»Herr Duval,« erwiderte ich, »wenn der Dienst, den ich Ihnen vielleicht erweisen kann, Ihren Kummer etwas zu lindern vermag, so sagen Sie mir, worin ich Ihnen nützlich sein kann und ich werde mich glücklich schätzen, Ihnen zu dienen.«
»Sie haben aus Margaretens Nachlaß etwas gekauft?« fragte er.
»Jawohl, ein Buch,«
»Manon Lescaut?«
»Ganz recht.«
»Haben Sie das Buch noch?«
»Es liegt in meinem Schlafzimmer.«
Armand Duval schien durch diese Nachricht sehr beruhigt zu werden und dankte mir, als ob ich schon angefangen hätte, ihm durch die Aufbewahrung dieses Buches einen Dienst zu erweisen.
Ich stand auf, holte das Buch aus meinem Schlafzimmer und überreichte es ihm.
»Ja, das ists,« sagte er, indem er einen Blick auf die erste Seite warf und dann einige Blätter durch die Finger gleiten ließ, – »das ists. Armes Mädchen!«
Während er das Buch anstarrte, fielen zwei Tränen darauf.
»Liegt Ihnen viel an dem Buche?« sagte er dann, indem er mich ansah und seine Tränen nicht einmal mehr zu verbergen suchte.
»Warum das?«
»Weil ich Sie bitten will, mir es zu überlassen,«
»Verzeihen Sie meine Neugier,« sagte ich; »Margarete Gautier hatte das Buch also von Ihnen erhalten?«
»Ja, von mir.«
»Hier ist das Buch, nehmen Sie es zurück; ich schätze mich glücklich, es Ihnen wiedergeben zu können.«
»Aber,« entgegnete Duval verlegen, »ich muß Ihnen doch wenigstens den Kaufpreis ersetzen.«
»Erlauben Sie, daß ich es Ihnen als Geschenk anbiete. Der Preis eines Buches in einer solchen Auktion ist eine Kleinigkeit, und ich erinnere mich nicht mehr, wie viel ich für dieses Buch bezahlt habe.«
»Sie haben hundert Franks dafür bezahlt.«
»Das ist wahr,« erwiderte ich verlegen, – »aber wie können Sie das wissen?«
»Es ist sehr einfach; ich hoffte noch früh genug zu der Versteigerung zu kommen, und bin erst diesen Morgen hier eingetroffen. Ich wollte durchaus etwas aus Margaretens Nachlaß haben und eilte zu dem Schatzmeister, den ich ersuchte, mir das Verzeichnis der verkauften Sachen und die Namen der Käufer zu zeigen. Ich sah, daß Sie dieses Buch gekauft hatten und nahm mir sogleich vor, Sie um Überlassung desselben zu ersuchen, obgleich der Preis, den sie dafür bezahlt, mich besorgen ließ, es würde Ihnen selbst an dem Besitz desselben sehr viel liegen. Ich dachte mir, sie selbst würden Margarete gekannt haben, wie ich sie kannte und Sie würden gern ein Andenken von ihr behalten.«
Armand schien offenbar zu fürchten, ich hätte Margarete gekannt, wie er sie gekannt hatte. Ich beeilte mich daher, ihn zu beruhigen.
»Ich habe Mademoiselle Gautier nur vom Ansehen gekannt,« erwiderte ich; »ihr Tod hat den Eindruck auf mich gemacht, den der Tod eines schönen Weibes, das man mit Vergnügen gesehen, auf einen jungen Mann macht. Ich nahm mir vor, in der Versteigerung etwas zu kaufen, und ich trieb den Preis dieses Buches, ich weiß nicht recht warum, in die Höhe; ich glaube, ich tat es hauptsächlich, um über einen Kauflustigen, der sehr darauf erpicht zu sein schien, den Sieg davon zu tragen. Ich wiederhole daher, das Buch ist zu Ihrer Verfügung: ich ersuche Sie von neuem, es anzunehmen, damit Sie es von mir nicht haben, wie ich es von einem Schatzmeister habe, und damit es für uns beide das Pfand einer längeren Bekanntschaft und eines vertrauten Verhältnisses werde.«
»Gut,« sagte Armand, indem er mir die Hand reichte und die meinige drückte, »ich nehme es an und werde Ihnen stets dankbar sein.«
Ich hatte große Lust, Armand über Margarete auszufragen, denn die Widmung des Buches, die Reise des jungen Mannes und sein Wunsch, das Buch zu besitzen, reizten meine Neugier, aber ich fürchtete, es könne den Anschein haben, als hätte ich sein Geld nicht annehmen wollen, um das Recht zu haben, mich in seine Angelegenheiten zu mengen, und ich schwieg.
Man hätte glauben können, er habe meinen Wunsch erraten, denn er sagte zu mir:
»Sie haben das Buch gelesen?«
»Vom Anfang bis zum Ende.«
»Was haben Sie von den Randglossen gedacht?«
»Ich konnte sie nicht lesen, aber ich habe die zwei Zeilen gelesen, die Sie auf die erste Seite geschrieben haben, und ich überzeugte mich sogleich, daß das arme Mädchen, dem Sie das Buch zum Geschenk gemacht, nicht in die gewöhnliche Kategorie gehöre, denn ich habe in diesen Zeilen mehr gesehen als ein alltägliches Kompliment.«
»Sie haben ganz richtig geurteilt,« erwiderte Armand. »Dieses Mädchen war ein Engel, Sehen Sie –lesen Sie diesen Brief.«
Er reichte mir ein Papier, das sehr oft gelesen zu sein schien.
Ich faltete es auseinander und las folgendes:
»Lieber Armand! Ich habe Deinen Brief erhalten; Du bist edel und gut geblieben und ich danke Gott dafür. Ja, teurer Freund, ich bin sehr krank, für mich ist keine Hilfe; aber die Teilnahme, die Du mir noch zeigst, ist ein lindernder Balsam für meine Leiden. Ich werde gewiß nicht mehr so lange leben, um noch die Hand zu drücken, die den soeben hier angekommenen lieben Brief geschrieben, dessen Inhalt mir die Gesundheit wiedergeben würde, wenn mich noch etwas retten könnte. Ich werde Dich nicht mehr sehen, denn ich bin dem Tode nahe, und Du bist mehrere hundert Meilen von mir entfernt. Armer Freund! Deine Margarete von ehedem ist sehr verändert und es ist vielleicht besser, daß Du sie nicht wiedersiehst als daß Du sie siehst, wie sie ist. Du fragst mich, ob ich Dir verzeihe. Oh! von ganzem Herzen, denn der Schmerz, den Du mir machen wolltest, war nur ein Beweis Deiner Liebe zu mir. Ich bin seit einem Monat im Bett und es liegt mir so sehr an Deiner Achtung, daß ich von dem Augenblicke an, wo wir uns trennten, bis zu der Stunde, wo mir die Kraft zum Schreiben fehlen wird, mein Tagebuch führe.
»Wenn ich Dir wirklich wert bin, Armand, so gehe nach Deiner Rückkehr zu Julie Duprat, die Dir dieses Tagebuch übergeben wird. In diesem Tagebuch wirst Du die Ursache und die Entschuldigung dessen finden, was unter uns vorgegangen ist. Julie ist mir sehr gut; wir sprechen recht oft von Dir. Sie war bei mir, als Dein Brief ankam und wir haben beim Lesen geweint.
»Für den Fall, daß ich keine Nachrichten von Dir erhalten hätte, war sie beauftragt, Dir bei Deiner Ankunft in Frankreich zu übergeben, was ich täglich für Dich schreibe. Sei mir nicht dankbar dafür; diese tägliche Rückerinnerung an die einzigen glücklichen Augenblicke meines Lebens tut mir unendlich wohl, und wenn Du in dieser Lektüre die Anschuldigung der Vergangenheit findest, so finde ich darin einen großen Trost.
»Ich möchte Dir gern ein Andenken hinterlassen, aber alles, was ich besitze, ist mit Beschlag belegt, ich kann über nichts mehr verfügen.
»Begreifst Du wohl meine Lage, lieber Armand? Ich bin dem Tode nahe, und auf meinem Sterbelager hörte ich die Fußtritte des Hüters, der im Salon auf und ab geht, um im Auftrage meiner Gläubiger nachzusehen, daß nichts fortgetragen werde und daß nichts bleibe, falls ich etwa nicht sterbe. Ich hoffe, daß sie mit dem Verkauf wenigstens bis zu meinem Tode warten werden.
»Oh! die Menschen sind unbarmherzig, oder vielmehr Gott ist gerecht und unveränderlich.
»Du wirst also zu der Auktion kommen, mein Geliebter und etwas kaufen, denn wenn ich nur den unbedeutendsten Gegenstand für Dich auf die Seite legte und es würde bekannt, so wäre man imstande, Dich wegen Unterschlagung gepfändeter Sachen zur Verantwortung zu ziehen.
»Ein trauriges Leben, aus welchem ich scheide! Wie gütig wäre Gott, wenn er mir das Glück schenkte, Dich wieder zu sehen, ehe ich sterbe! Aber aller Wahrscheinlichkeit nach muß ich Dir Lebewohl sagen. Verzeihe mir, daß ich mich so kurz fasse; aber die Ärzte, die mir Genesung versprechen, haben mir fast keinen Tropfen Blut gelassen und die Feder entsinkt meiner Hand.
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