Maren Friedlaender
Schweigen über Köln
Kriminalroman
Mord verjährt nicht Während Schumanns Sinfonie Nr. 4 in d-Moll summt Kommissarin Rosenthals Telefon. Hals über Kopf verlässt sie das Konzert in der Kölner Philharmonie. Am Stadtwald liegt ein unbekannter Toter in einem roten Renault – genau dort, wo 1977 Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer von der RAF entführt wurde. Sein Fahrer und drei Leibwächter wurden damals erschossen. Kommissarin Rosenthal und ihr Kollege Bär stehen vor der Frage: Ist der Tatort Zufall oder besteht eine Verbindung zu den RAF-Morden? Eine Spur führt ins dänische Nordschleswig. Dort betreibt der pensionierte Stasi-Major Kraske einen blühenden Handel mit Dossiers über die einst von der DDR geschützten RAF-Terroristen. Unter dem Druck der dänischen Polizei packt der Major aus. Daraufhin rumort es in der ehemaligen RAF-Sympathisantenszene von Bonn bis Aachen. Unterstützer, die mittlerweile gutbürgerlich leben, fürchten um ihre Existenz. Gibt es einen RAF-Täter, der sich entschlossen hat zu reden? Kommissarin Rosenthal muss aber auch alte Wunden bei den Hinterbliebenen der Opfer aufreißen.
Maren Friedlaender, in Kiel geboren. Unter anderem politische Redakteurin beim ZDF. Die Autorin lebt seit 35 Jahren in Köln, studierte dort Psychologie. Mit dem Fahrrad erobert sie ihre Wohnorte: Hamburg, Wiesbaden, Berlin, Köln – vom Fahrradsattel aus sieht man mehr. Die Entdeckung der Städte durch das Unterwegssein in verschiedenen Welten: schreibend und aktiv in der Politik, unter anderem Mitglied des Kölner Kulturausschusses. Die unterschiedlichen Einblicke in die politische Szene verarbeitete sie in den Krimis: »Berlin.Macht.Männer«, »Die Macht am Rhein« (mit Olaf Müller) und »Rheingolf«. Ebenfalls im Gmeiner-Verlag erschien der Roman »Der Löwe Gottes«. Den Terror der RAF erlebte sie hautnah als Journalistin und verarbeitet ihre Erinnerungen in dem Krimi »Schweigen über Köln«.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © ullstein bild / dpa
ISBN 978-3-8392-6986-2
Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Den Hintergrund des Kriminalromans bildet der Terror der RAF, weshalb Bezug auf bestimmte Personen und Ereignisse dieser Zeit genommen wird.
Müller traf Erwin Kraske in Dänemark, in Vester Vedsted. Das Örtchen liegt zwischen Ribe und Skærbæk in Nordschleswig, der deutschsprachigen Region. Dort hatte der Ex-Stasioffizier ein Häuschen angemietet, schon zu DDR-Zeiten, als er Major beim Ministerium für Staatssicherheit war, tätig für die HVA, Hauptverwaltung Aufklärung, Abteilung Auslandsspionage.
Linientreue Stasis hatten zu DDR-Zeiten Zugriff auf ein wenig Luxus gehabt, natürlich im Auftrag des Vaterlandes oder für den internationalen Sozialismus – wie man es nahm. Kraske und Müller waren sozusagen Kollegen – Exkollegen. Sie waren beide nicht mehr im Dienst. In ihrer aktiven Zeit hatten sie für gegnerische Seiten gearbeitet, waren sich persönlich aber nicht begegnet. So konnte Müller nicht beurteilen, ob Kraske mal ein gutaussehender und durchtrainierter Mann gewesen war. Er ging davon aus. Harte Schule der HVA in Golm bei Potsdam. Seine Form hatte der Kollege nicht nur aus Altersgründen eingebüßt. Schlaffe Gesichtszüge mit rötlichen Hautflecken verrieten den Trinker. Die Körperhaltung ließ auf Verfallserscheinungen schließen. Beim ersten Carlsberg blühte Kraske auf, wurde gesprächig und entwickelte einen Charme, mit dem er in guten Zeiten das schöne Geschlecht zur Mitarbeit an einer besseren Welt überzeugt hatte.
Typen wie Kraske mäanderten nach dem Fall der Mauer überall in Deutschland herum. Sie hatten ihre Jobs eingebüßt. Die Verlierer. Es gab auch die anderen, die Gewinner, Ex-Stasis, denen es blendend ging. Müller war sicher, dass sie im Ministerium für Staatssicherheit viel früher als im Westen Informationen darüber gehabt hatten, dass es mit ihrer DDR zu Ende ging. Müller, einst angestellt beim Bundeskriminalamt, hielt nicht viel von den eigenen Kollegen beim BND. Wie hatte Thomas de Maizière, damals Innenminister, bei einem Vortrag für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik gesagt: »Ohne die Amerikaner sind wir blind und taub.« Müller war bei der Veranstaltung im Kölner Hotel Excelsior dabei gewesen. Ihm wurde damals umgehend schlecht. Wozu unterhielten sie den Monsterbetrieb mit 6.500 Mitarbeitern in Berlin und Pullach, wenn sie dabei blind und abhängig blieben von den Brosamen, die vom reich gedeckten Tisch des CIA abfielen?
Die Jungs im Ministerium für Staatssicherheit waren ausgeschlafener gewesen. Immer gut informiert. Sie hatten Stasi- und SED-Vermögen beiseitegeschafft und nach der Wiedervereinigung eins zu eins gegen D-Mark eingetauscht. Aus wertloser DDR-Mark war eine harte Währung geworden. Das Geld war nicht verschwunden. Geld verschwand nicht, es wanderte. Irgendwo lagerte und arbeitete es. Insider profitierten. Einige Alt-Stasis saßen bis heute am Drücker. Kraske gehörte eher zu den Verlierern. Er hielt sich mit dem Verkauf von brisantem Material über Wasser.
Erwin Kraske holte zwei weitere Carlsberg aus dem Kühlschrank und brachte eine Flasche Aquavit aus der Tiefkühltruhe mit. Müller akzeptierte. Er wollte Kraske in Redelaune halten, machte sich aber keine Hoffnung, dass der Kollege im Suff mehr ausplaudern würde als gewollt. Knallharte DDR-Schule. Mit ein paar Schnäpsen kriegte man solche Spezialisten nicht unter. Der alte Stasi-Offizier hatte keine Eile. Er genoss das Gespräch unter Kollegen sichtlich, bediente sich im zweiten Gang an einer Flasche Gammel Dansk.
»Für den Magen«, grinste er und prostete Müller zu. »Auf die guten alten Zeiten.«
Die guten alten Zeiten – vielleicht für Stasi-Mitarbeiter. Sie hatten Privilegien genossen, durften teilweise im Ausland leben, es sich gut gehen lassen beim Klassenfeind, indem sie sich an dessen Lebensweise anpassten, im Auftrag des sozialistischen Staates und für die höheren Ziele. Trösteten nette Frauen von Mitarbeitern im westdeutschen Verteidigungsministerium mit Söhnlein Brillant, hörten aufmerksam zu. Methode »Romeo« nannten sie es im Ministerium für Staatssicherheit. Methode »Romeo« meinte, einsame Sekretärinnen von Politikern und hohen Militärs durch Liebesbekundungen zu gewinnen und emotional abhängig zu machen. Scheinheirat nicht ausgeschlossen. Im rüden Stasi-Jargon hieß die Taktik: »Intim betreuen« oder brutaler: »Ficken fürs Vaterland«. Unwissentlich gaben unzählige Frauen nachrichtendienstlich wichtige Erkenntnisse weiter. Wenn die Geliebte misstrauisch wurde, steckte sie schon so tief drinnen, dass man sie erpressen konnte.
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