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Rapsgezeiten
Katrin Maren Schulz
Copyright: © 2013 Katrin Maren Schulz
Umschlagfoto: Katrin Maren Schulz
Umschlaggestaltung: Stephan Geitz
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-5578-2
Auf dem Wasser sind vereinzelt noch Surfer unterwegs.
Ihre Kites tanzen im Himmel, mein Glück tanzt mit.
„Hallo, da bin ich“ flüstert etwas aus mir heraus, das die Nordsee begrüßt. Sie ist stark heute und kräftig, und wirkt dabei so frisch und jung, das hat wohl der nächtliche Sturm mit ihr gemacht. Fast übermütig schlägt sie mit Wellen und Gischt aus wie ein junges Fohlen mit den Hufen. Aber sie tritt nicht dabei, sondern schäumt ihr salziges Wasser um meine Beine als würde auch sie mich begrüßen. Ich lächle sie an, und sie lächelt zurück. Auf ihre Art, mit ihrem Tosen, aus dem manchmal, wenn ich ihr aufmerksam zuhöre, ein glucksendes freudiges Lachen zu hören ist. Bin völlig verliebt in sie heute. Weiß nicht, wie lange ich neben ihr gehe, sie begleite bei ihrem Freudentanz, mich von ihr begleiten lasse auf meinem Weg in meine Zeit. Unsere Zeit.
Es ist Präsenz, es ist das pure Hier und Jetzt.
Zeit ist ausgeschaltet: Aus-Zeit.
Katrin Maren Schulz, Jahrgang 1969, lebt und arbeitet in Berlin. Alljährlich im Frühsommer verbringt sie mehrwöchige Auszeiten in St. Peter-Ording an der nordfriesischen Nordseeküste, um zu schreiben.
Ihr Roman „Rapsgezeiten“ entstand in den Jahren 2009 bis 2011. Er ist, nach dem Gedicht- und Fotoband „andere Zeiten: echte“, ihre zweite Veröffentlichung.
Weitere Veröffentlichungen:
Dünenvagabunden (Roman; epubli, 2012)
andere Zeiten: echte (Gedicht- und Fotoband; epubli, 2011)
Kontakt: katrin.maren.schulz@googlemail.com
Katrin Maren Schulz
Rapsgezeiten
Über eine Auszeit an der Nordsee
Roman
epubli GmbH, Berlin
Inhalt
Fundstücke
Zwiespalt
Kehrwieder
Treibgut
Kehrwiederwieder
Netze einholen, Netze auswerfen
Heimkehr
Fundstücke
Erstaunlich, was im Zug zu hören ist von Menschen, die doch nur ein, zwei Reihen entfernt sitzen. Die möglicherweise die Anonymität unter Reisenden mit Alleinsein verwechseln. Wie sonst kommt es, dass die Frau mit Hund hinter mir so offenherzig mit ihrem Lover telefoniert? Sie würde dieses schöne Bild nicht los, von ihm, seinem Rücken, wie sie ihn massiert hat, er wäre so lebendig gewesen – schnurrt sie in ihr Handy. Schnurrt noch ein bisschen weiter, dann schlägt der Ton um: Er dürfe keine Angst haben, wenn er frei sein will - rät sie ihm mit ernster, fester Stimme.
Irgendetwas scheint besonders, anders, zu sein an ihrer Beziehung. Sonderbares Telefonat, so persönlich, mitten im Zug. Andererseits, was hat sie zu verlieren? Nichts. Wir werden uns wahrscheinlich nie wieder sehen, sie und ich. Sie, die Frau mit Hund, und ich, Marielou aus Berlin. Und wenn, was machte es aus, dass ich ihr frank und freies Telefonat gehört habe? Nichts.
Vielleicht sollte ich einfach diesen Satz hören, mit der Angst, die der Freiheit entgegensteht. Von so manchem aufgeschnapptem Gesprächsfetzen hatte ich schon den Eindruck, dass er für mich bestimmt sei. Von dem hier auch.
Ich konzentriere mich auf die Haltestellen. An der nächsten, St. Peter-Süd, muss ich raus. Da wird ein Herr Hansen auf mich warten, den ich bislang nur vom Telefon kenne. Und der den Schlüssel haben wird für das kleine Haus, das ich angemietet habe.
Viel ist nicht los, an dem nordfriesischen Bahnhof. Und nur einer steht da, der wie ein Herr Hansen aussieht: braungebrannt, schlohweißes Haar unter einer Schirmmütze hervor blitzend, drahtige Figur, beige Hose und weißes Hemd. Der Klang seiner Stimme am Telefon, als ich diesen Urlaub gebucht habe, ließ mich ihn auf ungefähr sechzig schätzen. Das könnte hinkommen, und der da steht, sieht sich suchend die aussteigenden Reisenden an. Wir steuern aufeinander zu, und stellen uns vor. Kernig nordfriesisch ist er, sachlich und klar. Keine unnötigen Worte. Ist mir auch recht. Ich bin nicht so sehr auf Gespräche aus hier.
Er lädt mein Gepäck in den Kofferraum seines Wagens. Wir fahren nur wenige Straßen entlang, schon sind wir da. Es ist wirklich klein, das ebenerdige Haus. Inmitten eines großen Gartens. Ich mag es.
Herr Hansen erklärt mir das Wichtigste. Das Fahrrad, die Heizung, den Gezeitenkalender, den nächsten Weg zum Supermarkt.
„Kommen Sie gerne vorbei bei uns, wenn Sie sich einsam fühlen.“
Dann ist er weg.
Und ich bin, endlich, da. Packe meine Sachen aus. Suche per Rad den Supermarkt, kaufe Lebensmittel ein. Koche mir etwas.
Es ist Abend inzwischen. Und ich bin sehr, sehr müde.
Tag 1
Das erste Mal an einem unbekannten Ort aufzuwachen, ist immer irritierend. Mein üblicherweise langsames zu-mir-kommen wird jäh unterbrochen von der Feststellung, in der Fremde zu sein. An der Nordsee, in St. Peter-Ording, am stillen Ende des Ortsteils Böhl. Es ist noch wolkig, und es hat wohl geregnet in der Nacht. Durch die Fenster sehe ich in den wilden Garten um mich herum. Von den Blättern des Efeus, der sich um die Fenster rankt, perlen Regentropfen.
Es ist ganz still. Keinerlei Stadtgeräusch. Solche Stille habe ich schon lange nicht mehr gehört. Diese Art Stille, die einen den eigenen Atem wahrnehmen lässt. Ich nehme sie begierig auf, diese Stille, hatte mich nach ihr gesehnt, hatte fast vergessen, wie sie sich anhört. Und zugleich ist sie mir fremd. Wie noch alles hier.
Meine Reise in die Fremde. Alles neu. Umgebung, Landschaft, Klima, Mentalität. Alles neu, außen. Und innen?
Auch mein Innen ist mir fremd geworden in den letzten Monaten. Hat plötzlich angefangen, unbequeme Fragen zu stellen. Lebensentwurfsfragen. Es will plötzlich wissen, wer ich bin, was mich ausmacht. Als ob es das nicht täglich selbst mitbekommen würde, will es scheinbar plötzlich eine Definition. In der Stadt finde ich keine Antworten darauf, die sich gut und richtig anfühlen. Also habe ich diese Reise gebucht: zehn Sommertage im Norden, mit mir allein, an einem neuen Ort. Vielleicht passiert etwas im Innen hier, das auch neu sein wird. Ein bisschen hoffe ich darauf.
Sitze auf dem Sofa und flöße mir den ersten Kaffee des Tages ein, um meine Lebensgeister zu wecken. Von drei Seiten kann man durch die Fenster hereinsehen in meinen Wohnraum, das irritiert mich. Aber die Gardinen mag ich nicht zuziehen, ist mir zu spießig, und geheimniskrämerisch. Ich habe nichts zu verbergen. Und außerdem geht draußen, außer ein paar Hundeausführern, sowieso niemand vorbei.
Es ist nicht nur still, sondern auch menschenarm hier. Genau das hatte ich gesucht.
Auf dem Weg in die Küche fällt mein Blick zwangsläufig auf den Kalender, den die Besitzerin des Hauses in Blickhöhe angebracht hat. In ihm ist eingetragen, welche Mülltonne wann auf die Straße muss. Wenn ich daran doch bitte denken könnte, hat der Vermieter gesagt. Gerne mache ich das, möchte ich doch das Gefühl haben, hier zu wohnen, mehr als einfach nur Gast zu sein. Morgen ist die gelbe Tonne dran.
Heute will ich erst einmal den Strand erkunden. Was wahrscheinlich den ganzen Tag dauern wird, denn er ist zwölf Kilometer lang, und hat fünf verschiedene Badestellen. Bislang ist mir noch nicht einmal klar, welches überhaupt der näheste Weg ans Meer ist. Eigentlich ist mir hier noch überhaupt nichts klar. Kein Ort, kein Strand, kein Weg. Heute soll sich das ändern. Ich will wissen, wo was ist, und einen ersten Eindruck gewinnen, wo es mir gefällt, und wo nicht. Ein Gefühl für den Ort entwickeln.
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