das Verhältnis Margaretens zu Armand zu erfahren.
Eines Tages begegnete mir einer meiner Bekannten, der mit den Verhältnissen der stadtkundigen Pariserinnen ziemlich vertraut war und ich fragte ihn aus.
»Haben Sie Margarete Gautier gekannt?«
Die Antwort war dasselbe »sehr gut«.
»Ein liebes, gutes, schönes Mädchen,« setzte er hinzu; »ihr Tod hat mir sehr weh getan.«
»Hat sie nicht einen Geliebten namens. Armand Duval gehabt?«
»Ja, ein schlanker Blondin.«
»Ganz recht; wer war dieser Armand?«
»Ein Enthusiast, der alles, was er besaß, mit ihr vertan hat; ich glaube, er war gezwungen, sie zu verlassen. Man sagt, er sei zum Rasendwerden in sie vernarrt gewesen.«
»Und sie?« '
»Dem Gerücht zufolge soll sie ihn geliebt haben, aber Sie wissen ja, wie solche Mädchen lieben. Man muß nicht mehr von ihnen verlangen, als sie geben können.«
»Was ist aus Armand geworden?«
»Ich weiß es nicht. Wir haben ihn nicht genau gekannt. Er ist auf dem Lande fünf bis sechs Monate bei ihr gewesen. Als sie zurückkam, reiste er fort von hier.«
»Und seitdem haben Sie ihn nicht wiedergesehen?«
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