Von Zeit zu Zeit aber hat die Welt das erbauliche Schauspiel der Bekehrung einer Verirrten. Gott scheint dadurch die Fehler der anderen sühnen zu wollen, gleichwie durch den Tod des Erlösers die Vergehen aller Menschen gesühnt wurden; und außer den Bekehrten, die ihnen als Beispiel leuchten, sendet er ihnen noch den Priester, der sie absolviert, und den Dichter, der sie verteidigt.
Man frage die Geistlichen in den Städten, und man wird hören, daß sie oft Sünderinnen, welche sie für den Himmel verloren geglaubt, als wahre Christinnen sterben sahen.
Unser großer Dichter Victor Hugo hat »Marion Delorme«, Alfred de Musset hat »Bernarette«, Alexander Dumas hat »Fernande« geschrieben; die Denker und Dichter aller Zeiten haben den Sünderinnen ihr Mitleid gezollt und zuweilen hat sie ein großer Mann durch seine Liebe und sogar durch seinen Namen wieder zu Ehren gebracht. Ich verweile absichtlich so lange bei diesem Gegenstände, denn unter meinen Lesern sind vielleicht schon viele im Begriff, dieses Buch wegzuwerfen, in welchem sie nur eine Verteidigung des glänzenden Lasters zu finden fürchten, und das jugendliche Alter des Verfassers wird ohne Zweifel zur Begründung dieser Besorgnis beitragen. Wer aber bloß durch diese Besorgnis zurückgehalten wird, möge nur getrost weiter lesen, diese Besorgnis wird bald verschwinden.
Jenen beklagenswerten weiblichen Wesen, die nicht durch ihre Erziehung den Pfad des Rechtes kennen gelernt haben, bahnt die Vorsehung fast immer zwei Wege, die sie dahin zurückführen. Diese Wege sind: der Schmerz und die Liebe. Diese Wege sind rauh und mühsam; jene Verirrten, welche sie betreten, finden viele Dornen, an denen sie sich die Füße verletzen, aber ihre Herzen reinigen sich. Sie lassen dem Gestrüpp und den Nesseln am Wege den prunkenden Schmuck des Lasters und gelangen schmucklos, aber gerechtfertigt vor dem Herrn, zum Ziele.
Wer ihnen dann auf diesem mühsamen Pfade begegnet, sollte sie ermutigen und anderen Verirrten als Beispiel aufstellen. Es ist nicht genug, beim Eintritt in das Leben zwei Wegweiser zu setzen, deren einer die Aufschrift: »Weg zum Guten«, der andere die Warnung: »Weg zum Verderben« führt, und denen, die den Lebensweg betreten, die Wahl zu lassen; man muß, wie Christus, Seitenpfade bahnen, die von dem letzteren Wege zu dem ersteren führen, und der Anfang dieser Pfade muß nicht zu mühsam scheinen.
Das herrliche Gleichnis vom verlorenen Sohne sollte jeden Christen zur Nachsicht und zur Verzeihung stimmen, Jesus war ja voll Liebe und Güte gegen die von den menschlichen Leidenschaften verletzten Gemüter, deren Wunden er so gern verband, indem er den heilenden Balsam aus den Wunden selbst nahm. Warum sollten wir strenger sein als unser großes Vorbild? Warum sollten wir hartnäckig festhalten an den Vorurteilen dieser Welt, die hart und lieblos urteilt, um für stark gehalten zu werden? Die Theorien Voltaires finden unter der jetzigen Generation glücklicherweise keinen Anklang mehr. Seit einer Reihe von Jahren haben die Bestrebungen der Menschen einen höheren Aufschwung, eine edlere Richtung genommen. Wir haben Glaubensboten, die lehren, leben und sterben, wie einst die Gefährten Christi, und auch in unserer Mitte hat man jetzt mehr Achtung vor dem Heiligen, als dies früher der Fall war. Kurz, die Welt fängt an besser zu werden. Die Bestrebungen aller intelligenten Menschen haben dasselbe Ziel, und jedermann kann durch Verzicht auf jede pharisäische Selbstsucht zum sittlichen wie zum gesellschaftlichen Fortschritte beitragen. Liegen doch in kleinen, scheinbar bedeutungslosen Dingen die Keime zu dem Größten und Erhabensten. Das Kind ist ein schwaches, hilfloses Wesen, und aus ihm geht der starke Mann hervor; das Gehirn ist von engen Schranken eingeschlossen, und es ist der Stolz des Lebens und des Gedankens; das Auge ist nur ein Punkt, und es umfaßt meilenweite Strecken
In zwei Tagen war die Versteigerung gänzlich beendet. Der Ertrag war hundertfünfzigtausend Franks.
Die Gläubiger teilten sich in zwei Dritteile dieser Summe, und die Verwandten, aus einer Schwester und einem Neffen bestehend, erbten das übrige.
Die Schwester machte große Augen, als sie Margaretens Bild, welches ihr die Verstorbene vermacht hatte, nebst der Nachricht erhielt, daß sie fünfzigtausend Franks geerbt. Dieses Mädchen hatte ihre Schwester seit sechs bis sieben Jahren nicht gesehen. Letztere war eines Tages verschwunden, ohne daß man von ihr selbst oder durch andere erfuhr, was aus ihr geworden.
Sie reiste also in aller Eile nach Paris und zum größten Erstaunen aller, die Margarete gekannt hatten, fand man in der einzigen Erbin ein hübsches, derbes Landmädchen, das bisher noch nicht über die Feldmark des Dorfes hinausgekommen war. Ihr Glück war auf einmal gemacht, ohne daß sie wußte, aus welcher Quelle dieser Reichtum gekommen war. Sie kehrte, wie ich später erfuhr, den Tod ihrer Schwester aufrichtig beweinend, in ihren Geburtsort zurück.
Alle diese Umstände, die in Paris, der unerschöpflichen Fundgrube der Skandale, einiges Aufsehen machten, fingen an vergessen zu werden und ich selbst hatte bereits fast vergessen, inwiefern ich an diesen Ereignissen teilgenommen hatte, als ich durch einen neuen Vorfall den ganzen Lebenslauf Margaretens kennen lernte und dabei so wahrhaft rührende Umstände erfuhr, daß ich den Entschluß faßte, diese Geschichte zu schreiben.
Die Wohnung Margaretens war seit einigen Tagen ausgeräumt, als in der Frühe an meiner Tür die Glocke gezogen wurde. Mein Diener öffnete und brachte mir eine Karte, mit dem Bemerken, daß ein junger Mann, der sie abgegeben, mich zu sprechen wünsche.
Ich warf einen Blick auf die Karte und las den Namen Armand Duval.
Ich suchte in meinen Gedächtnis nach diesem Namen, der mir schon vorgekommen war, und es fiel mir ein, daß ich ihn auf dem ersten Blatte von »Manon Lescaut« gelesen hatte.
Ich war begierig zu wissen, was der Mann, der Margarete das Buch geschenkt hatte, von mir wollte, unk ließ ihn sogleich hereinführen.
Es war ein großer, blonder, blasser junger Mann in Reisekleidern, die er seit einigen Tagen nicht abgelegt zu haben schien, denn sie waren ganz mit Staub bedeckt. Er gab sich gar keine Mühe, seine Bewegung zu verbergen und redete mich mit zitternder Stimme an: »Ich bitte Sie, meinen Besuch und den Anzug, in welchem ich vor Ihnen erscheine, zu entschuldigen. Unter jungen Männern pflegt man sich ja wenig Zwang anzutun, und überdies wünschte ich so sehnlich Sie zu sprechen, daß ich mir nicht einmal die Zeit genommen habe, in dem Hotel, wohin ich mein Gepäck geschickt, meine Kleider zu wechseln; obgleich es noch früh ist, fürchtete ich doch, Sie nicht mehr zu treffen.«
Ich bot meinem Gast einen Sessel am Kamin, Er setzte sich, indem er sein Schnupftuch aus der Tasche zog und einen Augenblick aufs Gesicht drückte.
»Sie kommen von der Reise, Herr Duval,« sagte ich zu ihm; »Sie sagen selbst, daß junge Männer untereinander sich keinen Zwang antun sollen. Wollen Sie mit mir frühstücken? Wir können dabei plaudern.«
»O! ich danke Ihnen,« antwortete er, indem er sich noch einmal die Augen trocknete und aus einem Seufzer Fassung zu schöpfen schien. »Es wäre mir unmöglich zu essen. Sie werden wohl nicht ahnen«, setzte er schwermütig lächelnd hinzu, »was ein Unbekannter zu dieser Stunde, in diesem Anzuge und mit Tränen in den Augen von Ihnen will. Ich habe Sie um eine große Gefälligkeit zu bitten.«
»Reden Sie, Herr Duval, ich stehe zu Diensten.«
»Sie sind bei der Versteigerung der von Margarete Gautier hinterlassenen Effekten gewesen ...«
Bei diesen Worten verlor er einen Augenblick die Fassung, er stockte und hielt die Hand vor die Augen.
»Ich muß Ihnen sehr lächerlich erscheinen,« setzte er nach einer Pause hinzu. »Entschuldigen Sie auch dieses und halten Sie sich versichert, daß ich nie die Geduld vergessen werde, um welche ich Sie ersuche.«
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