Alexandre Dumas der Ältere - Die Fünf und Vierzig

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Alexandre Dumas

Die Fünf und Vierzig

1tes bis 3tes Bändchen

Erstes Kapitel

Die Porte Saint-Antoine

Etiamsi omnes!

Am 26. October des Jahren 1585 waren die Barrieren der Porte Saint-Antoine wider alle Gewohnheit noch um halb elf Uhr Morgens geschlossen.

Um drei Viertel auf elf Uhr kam eine Wache von zwanzig Schweizern, in denen man Schweizer aus den kleinen Kantonen, das heißt die besten Freunde des damals regierenden Könige Heinrich III. erkannte, aus der Rue de La Mortellerie hervor und marschierte auf die Porte Saint-Antoine zu, die sich vor ihnen öffnete und hinter ihnen schloß; sobald sie vor dem Thore waren, stellten sie sich längs den Hecken auf, welche außerhalb der Barriere die umfriedeten Plätze begrenzten, und drängten schon durch ihre Erscheinung allein eine große Anzahl den Bauern und geringen Bürgersleuten zurück, welche von Montreuil, Vincennes oder Saint-Maux kamen, um vor Mittag in die Stadt zu gelangen, was sie nicht zu bewerkstelligen vermocht hatten, da das Thor, wie gesagt, geschlossen war.

Ist es wahr, daß die Menge natürlich die Unordnung mit sich bringt, so hätte man glauben können, es wäre der Wille des Herrn Prevot gewesen, durch die Absendung dieser Wache der Unordnung zuvorzukommen, welche an der Porte Saint-Antoine stattfinden könnte.

Die Menge war in der That groß; sie kam auf den drei zusammenlaufenden Wegen; jeden Augenblick erschienen Mönche aus den Klöstern des Stadtgebietes, Frauen, welche seitlings auf dem Saumsattel ihrer Esel saßen, Bauern auf ihren Karten, und ballten sich an diese schon beträchtliche Masse an, welche das ungewöhnliche Geschlossensein der Thore vor der Barriere aufhielt, und Alle bildeten durch ihre mehr oder minder dringenden Fragen ein Geräusch, das zum Grundbaß wurde, während zuweilen einige Stimmen aus diesem Baß hervortraten und bis zur Oktave der Drohung oder der Klage aufstiegen.

Man konnte außer dieser Masse von Ankömmlingen, welche in die Stadt hinein wollten, noch einige besondere Gruppen wahrnehmen, die herausgekommen zu sein schienen. Statt ihre Blicke durch die Zwischenräume der Barriere in die Stadt zu tauchen, schauten diese gierig nach dem Horizont, der von dem Kloster der Jacobiner, der Priorei von Vincennes und dem Kreuz Faubin begrenzt war, als ob ihnen auf einer von diesen drei einen Fächer bildenden Straßen ein Messias zukommen müßte.

Die letzteren Gruppen glichen nicht wenig den ruhigen Inselchen, welche sich inmitten der Seine erheben, während um sie her das Wasser strudelnd und spielend bald einen Theil vom Rasen, bald ein paar alte Weidenstämme ablöst, welche sich am Ende dem Strome hingeben, nachdem sie eine Zeit lang auf dem Wirbel gezögert haben.

Diese Gruppen, zu denen wir beharrlich zurückkehren, weil sie unsere ganze Aufmerksamkeit verdienen, wurden meistens von Bürgern von Paris gebildet, welche sehr hermetisch in ihre Hosen und Wämmser eingepackt waren; denn wir haben vergessen, zu bemerken, das Wetter war kalt, der Nordostwind schneidend, und große Wolken, die sich nahe über der Erde, fortwälzten, schienen den Bäumen die letzten gelben Blätter, welche sich noch traurig darauf schaukelten, entreißen zu wollen.

Drei von diesen Bürgern sprachen mit einander, oder es sprachen vielmehr zwei und der dritte hörte zu. Drücken wir unsere Gedanken genauer aus und sagen wir: der dritte schien nicht einmal zu hören, so groß war die Aufmerksamkeit, mit der er gegen Vincennes schaute.

Beschäftigen wir uns zuerst mit dem Letzteren.

Es war ein Mann, der von hoher Gestalt sein mußte, wenn er sich aufrecht hielt; aber in diesem Augenblick waren seine Beine, von denen er, wie es schien, nicht wußte, was er mit ihnen machen sollte, wenn er sie nicht zu ihrer nötigen Bestimmung anwandte, unter ihm gebogen, während seine Arme, verhältnismäßig nicht minder lang, als seine Beine, sich über seinem Wamms kreuzten. An die Hecke angelehnt, gehörig auf das elastische Buschwerk gestützt, hielt er mit einer Beharrlichkeit, welche der Klugheit eines Menschen glich, der nicht erkannt sein will, sein Gesicht hinter seiner breiten Hand verborgen und wagte es nur ein Auge entblößt zu lassen, dessen durchdringender Blick zwischen dem Mittelfinger und dem Ringfinger durchschoß, welche nur in der für den Durchgang des Gesichtsstrahls streng nothwendigen Entfernung auseinander blieben.

An der Seite dieses seltsamen Menschen plauderte ein kleiner Mann der aus einen Erdhaufen gestiegen war, mit einem dicken Mann, welcher am Abhang diesen Haufens schwankte und sich bei jedem Schwanken wieder an den Knöpfen des Wammses seines Gegenredners anhakte.

Es waren zwei weitere Bürger, welche mit der sitzenden Person die kabalistische Drei bildeten, die wir in einem der vorhergehenden Paragraphen angekündigt haben.

»Ja, Meister Miton,« sprach der kleine Mann zu dem Dicken, »ja, ich sage und wiederhole, es werden hundert tausend Personen um das Schaffot von Salcède zusammentreffen, wenigstens hundert tausend Personen. Seht, ohne diejenigen, welche sich schon auf der Grève versammelt haben, oder welche sich nach diesem Platze aus den verschiedenen Quartieren von Paris begeben, – seht, wie viel Leute hier sind und das ist nur ein Thor. Urtheilt also, denn wenn wir wohl zählten, würden wir sechzehn Thore finden.«

»Hundert tausend, das ist viel, Gevatter Friard,« erwiederte der Dicke, »glaubt mir, Viele werden meinem Beispiel folgen und den unglücklichen Salcède nicht viertheilen sehen, aus Furcht vor einem Tumult, und sie haben Recht.«

»Meister Miton, Meister Miton, nehmt Euch in Acht,« entgegnete der kleine Mann, »Ihr sprecht da wie ein Politiker. Es wird nichts vorfallen, durchaus nichts, ich stehe Euch dafür.«

»Nicht wahr, mein Herr?« fuhr er dann, als er sah, daß der Andere den Kopf mit einer Miene den Zweifeln schüttelte, fort, indem er sich an den Mann mit den langen Armen und den langen Beinen wandte, der, statt fortwährend in der Richtung von Vincennes zu schauen, ohne seine Hand von dem Gesichte zu nehmen, eine Viertelsschwenkung gemacht hatte und nun die Barriere zum Zielpunkte seiner Aufmerksamkeit wählte.

»Wie beliebt?« fragte dieser, als ob er eben so wenig den Anruf, der an ihn gerichtet war, als die demselben vorhergehenden an den zweiten Bürger gerichteten Worte gehört hatte.

»Ich sage, es wird heute auf der Grève nichts vorfallen.«

»Ich glaube, daß Ihr Euch täuscht und daß die Viertheilung von Salcède statthaben wird,« antwortete ruhig der Mann mit den langen Armen.

»Ja, allerdings, aber ich sage, es werde kein Lärmen bei dieser Viertheilung entstehen.«

»Es wird der Lärmen der Peitschenhiebe stattfinden, die man den Pferden gibt.«

»Ihr begreift mich nicht. Unter Lärmen verstehe ich Aufruhr, und ich sage, es werde kein Aufruhr losbrechen. Wenn ein Aufruhr hätte entstehen sollen, so würde der König nicht haben eine Loge im Stadthause schmücken lassen, um mit den zwei Königinnen und einem Theile des Hofes der Hinrichtung beizuwohnen.«

»Wissen die Könige je, wann es Meutereien geben soll?« sprach mit einer Miene erhabenen Mitleids der Mann mit den langen Armen und den langen Beinen.

»Oh! Oh!« machte Meister Miton, sich an das Ohr des andern Bürgers neigend. »Das ist ein Mensch, der in einem seltsamen Tone spricht. Kennt Ihr ihn, Gevatter?«

»Nein,« antwortete der kleine Mann.

»Nun! warum redet Ihr dann mit ihm?«

»Ich rede mit ihm, um mit ihm zu reden.«

»Und Ihr habt Unrecht; Ihr seht wohl, daß er nicht gesprächsamer Natur ist.«

»Mir scheint jedoch,« versetzte der Gevatter Friard laut genug, um von dem Mann mit den langen Armen gehört zu werden, »mir scheint, daß es das größte Glück des Lebens ist, seine Gedanken auszutauschen.«

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